22. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Im Meer stösst der Grenzschutz an Grenzen“ · Kategorien: Nicht zugeordnet

Quelle: nzz

Die Erfahrungen Spaniens könnten der EU bei der Kontrolle der Migrationsströme helfen

Die EU sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, um die Schengen-Aussengrenze in Griechenland besser zu schützen. Gelingen kann dies aber letztlich nur über eine Kooperation mit der Türkei.

Niklaus Nuspliger, Brüssel

Selbst wenn sich die EU-Innenminister am Dienstag an einer weiteren Krisensitzung doch noch auf die Umsiedlung von 120 000 Flüchtlinge einigen sollten: Bewältigt ist die Flüchtlingskrise für die EU noch lange nicht. Mit klaren Worten konstatierte EU-Rats-Präsident Donald Tusk in der Einladung an die EU-Regierungschefs zum Sondergipfel vom Mittwoch in Brüssel, Europa habe die Kontrolle über seine Grenzen verloren. In der Tat: Gemäss Zahlen der Internationalen Organisation für Migration sind seit Jahresbeginn 475 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gelangt. Der Grossteil von ihnen – rund 350 000 Personen – kam über die Türkei nach Griechenland.

Die Stabilisierung der Krisenregionen rund um Syrien und Libyen sowie die Verbesserung des Grenzschutzes wird die EU weit über den Gipfel vom Mittwoch hinaus beschäftigen. Bis vor kurzem hatte der Grenzschutz als Kernaufgabe des souveränen Nationalstaats gegolten. Nun aber spricht man in Brüssel von einer Europäisierung: EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker kündigte einen Vorschlag für die Schaffung einer europäischen Küstenwache an. Und aus mehreren EU-Staaten erklingt die Forderung, die EU-Grenzschutzagentur Frontex solle kurzfristig «Rapid Reaction Teams» nach Griechenland entsenden und mittelfristig dort das Zepter ganz übernehmen.

Keine abschreckende Wirkung

Nun lässt sich im Meer nicht einfach ein Zaun oder eine Mauer errichten. Bei Frontex warnt man daher vor zu hohen Erwartungen in einen intensivierten Grenzschutz. «Die Sicherung der Meeresgrenze ist extrem schwierig», sagt Sprecherin Ewa Moncure. Die Meerenge zwischen den ägäischen Inseln und der türkischen Küste ist schmal. Und da es sowohl ethisch wie völkerrechtlich nicht zulässig wäre, die völlig überfüllten Flüchtlingsboote in die türkischen Territorialgewässer zurückzustossen, bleibt der Grenzschutz letztlich zahnlos. In der Ägäis habe die Küstenwache keine abschreckende Wirkung, sagt Moncure. Die meistens ohne Schlepper fahrenden Flüchtlinge seien in der Regel froh, die Boote der Küstenwache zu sichten, die sie sicher an Land geleiten müssten.

Dass die EU dennoch nicht zur Untätigkeit verdammt ist, zeigt das Beispiel Spaniens, das vor einigen Jahren ebenfalls mit einer grossen Zahl von Bootsflüchtlingen konfrontiert war. Wie die spanische EU-Botschaft in Brüssel unlängst in einem internen Non-Paper zuhanden der anderen EU-Staaten darlegte, nahmen 2006 rund 36 000 Migranten in 600 Fischerbooten die sechstägige Fahrt von der afrikanischen Küste zu den Kanarischen Inseln auf sich. Tausende fanden im Atlantik den Tod. Seit Oktober 2008 aber kommen keine Boote mehr an. Laut dem Non-Paper war die Kooperation mit den Herkunfts- und Transitstaaten der Schlüssel zur Kontrolle der Migrationsströme.

Die spanische Regierung eröffnete in vielen westafrikanischen Staaten neue Botschaften und entsandte eine Vielzahl von Diplomaten nach Senegal, wo die meisten Bootsmigranten die Überfahrt starteten. Die intensivierte Kooperation ermöglichte eine Übereinkunft, wonach spanische Grenzwächter direkt an der Küste Senegals zusammen mit der lokalen Küstenwache patrouillieren. Dies war natürlich nicht umsonst zu haben. Madrid baute sein Engagement in der Entwicklungshilfe aus und schloss mit mehreren Staaten Abkommen, die legale Wege auch für die Arbeitsmigration von nicht Hochqualifizierten nach Spanien eröffneten und damit die individuellen Anreize zur Bootsüberfahrt verringerten. Zudem gelang es Spanien, mit afrikanischen Staaten Rückübernahmeabkommen abzuschliessen, was die systematische Rückschaffung von Migranten ohne Bleiberecht ermöglichte.

Ein Deal mit Ankara

Nun unterscheidet sich die Krise in Griechenland vor allem insofern von der damaligen Situation Spaniens, als es sich bei der Mehrheit der heutigen Ankömmlinge um Kriegsflüchtlinge mit Schutzanspruch handelt. Doch zeigt das Beispiel, dass Europa für die Sicherung der Aussengrenze in der Ägäis auf die Kooperation mit der Türkei als Transitland angewiesen ist. Das haben nun auch Berlin, Paris und Rom erkannt, die auf eine Übereinkunft mit Ankara dringen, um die Bedingungen für die Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern.

Die Türkei hat knapp zwei der insgesamt vier Millionen syrischen Flüchtlinge aufgenommen und dafür in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben 7,6 Milliarden Dollar aufgewendet. Geldmangel ist allerdings nicht das einzige Problem. Viele Flüchtlinge streben auch darum nach Europa, weil sie in der Türkei unter prekären rechtlichen Bedingungen und ohne Arbeitserlaubnis ausharren müssen. Die EU-Kommission hat Ankara nun eine Milliarde Euro für die Betreuung der Flüchtlinge in Aussicht gestellt, knüpft dies aber an Bedingungen. «Das ist keine Einbahnstrasse», sagte EU-Nachbarschafts-Kommissar Johannes Hahn vergangene Woche. Die Türkei müsse das mit der EU geschlossene Abkommen zur Rückübernahme von Migranten ohne Bleiberecht konsequenter umsetzen und härter gegen die Schlepper vorgehen, forderte Hahn.

Einen Deal mit Ankara propagiert auch die Denkfabrik European Stability Initiative in einem neuen Diskussionsbeitrag. Die Autoren fordern, Europa müsse die Türkei auf die konsequente Grenzsicherung und Rücknahme aller Migranten und Flüchtlinge verpflichten, die irregulär auf die griechischen Inseln gelangten. Im Gegenzug, so argumentieren die Autoren, solle Europa aber eine beträchtliche Zahl syrischer Flüchtlinge direkt aus der Türkei aufnehmen, um sich an deren Lasten zu beteiligen. Das ist politisch kaum realistisch. Doch die Frage, ob sich der machtbewusste türkische Präsident Erdogan allein mit finanziellen Zuwendungen zu einer nachhaltigen Kooperation mit der EU bewegen lässt, ist nicht unberechtigt.

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