01. September 2015 · Kommentare deaktiviert für „Ungarn bereitet Militäreinsatz gegen Flüchtlinge vor“ · Kategorien: Ungarn · Tags: ,

Quelle: Pester Lloyd

Opposition will Orbán vor Internationalen Strafgerichtshof bringen

Offiziell sieht eine der heute im Parlament zu beschließenden Maßnahmen lediglich logistische und technische Hilfen seitens der Honvéd bei der Grenzsicherung vor, ähnlich wie beim Bau des Grenzzauns. Doch eine Formulierung macht stutzig, denn im Fidesz-Gesetzentwurf steht, dass die Armee „bei Erfordernis Maßnahmen ergreifen kann, die Grenze durch physische Maßnahmen zu schützen und illegale Grenzübertritte zu verhindern.“ Das ist quasi Kriegsrecht und womöglich eine Präzedenz für kommende Konflikte im Innern.

Vergleichbar wäre das in Etwa mit dem „Assistenzeinsatz“ des österreichischen Bundesheeres bei der Sicherung der Grenzen, ebenfalls ein verfassunsrechtlich sehr umstrittener Passus, an den man sich in Österreich jedoch durch jahrelange Praxis gewöhnt hat. Im Regelfall nimmt die Polizei dort alle hoheitlichen Maßnahmen vor, die Armee dient nur als Material- und Personalreserve für die Beobachtung der Grenze. Für die Ausbilder ist der Assitenzeinsatz ein willkommenes Einsatzsznario, die Rekruten des Nachbarlandes könnten sonst die vollkommene Unnützigkeit von Armeen in Mitteleuropa erkennen.

Der ungarische Vorstoß verletzt den verfassungsmäßig definierten Auftrag der Landesverteidigung, denn die Flüchtlinge greifen Ungarn ja nicht an. Die Verfassung soll daher geändert werden. Damit aber stellt sich Ungarn außerhalb des Völkerrechts. Soldaten verfügen im Regelfall weder über die Ausbildung, noch über „nicht letale“ Mittel, um polizeiliche Aufgaben wahrnehmen zu können. Der Ausschluss des Missbrauchs der Armee als Ersatz- oder Zusatzpolizei hat aber vor allem wichtige konstitutionelle und historische Gründe. Und ist daher – von absoluten Notsituationen abgesehen – verboten. Doch genau diesen “Massenweinanderungsnotstand” will Fidesz heute – wiederum durch ein neues Gesetz mit Verfassungscharakter – herbeizaubern.

Um Auffanglager zu sichern, braucht man jedoch keine Panzer oder Artillerie. Kurz: Orbán schickt nun offiziell die Armee gegen Flüchtlingsfamilien mit Kindern ins Feld. Denn „physische Maßnahmen“ ist nur ein anderes Wort für den Einsatz von Gewalt und diese ist letztlich nur auf dem Papier begrenzbar, wenn sie einmal zum Einsatz kommt. Für den Beschluss bedarf es der 2/3-Mehrheit, die neonazistische Jobbik koaliert mit Freuden bei diesem Thema mit der Orbán-Partei.

Das will die Opposition, voran die „Demokratische Koalition“ von Ex-Premier Gyurcsány aber verhindern und fährt ein großkalibriges juristisches Geschütz auf. Sollte das Parlament die Mobilmachung der Armee gegen illegale Einwanderer beschließen, werde man die Regierung vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verklagen. Die Maßnahme sei ein neuer „Gipfel“ in der „skrupellosen und unmenschlichen Flüchtlingspolitik“, „die Orbán-Vona (Jobbik-Chef, Anm,) -Koaltion will Krieg gegen Familien führen, die vor Krieg und Terror fliehen und das würde sogar einen Schießbefehl behinhalten.“, behauptete ein DK-Sprecher. Der Einsatzbefehl sei per se ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Die Regierungspartei antwortete scharf. Fidesz-Fraktionsvize Gulyás nannte den Vorwurf der DK „einen Fall von politischem Extremismus“, von Leuten, die „2004 eine Hetzkampagne gegen Ungarn hinter den Grenzen (Terminus politicus für ethnische Ungarn in den Nachbarländern)“ gefahren habe, bezeichnet nun „die Behandlung von Flüchtlingen aus anderen Ländern als eine Frage der Menschlichkeit“. „Diese Wirtschaftsflüchtlinge sind gegen die Interessen Ungarns und Europas und Ungarn schütze nur die Schengen-Grenze, auch wenn einigen Mitgliedsländern das Wie nicht gefällt. Da die EU nicht hilft, müsse Ungarn seine eigenen Regeln schaffen. Die Soldaten sollten dabei „keine tödliche Gewalt an der Grenze ausüben“. Im Übrigen sei Gyurcsány von der EU gekauft, er solle daher schweigen.

Einen Aspekt hat auch die ungarische Opposition noch nicht erkannt oder verdrängt ihn noch: Davon ausgehend, dass die Flüchtlingspolitik Orbáns von Anfang an einem innen- und machtpolitischen Kalkül folgt, kann auch der Einsatz der Armee gegen Flüchtlinge also ihr Missbrauch für politische Aufgaben als Generalprobe und Präzdenz für einen späteren Einsatz nach Innen (Umsturz nach verlorenen Wahlen) oder in Grenzregionen (Siebenbürgen, ukrainische Karpatoukraine) gesehen werden. Dieses Szenario klingt für europäische Ohren vielleicht überhöht, ja geradezu absurd. Angesichts der Fakten, die Orbán bereits schuf, wäre es nur die Fortsetzung seiner Politik mit anderen Mitteln. Dem Irren von Budapest ist das tatsächlich zuzutrauen.

UPDATE:

Verteidigungsminister Hende versuchte am Mittag vor der Presse, die geäußerte Kritik am zu schaffenden Gesetz für den Einsatz der Armee an der Grenze zu entschärfen und betonte, „dass es den Streitkräften nicht gestattet wird, bewaffnet gegen Unbewaffnete vorzugehen“. Warum dann überhaupt ein Armeeeinsatz erforderlich sei, konnte er nicht begründen. Die Armee würde nur dann „unterstützend beim Schutz der Grenze eingesetzt, wenn es nötig wird und es Regierung und Parlament beschließen.“ Man könnte mit „Logistik, Militärpolizei, Sanitätsdiensten“ helfen, vorstellbar seien „gemeinsame Patrouillengänge mit der Polizei“, um diese personell zu entlasten. Soldaten könnten seiner Ansicht nach „bei der Registrierung von Flüchtlingen helfen“, den Luftraum überwachen (was ohnehin schon geschieht) und Dolmetscher stellen. Dafür könnte man bis 3.500 Mann bereit stellen. Der Ausschluss des Waffenseinsatzes beim Grenzschutz ist jedoch im Gesetz nicht wörtlich enthalten. Darauf ging Hende auch nicht ein. Orbáns Kanzler Lázár legte nochmals nach: Europa und Ungarn müssten sich „auf den Ansturm von Millionen Einwanderern vorbereiten“. Welche Rolle der Befürworter der Todesstrafe der Armee dabei zugedenkt, verschwieg Orbáns rechte Hand.

Beitrag teilen

Kommentare geschlossen.