11. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Nur schnell weg aus Griechenland“ · Kategorien: Griechenland

Quelle: nzz

Rekordzahlen von Flüchtlingen kommen auf den griechischen Ägäis-Inseln an. Die Behörden schicken diese so schnell wie möglich weiter. Als Folge verlagert sich das Flüchtlingsproblem.

von Ivo Mijnssen

Die Zahl der auf Lesbos, Kos, Chios und Samos ankommenden Flüchtlinge erreicht laufend neue Höchststände. Alleine auf Lesbos wurden in den letzten drei Tagen 22’500 Menschen registriert, in Griechenland waren es dieses Jahr beinahe 260’000. Auch weiter nördlich auf der Westbalkan-Route steigen die Flüchtlingszahlen kontinuierlich: In Mazedonien kamen allein am Donnerstag 4000 Flüchtlinge an, in Serbien war es die Rekordzahl von 5540. Auch in Wien kamen am Donnerstag 8000 Flüchtlinge an, am Freitagmorgen wurde gar die Autobahn im Grenzbereich zu Ungarn gesperrt, da Flüchtlinge zu Fuss unterwegs waren.

Direkt zur U-Bahn

Ungarns Versuche, die Flüchtlingswellen mit einem Zaun aufzuhalten, waren bisher erfolglos. Dies hat nicht zuletzt mit der griechischen Überforderung zu tun: Da lediglich gut 6000 Flüchtlinge dieses Jahr in Griechenland einen Asylantrag stellten und die meisten stattdessen schnell weiterreisen, wird Ungarn zum ersten Schengenland, in dem sie korrekt registriert werden.

NZZ-Korrespondent Marco Kauffmann war am Donnerstag in Piräus vor Ort, als drei Fähren aus Lesbos mit ungefähr 6000 Flüchtlingen eintrafen. Er bestätigt, dass die griechische Regierung zwar Schiffe und Busse für den Weitertransport von den überfüllten Inseln organisiert, sonst aber wenig unternimmt. Obwohl auch die EU angekündigt hat, in Piräus Zentren zur Registrierung einzurichten, sei davon nichts zu sehen, berichtet Kauffmann. «Die Hafenpolizei kontrolliert zwar, dass alle korrekt für die Busse anstehen, lädt dann die Flüchtlinge aber lediglich an der nächsten U-Bahn-Station ab.»

In Gesprächen mit Flüchtlingen, primär aus Syrien und Afghanistan, fand Kauffmann heraus, dass die meisten über offizielle Dokumente verfügten, aber nicht als Asylsuchende registriert wurden. «Die Syrer erhalten eine Aufforderung, sich bis zum 8. Februar 2016 bei der Ausländerbehörde zu melden und sich bis dahin nicht in Grenznähe aufzuhalten. Die meisten steigen aber direkt in Züge in Richtung Norden», beobachtet Kauffmann.

Afghanen im Park

Die meisten Afghanen erhielten hingegen lediglich eine vorübergehende Aufenthaltsbewilligung für 30 Tage und kämen temporär im Victoria-Park in der Innenstadt unter. «Die sanitären Bedingungen dort sind sehr schlecht, und der Staat ist der grosse Abwesende», meint der NZZ-Korrespondent. Dies bedeutete für Flüchtlinge wie Anwohner eine grosse Belastung, und es sei vereinzelt auch zu Pöbeleien gekommen. Von Zuständen wie auf den Inseln, wo in den vergangenen Wochen immer wieder Unruhen ausgebrochen waren, sei man dennoch weit entfernt.

Die Überforderung des griechischen Staats ist überall sichtbar, und offenbar liegt seine grösste Priorität darin, die akute Krisenlage auf den Inseln etwas zu entspannen. Dafür werden dort Kapazitäten erhöht. Umso prekärer sind die Bedingungen im Rest des Landes: Die 700 Plätze in Aufnahmezentren im Grossraum Athen sind längst belegt, und auf der griechischen Seite der griechisch-mazedonischen Grenze warten gegenwärtig Tausende in matschigen Feldern auf den Übertritt, praktisch ohne staatliche Unterstützung.

Jahrelange Versäumnisse

Angesichts der griechischen Krise ist das totale Versagen des Staates vielleicht erklärbar. Eines EU-Landes würdig ist es dennoch nicht – gerade auch vor dem Hintergrund, dass Mazedonien und Serbien deutlich ärmer sind. Wenn nun sogar Mazedonien damit droht, einen Grenzzaun zu errichten, sagt dies alles. Griechenland habe es seit Jahren versäumt, Geld aus EU-Töpfen zu beantragen, um bessere Bedingungen für Flüchtlinge zu schaffen, meint Kauffmann. Tatsächlich werden bereits 2012 wegen der katastrophalen Versorgungslage keine Flüchtlinge mehr aus anderen EU-Ländern nach Griechenland zurückgeschafft. Auch wenn nun vereinzelt Nothilfe aus der EU im Land eintrifft, lassen sich die jahrelangen Versäumnisse nicht über Nacht beheben.

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