17. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Abschreckende Wirkung (I)“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: German-Foreign-Policy

BERLIN/BRUXELLES/STRASBOURG (Eigener Bericht) – Begleitend zu den am Montag gefassten Beschlüssen der EU-Innenminister forciert die Bundesregierung die Radikalisierung des europäischen Abschieberegimes. Zentrales Ergebnis der Innenminister-Beratungen war die auf deutschen Druck zustande gekommene Einrichtung von Internierungslagern in Griechenland und Italien, aus denen als nicht asylberechtigt qualifizierte Flüchtlinge in ihre Heimatländer „rückgeführt“ werden sollen. Gemäß einem entsprechenden „Aktionsplan“ soll die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX dabei eine „entscheidende Rolle“ spielen. Sogenannten „Interventionsteams“ der Behörde ist zunächst die Aufgabe zugedacht, die Flüchtlinge lückenlos zu erfassen und über Migrationsrouten sowie „Schleuseraktivitäten“ zu verhören. Wer bei dieser Gelegenheit als „nicht schutzwürdig“ identifiziert wird, kann dann direkt abgeschoben werden – unter der Regie von FRONTEX. Die Agentur erhält zu diesem Zweck das Recht, „eigenverantwortlich“ Passagierflugzeuge zu chartern und „Rückführungen“ zu initiieren. Bisher sind diese Maßnahmen ausschließlich den Repressionsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten vorbehalten.

Umsiedlung statt „Sekundärmigration“

Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach dem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen am Montag mitteilte, haben sich die EU-Innenminister auf die Einrichtung von „Aufnahme“- oder „Registrierungszentren“ für Flüchtlinge in Italien und Griechenland geeinigt (german-foreign-policy.com berichtete [1]). In diesen Lagern sollen alle Migranten interniert werden, die die EU erreichen. Wer politisches Asyl erhält, kann dann in andere EU-Staaten „umgesiedelt“ werden; allen anderen droht die sofortige Abschiebung. Schon die Modalitäten der „Umsiedlung“ folgen dabei den repressiven Vorgaben der deutschen Regierung, deren Vertreter sich in der Vergangenheit immer wieder dafür ausgesprochen haben, Flüchtlingen keine „materiellen Anreize“ zu bieten. So empfiehlt die EU-Kommission etwa, „den umgesiedelten Personen, die Antrag auf Asyl stellen, Berichterstattungspflichten aufzuerlegen und zur Gewährleistung der Aufnahmebedingungen nur Sachleistungen (Lebensmittel, Wohnraum und Kleidung) bereitzustellen“. Weiter heißt es, die „Umgesiedelten“ dürften nur in dem Land, dem sie zugeteilt wurden, „internationale Schutzrechte in Anspruch nehmen“ und nicht in andere EU-Staaten weiterreisen. Dies werde „eine abschreckende Wirkung in Bezug auf Sekundärmigration zur Folge haben“.[2]

Abschiebungen zwecks Akzeptanzerhalt

Für eine Radikalisierung des mit der „Umsiedlung“ verknüpften Abschieberegimes hatten sich die Spitzen der Bundesregierung schon im Vorfeld der EU-Innenministerkonferenz stark gemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) etwa ließ wissen, dass Menschen, die „aus wirtschaftlicher Not“ ihre Heimatstaaten verlassen, „nicht in Deutschland bleiben können“.[3] Analog äußerte sich der deutsche Innenminister in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD. „Asyl kann nicht die Antwort auf Armut in der Welt sein“, schrieb de Maizière und forderte, die „Unterscheidung“ zwischen Asylsuchenden und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen „unbedingt bei(zu)behalten“ – „sonst schaden wir der gesellschaftlichen Akzeptanz von allen humanitären Aufnahmen bei uns“.[4]

Die Abschiebezentrale

Die Abschiebungen aus den Internierungslagern in Griechenland und Italien, deren Einrichtung nun beschlossen wurde, sollen vorrangig unter der Regie der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX stattfinden. Wie die EU-Kommission erklärt, werde FRONTEX künftig eine „entscheidende Rolle“ bei der „Rückführung“ von Flüchtlingen spielen: „Die Agentur hat die Aufgabe, Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegaler Migranten zu unterstützen, insbesondere durch die Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen und die Ermittlung bewährter Praktiken für die Beschaffung von Reisedokumenten und die Abschiebung von Migranten.“ Darüber hinaus werde man FRONTEX zur „zentrale(n) Stelle der EU“ für den „Erfahrungs- und Wissensaustausch“ zu „Rückführungsfragen“ ausbauen, heißt es. Zusätzlich zu den 800 Millionen Euro, die den EU-Mitgliedsstaaten bereits für die Durchführung von Abschiebungen zur Verfügung stehen, will man die Mittel der Behörde hierfür nach eigenem Bekunden um bis zu 15 Millionen Euro „aufstocken“.[5]

Im Kreuzverhör

Konkret sieht der entsprechende „Aktionsplan“ der EU vor, in den Internierungslagern in Italien und Griechenland („Hotspots“) sogenannte FRONTEX-Interventionsteams einzusetzen, die zunächst die Identifizierung der Migranten übernehmen. Werde dabei festgestellt, dass Flüchtlinge, die um Asyl nachsuchen, nicht die von ihnen angegebene Nationalität besitzen, könnten diese sofort abgeschoben werden, heißt es.[6] Integraler Bestandteil der von FRONTEX zu diesem Zweck durchgeführten Verhöre („Screening Interviews“) ist die Befragung der Migranten nach Fluchtrouten, Methoden des „illegalen Grenzübertritts“ und „Schleusernetzwerken“. Die dabei erhobenen Informationen könnten direkt an Repressionsorgane wie EUROPOL weitergeleitet werden, erklärt die EU-Kommission.[7]

Eigenverantwortlich und selbstbestimmt

Auch die „Rückführungen“ selbst sollen dem EU-„Aktionsplan“ zufolge direkt von FRONTEX durchgeführt werden. Bisher koordiniert die Agentur lediglich von den EU-Mitgliedsstaaten organisierte Sammelabschiebungen („Joint Return Operations“) – ein Service, von dem Deutschland allein in diesem Jahr bereits zwölf Mal Gebrauch gemacht hat. Vorgesehen ist nun, FRONTEX zu ermächtigen, selbst „Rückführungen“ zu initiieren und zu diesem Zweck eigenverantwortlich Passagierflugzeuge zu chartern. Die für die Abschiebungen notwendigen Personaldokumente soll die Agentur ebenfalls beibringen. Dazu könne FRONTEX seine in den Transit- und Herkunftsländern der Migranten stationierten „Verbindungsbeamten“ nutzen, was insbesondere denjenigen EU-Staaten entgegenkomme, die nicht über entsprechende diplomatische oder konsularische Beziehungen verfügen, heißt es.[8]

Integriertes System

Darüber hinaus ist geplant, die von FRONTEX in Bezug auf „irreguläre Migration“ vorgehaltenen „Analysekapazitäten“ stark auszubauen. So soll die Agentur künftig auch die Reisebewegungen von Flüchtlingen innerhalb der EU beobachten, um auf diese Weise illegalisierte Migranten ausfindig zu machen und abzuschieben. Letztliches Ziel ist laut EU-Kommission die Implementierung eines „integrierten Systems des Rückführungsmanagements“, an dem alle europäischen Repressionsbehörden beteiligt sind – unter der Ägide von FRONTEX.[9]

Menschenrechtsberatung

Die EU-Grenzschutzagentur selbst rechnet in diesem Zusammenhang offenbar mit massivem Widerstand seitens Flüchtlingsorganisationen und antirassistischer Initiativen. Nicht umsonst hat die FRONTEX-Leitung angesichts der bevorstehenden drastischen Ausweitung ihrer Abschiebungsbefugnisse neun Nicht-Regierungsorganisationen (Non Governmental Organizations/NGOs) in ein „Beraterforum“ berufen, darunter Amnesty International, Caritas und Rotes Kreuz. Das Gremium soll einer Selbstdarstellung zufolge dafür sorgen, dass die von FRONTEX durchgeführten Operationen stets mit „Respekt vor den fundamentalen Menschenrechten“ erfolgen [10] – ungeachtet der Tatsache, dass Abschiebungen an sich ein gravierender Verstoß gegen das Menschenrecht auf Freizügigkeit sind.

Fussnoten

[1] Siehe dazu Neue Lager und Der „Hotspot Approach“ zur Flüchtlingsabwehr.
[2] Europäische Kommission: Flüchtlingskrise: die Europäische Kommission handelt – Fragen und Antworten. Straßburg 09.09.2015.
[3] Merkel will Armutsflüchtlinge schneller abschieben. www.zeit.de 09.09.2015.
[4] De Maizière – Abschiebungen für Akzeptanz in Bevölkerung wichtig. de.reuters.com 10.09.2015.
[5] Europäische Kommission: Flüchtlingskrise: die Europäische Kommission handelt – Fragen und Antworten. Straßburg 09.09.2015.
[6] European Commission: EU Action Plan on return. Brussels 09.09.2015.
[7] European Commission: Explanatory note on the „Hotspot“ approach. Brussels 2015.
[8], [9] European Commission: EU Action Plan on return. Brussels 09.09.2015.
[10] FRONTEX: Management Board Decision No. 29/2015 on the composition of the Frontex Consultative Forum on Fundamental Rights. Brussels 09.09.2015.

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