24. Juli 2015 · Kommentare deaktiviert für Tunesien, Libyen: Neues Grenzregime mit deutscher Unterstützung · Kategorien: Deutschland, Libyen, Tunesien · Tags:

In den vergangenen Tagen kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen tunesischen Grenzern und libyschen Grenzbewohnern. Hintergrund ist die einseitige Aufrüstung der Grenze durch die tunesische Regierung, unterstützt von der deutschen und US-amerikanischen Regierung.

Tunesien errichtet eine Grenzmauer mit zugehörigem Wassergraben. Damit durchschneidet das neue Grenzregime die lokalen grenzüberschreitenden Ökonomien, zu denen ein seit Jahrzehnten blühender Schmuggel, die kommerzielle Fluchthilfe und familiäre Wirtschaftsweisen gehören. Die Lokalbevölkerung beiderseits der Grenze sieht die Grenzaufrüstung als Angriff auf ihre wirtschaftliche Existenz. Hinzu kommt, dass es dichte soziokulturelle Kontakte zwischen Südtunesien und Westlibyen gibt; in der Vergangenheit gab es südtunesische Aufstände mit Bezug auf diese grenzüberschreitenden Verbindungen.

Die Herrschaft Tunesiens beruht nach wie vor auf Eliten und oligarchischen Strukturen der nordöstlichen Küstenzone des Landes. Das Landesinnere und der Süden Tunesiens sehen sich in historischer Perspektive durch diese ungerechte Regionalordnung enteignet und in jeglicher Hinsicht diskriminiert. Es sei daran erinnert, dass die Arabellion im Dezember 2010 im Landesinneren Tunesiens startete und die größte Bewegung für Reisefreiheit aus der libyennahen Küstenregion Tunesiens im Frühjahr 2011 nach Tunesien aufbrach.

2011 antwortete die EU und die Nato auf die Boat-people aus Südtunesien und aus Libyen mit einer Seeblockade mit Kriegsschiffen der Militärs und mit Patrouillenschiffen von Frontex. In den letzten Jahren geriet die Abschottung Europas hier im zentralen Mittelmeer in ihre historische Krise. Versuche der EU und von Frontex, in Libyen Fuss zu fassen (EUBAM Programm u.a.), scheiterten. Tunesien ist, wie die anderen Staaten Nordafrikas, bislang nicht bereit, EU-Auffanglager und Vorposten der EU-Abschottung südlich des Mittelmeers zuzulassen.

Den Antiterrorismus nutzen nun die EU und die USA, um die Grenzen zwischen den nordafrikanischen Grenzen hochzurüsten und eine verdeckte Präsenz von Abschottungsspezialisten aus Europa und Nordamerika aufzubauen. Deutschland ist an der Aufrüstung der tunesischen Grenze zu Libyen mit Materialausrüstung und Know-How direkt beteiligt, wie aus untenstehender Mitteilung der Bundesregierung hervorgeht. Anders als die EU-Abschottung auf dem Mittelmeer und aus der Luft wird die Grenzaufrüstung am Boden durch soziale Unruhen, Angriffe und wirtschaftliche Interessensgruppen der Lokalbevölkerung getroffen werden können.

Dokumentation: Bundesregierung, Antwort vom 14.07.2015 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko u. a. und der Fraktion DIE LINKE:

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Hierzu die Pressemitteilungen von Andrej Hunko, Montag, 20. Juli 2015

Bundespolizei will gescheiterte libysche Grenzsicherungsmission nun in Tunesien durchführen

„Die Bundespolizei beteiligt sich an der umstrittenen Grenzsicherung der tunesischen Regierung gegenüber Libyen. Damit wird die EU-Politik neuer Zäune, Gräben und hochgerüsteter Grenzüberwachung nach Nordafrika exportiert“, kritisiert der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko entsprechende Pläne des Bundesinnenministeriums

Nach dem „Arabischen Frühling“ unterstützt das Bundesinnenministerium tunesische Behörden in einer „Sicherheitssektorreform“. Ziel von Kooperationen der Bundespolizei ist die Verhinderung unerwünschter Migration auf dem Land- und Seeweg nach Europa. Das Bundeskriminalamt schult seine Partner zu „Terrorismusbekämpfung“. Nun sollen Lehrgänge zu Telekommunikationsüberwachung, Ausforschung des Internet sowie Lauschangriffen folgen. Zusammen mit Frankreich will Deutschland in weiteren Projekten die Institutionen des Strafsystems stärken. Auch dies könnte an frühere Maßnahmen zur IT-Überwachung anknüpfen.

Andrej Hunko weiter:

„Die Regierung Tunesiens hat mit dem Bau einer 168 Kilometer langen und zwei Meter hohen Sperranlage an der libyschen grenze begonnen. Das Auswärtige Amt hat hierfür 50 hochwertige Wärmebildkameras an die Grenzpolizei verschenkt. Nun soll die Zusammenarbeit intensiviert werden, die Bundespolizei will weitere ‚Experten‘ nach Tunesien entsenden. Die Bundespolizei hat ein Projekt zur Beihilfe bei der Grenzüberwachung begonnen. Nun verhandelt auch die EU-Kommission hierzu mit Tunesien und stellt der Regierung Ausgaben von 25 Millionen Euro in Aussicht.

Die Bundesregierung will die Europäische Union zu einer EU-Grenzsicherungsmission (EUBAM) überreden. Diese würde ein ähnliches Ziel verfolgen wie ein 2013 gestartetes Projekt in Libyen. Stattdessen muss das Auswärtige Amt aber Lehren aus dieser gescheiterten EUBAM-Mission im Nachbarland ziehen. Denn es wurden staatliche und nichtstaatliche Verbände ausgebildet, die sich seitdem gegenseitig bewaffnet bekämpfen. In diesem Klima wurde auch die Ansiedlung des Islamischen Staates in Libyen begünstigt.

Das übrig gebliebene Gerippe von EUBAM Libyen wurde nach Tunis verlegt. Ich vermute, die neue Mission EUBAM Tunesien wäre die praktische Fortführung. Ganz besonders stand damals außer ‚Terrorismus‘ die Verhinderung unerwünschter Migration nach Europa im Vordergrund.

Die Bundespolizei will sich in genau der Grenzregion ansiedeln, aus der viele Menschen mit Booten in Richtung Sizilien in See stechen. Indirekt unterstützt die Bundesregierung auf diese Weise auch den italienischen Vorschlag, an der tunesisch-libyschen Grenze ein EU-Polizeizentrum zur Migrationskontrolle einzurichten.

Die Länder des Arabischen Frühlings zu Bollwerken der europäischen Migrationsabwehr auszubauen kritisiere ich aufs Schärfste. Die EU muss zu einer Migrationspolitik finden, die Geflüchteten mit Solidarität statt Abwehr begegnet.“

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