16. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Deutschland ist das Mekka Europas“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Handelsblatt

Wo Milch und Honig fließen: So sehen viele Syrer Deutschland, sagt Salem El-Hamid. Der Generalsekretär der Syrisch-Deutschen Gesellschaft spricht über Schleuser, drohende Unruhen und Mittel gegen den Flüchtlingsstrom.

von Kathrin Witsch

Berlin 800.000 Flüchtlinge werden bis Ende des Jahres in Deutschland sein – mindestens. Die Kräfte der Länder und Kommunen sind nahezu erschöpft. Grünen-Chef Cem Özdemir fordert ein Treffen der europäischen Außenminister, die Lage Syrien anzugehen und den Krieg zu beenden. Mit dieser Forderung ist er nicht allein: Salem El-Hamid, der Generalsekretär der Deutsch-Syrischen Gesellschaft, appelliert ebenfalls an Deutschland, den Menschen vor Ort zu helfen: „Wenn der Patient blutet und kollabiert, gibt man ihm eine Infusion, aber man muss auch die Blutung stillen“, sagt er. Es habe keinen Sinn, den Flüchtlingen nur hier zu helfen, wenn der Krieg in Syrien weitergehe. Er spricht im Handelsblatt-Interview über das positive Deutschland-Bild der Syrer, was Schleuser verlangen, um Syrer nach Deutschland zu bringen und warum er glaubt, dass Deutschland auch ein Kriegsopfer ist.

Herr El-Hamid, allein in München sind am vergangenen Wochenende knapp 20.000 Flüchtlinge angekommen. Darunter auch immer mehr Syrer. Warum kommen gerade jetzt so viele? Wie ist die aktuelle Lage in Syrien?

Am Anfang dachte man nicht, dass diese Situation so lange anhalten würde. Aber nach fünf Jahren ist immer noch keine Lösung in Sicht. Die Menschen in Syrien sehen keine Zukunft in ihrer Heimat. Das ist ein Krieg. Also suchen sie nach einem besseren Leben für sich und ihre Familie. Das Regime verliert in Damaskus weiterhin an Boden. Der Islamische Staat (IS) versucht immer wieder, die auch strategisch wichtige Hauptstadt einzunehmen. Und die Stadt Aleppo teilt sich zwischen Baschar al-Assads Regierung, den Oppositionellen und mittlerweile teilweise auch dem IS.

Millionen Syrer flüchteten in den vergangenen Jahren deswegen in die Türkei, den Libanon und nach Jordanien oder wurden zu Binnenflüchtlingen in ihrem eigenen Land. Jetzt suchen Tausende Zuflucht in Europa, vor allem in Deutschland. Warum ist gerade „Germany“ bei den Syrern ein so beliebtes Ziel?

Deutschland war eigentlich immer das Lieblingsland der Menschen im Orient. Und das ist über lange Zeit historisch gewachsen. Die Deutschen waren die einzigen, die während der Kolonialzeit kein arabisches Land besetzt haben. Der humanitäre Touch war aus Sicht der Syrer immer da. Wir mögen Deutschland und haben ein unheimliches schönes Bild von diesem Land. In Damaskus überbieten sich die Menschen jetzt aber mit ihren Erzählungen. Es ist das Land, wo Milch und Honig fließen, die medizinische Behandlung sei kostenlos, es gebe überhaupt alles umsonst. Deutschland ist das Mekka Europas geworden. Es ist das einzige Land, das Flüchtlingen sämtliche Möglichkeiten bietet.

Würde eine Flüchtlingsquote da Abhilfe schaffen?

Eine Quote ergibt keinen Sinn. Glauben Sie, dass ein einziger in Ungarn bleiben wird? Die kommen alle wieder nach Deutschland. Die Europäische Union braucht einheitliche Regelungen für alle, gleiche Vergünstigungen. Und wenn es weniger finanzielle Unterstützung vom Staat gäbe, würde das die Flüchtlinge auch nicht davon abhalten, ein neues Leben in Deutschland zu suchen.

Aber wie könnte denn eine Lösung von Seiten Deutschlands aussehen?

Das ist ganz einfach. Deutschland muss zwei Dinge tun: Erstens Hilfe vor Ort leisten. Die Infrastrukturen in Syrien sind zerstört. Grundbedürfnisse wie Wasser, Strom und intakte Straßen sind eine Seltenheit. In Aleppo fällt der Strom manchmal 15 bis 18 Stunden aus. Wenn man diese Dinge in Syrien behebt, gibt man den Leuten Anreiz, in ihrem Land zu bleiben. Zweitens sollte Deutschland sich aktiv am Friedensprozess beteiligen. Als Vermittler. Der Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien, der Türkei und dem Iran auf dem Schlachtfeld Syrien muss aufhören. Man muss diese drei Staaten zwingen, endlich die Waffen- und Geldversorgung an Terrororganisationen einzustellen. Dann ist der Krieg beendet. Und der IS würde ausbluten. Syrer haben keine Sehnsucht nach einem Kalifat wie vor tausend Jahren.

Wenn man sich dazu entschließt, Syrien zu verlassen, kostet das viel Geld. Die Schlepper wollen bezahlt werden. Schaffen es am Ende nur die nach Europa und Deutschland, die über Geld verfügen?

Zum großen Teil ja. Die Preise schwanken zwischen 3000 Dollar bis 12.000 Dollar. Wer Luxus haben will, der bezahlt mehr. Der kriegt ein Flugticket über die Türkei oder über Griechenland. Und wer weniger bezahlen kann, der muss laufen. Wer 3000 oder 2000 bezahlt, der muss mehr riskieren. So kommt zwar ein Großteil der syrischen Flüchtlinge aus dem Mittelstand, aber am Ende kommen Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft.

Trotzdem stehen in der Zwischenzeit hunderttausende Flüchtlinge vor den Grenzen Europas. Bislang zeigen sich die Deutschen von ihrer besten Seite. Viele Politiker fürchten allerdings, dass die Stimmung kippen könnte. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Diese Situation wird große Unruhen in Deutschland und Europa auslösen. Irgendwann ist das Land erschöpft. Es ist nicht alles so harmonisch, wie es in den Medien aussieht. Jeder Mensch hat eine bestimmte Kapazität und die ist irgendwann ausgereizt, und dann kippt die Stimmung. Deutschland ist ein hilfsbereites Land. Aber sobald politisch die Stimmung kippt, zieht die Bevölkerung nach.

Glauben Sie, dass Angela Merkels Politik beim Thema Flüchtlingswelle richtig ist?

Ob Angela Merkels Entscheidungen richtig waren, wird sich zeigen. Aber Deutschland wird gerade Opfer des Krieges in Syrien. Man muss die Sache mit Augenmaß betrachten. In Syrien packen unzählige Menschen die Koffer Richtung Deutschland. Das wird für Deutschland ein Riesenproblem werden.

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