Quelle: n-tv
Afghanen geht es noch schlechter als Syrern
Von Omaira Gill, Athen
Nicht nur Syrer, auch Afghanen kommen über die Türkei nach Griechenland, auch sie wollen weiter nach Norden. Doch sie haben weniger Geld – und bekommen noch weniger Hilfe von den Behörden als Flüchtlinge aus Syrien.
Während in Griechenland zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres das Parlament neu gewählt wird, gibt es keine Anzeichen, dass die hiesige Flüchtlingskrise so bald endet. Vielmehr ist überdeutlich, dass die Reise, vor der diese Menschen stehen, immer gefährlicher wird. Trotzdem kommen sie weiter. Laut UNHCR wurden allein im Juli rund 50.000 Flüchtlinge in Griechenland registriert.
Die meisten machen sich gleich auf den Weg nach Norden, wenn sie von den griechischen Inseln auf das Festland kommen. Immerhin erhalten die Not der syrischen Flüchtlinge und das Leiden, das der Krieg in ihrem Land verursacht, endlich Aufmerksamkeit.
Andere haben dieses Glück nicht. Vor ein paar Wochen wurde das provisorische Flüchtlingslager im Pedion Areos, dem großen Park im Zentrum von Athen, mit viel Tamtam aufgelöst, die Flüchtlinge wurden in das Lager Elaionas im Westen der Stadt gebracht. Dennoch ist offenkundig, dass sich die Behörden in keinster Weise angemessen um die Situation kümmern.
Das neue inoffizielle Flüchtlingslager liegt nur ein paar hundert Meter vom Pedion Areos entfernt auf dem Victoria-Platz. Fast alle hier sind aus Afghanistan. Kinder spielen mit kaputtem Plastikspielzeug und fahren mit dem Fahrstuhl des U-Bahnhofs. Eine ältere Griechin sitzt auf einer Parkbank, sie erlaubt Kindern, ihren Hund zu streicheln. Mütter fächeln Babys Luft zu, die in Pappschachteln schlafen. Mitunter rufen wütende Anwohner die Polizei, die die Menge dann auseinandertreibt. Die Menschen verteilen sich auf die Seitenstraßen, schlafen dort – und kehren zurück, sobald die Polizisten verschwunden sind.
Seit über dreißig Jahren sieht die Welt dem Krieg in Afghanistan zu. Es ist, als sei sie inzwischen abgestumpft. Die große Mehrheit der afghanischen Flüchtlinge gehört zu den Hazara, einer ethnischen und religiösen Minderheit, die immer wieder Verfolgung ausgesetzt ist. Angriffe auf Hazara, die 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen, kommen immer wieder vor. In der Provinz Ghor hielten Taliban-Kämpfer im Juli 2014 zwei Kleinbusse an, sortierten 14 Hazara aus und töteten sie.
„Mein Traum ist, irgendwo zu sein, wo ich sicher bin“
Anders als Pedion Areos ist der Victoria-Platz kein großer Park, sondern eher klein. Die Bedingungen dort sind bedrückend. Bislang haben die Behörden es nicht geschafft, sanitäre Anlagen aufzustellen. Hilfe kommt von den örtlichen Geschäften und von Freiwilligen, die Butterbrote und Babysachen verteilen.
Ali Madad ist ein sanft sprechender 18-Jähriger aus Ghazi in Afghanistan. Er brauchte mehr als einen Monat, um per Bus, Auto und zu Fuß die 3000 Kilometer entfernte Türkei zu erreichen. Vor einer Woche zahlte er 1000 Dollar für einen Platz auf einem Boot, das ihn von Izmir nach Lesbos brachte – eine Reise, die er „entsetzlich“ nennt. „In Afghanistan herrscht Krieg“, sagt er. „Al-Kaida, die Taliban, Bomben. Es ist schlecht dort. Deshalb bin ich gegangen.“
„Die Griechen“, erzählt Ali weiter, „waren sehr gut zu uns auf Lesbos.“ Doch es seien einfach zu viele Flüchtlinge gewesen. Den Syrern seien ihre Papiere sehr viel schneller ausgehändigt worden als allen anderen Gruppen, und das habe zu Spannungen auf der Insel geführt. In Athen sei es noch immer besser als auf Lesbos. „Dort war es schrecklich. Es war wie im Krieg.“
Am nächsten Tag wolle er den Platz verlassen. Sein Ziel ist Schweden. „Meine Familie ist noch in Afghanistan. Mein Traum ist, irgendwo zu sein, wo ich sicher bin.“
Der ebenfalls aus Ghazni stammende Muhammad Bashir weiß nicht genau, wie alt er ist. „Ungefähr 20“, sagt er. Er verließ Afghanistan, weil er Hazara ist. „Da ist es sehr schlecht für uns. Sie töten uns.“ Auch er hat keine guten Erinnerungen an Lesbos. „Afghanen und Syrer stritten sehr viel. Die Syrer erhielten mehr Hilfe als wir. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht kommen unsere Leute schon seit zu vielen Jahren.“
„Es ist sehr dreckig“
Muhammad sagt, er habe nicht gewusst, dass so viele Flüchtlinge in Griechenland seien – aber selbst wenn er es gewusst hätte, sei er nicht sicher, ob ihn das aufgehalten hätte. „Wir wollen hier weg, aber ich weiß nicht wie.“
„Hier gibt es keine Toiletten, nichts, kein Essen. Es ist sehr dreckig. Einige sind krank. Wir haben gefragt, wo das Krankenhaus ist, aber die Leute haben uns nicht verstanden. Vor allem für die Familien ist es hart, für allein reisende Männer ist es nicht ganz so schlimm.“ Wie sein Freund will er weiterreisen, erst nach Deutschland, dann nach Schweden.
Younous Muhammadi, der Präsident des Griechischen Flüchtlingsforums, kam 2001 selbst als Flüchtling aus Afghanistan nach Griechenland. Er besucht den Platz regelmäßig mit Freiwilligen, um sauber zu machen und aufgebrachte Anwohner zu beruhigen. „Bis 2014 kamen die meisten Flüchtlinge aus Afghanistan. Die Syrer bekommen Priorität, weil es in ihrer Heimat so schlimm ist. Es gibt die Vorstellung, dass alle Syrer Flüchtlinge sind, aber nicht alle Afghanen, weil es einige sichere Regionen in ihrem Land gebe. Es kann Monate oder Jahre dauern, bis ein Afghane den Flüchtlingsstatus bekommt.“
Zudem hätten afghanische Flüchtlinge nicht dieselben finanziellen Mittel wie die Syrer, fügt Younous Muhammadi hinzu. Sie seien gezwungen, langsamer durch Griechenland zu reisen. „Afghanen habe keine Wahl als hierzubleiben, bis sie die Mittel haben, das Land zu verlassen“, sagt er. Selbst die Behörden wüssten nicht, wie viele Afghanen sich in Griechenland aufhielten.
Während Freiwillige und Flüchtlinge Handschuhe überziehen, um mit dem Aufräumen zu beginnen, richten sich die Familien für eine weitere Nacht auf dem Platz ein. Ali und Muhammad wollen in den nächsten 24 Stunden weg sein, aber bis zum Ende der Woche werden weitere 10.000 Flüchtlinge nach Athen kommen. Eine offizielle Antwort auf die Frage, wo diese Leute unterkommen sollen, gibt es nicht. 2000 Menschen hausen bereits auf dem Victoria-Platz. Das Lager in Elaionas mit 700 Betten wird das Problem kaum lösen können.