18. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Phantome namens «Hot Spots» an den EU-Aussengrenzen“ · Kategorien: Europa, Italien, Türkei · Tags:

Quelle: nzz

EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise angesetzt

Die Innenminister könnten noch vor einem Gipfel der EU-Regierungschefs über die Flüchtlingsquote entscheiden. EU-Zentren, in denen Flüchtlinge registriert werden sollen, lösen derweil Verwirrung aus.

von Niklaus Nuspliger, Brüssel

Die geplante Umsiedlung von 120 000 Flüchtlingen innerhalb der EU ist einen Schritt nähergerückt. Das Europaparlament, das zum entsprechenden Rechtsakt angehört werden muss, hat sich am Donnerstag in einer dringlichen Abstimmung mit 370 zu 134 Stimmen klar für die Notfallpläne der EU-Kommission ausgesprochen. Damit ist der Weg frei für die EU-Innenminister, an ihrem nächsten Krisentreffen vom Dienstag in Brüssel Nägel mit Köpfen zu machen.

Zwar hat sich der Widerstand osteuropäischer Staaten gegen die Quote nicht in Luft aufgelöst. Der luxemburgische Aussen- und Migrationsminister Asselborn, dessen Land die EU-Präsidentschaft innehat, erklärte jüngst, er suche weiter nach einem Kompromiss. Bleibt die Suche erfolglos, könnten die Innenminister aber am Dienstag die Umsiedlungen mit qualifizierter Mehrheit beschliessen – auch wenn ein Mehrheitsentscheid in einem solch heiklen Dossier ungewöhnlich wäre und einen politischen Flurschaden zur Folge hätte.

Eine Milliarde für die Türkei

EU-Rats-Präsident Tusk berief derweil für nächsten Mittwoch einen ausserordentlichen EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise ein. Wie Tusks Sprecher erklärte, sollen nicht die Not-Umsiedlungen, sondern andere dringende Themen im Vordergrund stehen, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Aufs Tapet kommen könnten die Grenzsicherung oder die Unterstützung von Staaten wie der Türkei oder Libanons. Am Donnerstag gab EU-Nachbarschafts-Kommissar Johannes Hahn bekannt, dass die EU-Kommission durch finanzielle Umschichtungen der Türkei bis zu einer Milliarde Euro für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Verfügung stellen will.

Ein Schlüsselkonzept, das die Umsiedlungen sowohl politisch wie auch praktisch erst ermöglicht, sind die sogenannten «Hot Spots». Der deutsche Innenminister de Maizière und sein französischer Amtskollege Cazeneuve hatten am Montag betont, dass ohne den Aufbau dieser EU-Zentren zur Registrierung von Flüchtlingen nicht an Umsiedlungen zu denken sei. Allerdings geistern unterschiedliche Definitionen von «Hot Spots» herum, ein EU-Diplomat bezeichnete sie jüngst als «Phantome». Die Ideen reichen von reinen Koordinationszentren über Camps zur Registrierung bis zu eigentlichen Internierungslagern. Teilweise ist gar von «Hot Spots» in Drittstaaten die Rede.

In der sizilianischen Stadt Catania, wo nach ersten Beschlüssen im Frühjahr ein «Hot Spot»-Hauptquartier eingerichtet wurde, arbeiten Experten der EU-Grenzschutzagentur Frontex, der Polizeibehörde Europol oder der EU-Asylbehörde EASO mit der italienischen Polizei zusammen. Laut der EU-Kommission sollen die Experten sicherstellen, dass die Behörden alle Migranten registrieren und ihnen Fingerabdrücke nehmen. Zudem soll eine Triage zwischen Migranten mit und solchen ohne Schutzanspruch erfolgen. Flüchtlinge sollen sodann teilweise in andere EU-Staaten umgesiedelt werden. Um die Migranten ohne Bleiberecht rasch in ihre Herkunftsstaaten zurückzuschaffen, soll Frontex eine verstärkte Rolle spielen.

Athen «an der Hand nehmen»

Ob dieses Konzept auch funktioniert, wird sich zeigen, wenn im Oktober die ersten, auf freiwilliger Basis beschlossenen Umsiedlungen anlaufen. Fest steht, dass in der Nähe der «Hot Spots» erhebliche Kapazitäten für die Erstaufnahme entstehen müssen – bei den vier «Hot Spots» in Sizilien und Lampedusa gibt es Plätze für insgesamt 1500 Personen. Haftanstalten, aus denen Migranten zurückgeschafft würden, gibt es nicht. In Griechenland entstehen die «Hot Spots» zudem nur schleppend. In Brüssel heisst es, man müsse die Behörden für jeden Schritt «an der Hand nehmen». Immerhin hat sich Athen nun offenbar dazu durchgerungen, das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge mit dem Betrieb von Aufnahme-Camps zu beauftragen.

Nicht nur die staatlichen Strukturen sind schwach, auch die Geografie ist in Griechenland komplexer als in Sizilien, wo die meisten Flüchtlinge in Rettungsbooten an Land gebracht werden. In Griechenland müssen Flüchtlinge auf mehreren Inseln registriert werden, und es braucht auch auf dem Festland Unterkünfte, aus denen die Flüchtlinge umgesiedelt würden. Unklar ist überdies, wie genau die EU die Flüchtlinge an der Weiterreise über die Westbalkan-Route hindern will. Fest steht, dass die Entsendung einiger Experten nicht genügt, um die Lage in Griechenland unter Kontrolle zu bringen. Eine Europäisierung der Aufnahme-Strukturen würde viel grössere Investitionen erfordern.

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