25. Juli 2018 · Kommentare deaktiviert für Italien verschärft Flüchtlingspolitik weiter · Kategorien: Europa, Italien · Tags:

DW | 25.07.2018

Die Regierung in Rom hat einen EU-Vorschlag zur finanziellen Entschädigung für die Aufnahme von Flüchtlingen brüsk abgelehnt. Die Leistungen für Flüchtlinge, die schon im Land sind, sollen drastisch eingeschränkt werden.

Innenminister Mateo Salvini von der rechten Lega bleibt bei seinem harten Kurs gegen Migranten. Die von der EU-Kommission am Dienstag vorgelegten konkreten Vorschläge für die auf dem letzten EU-Gipfel beschlossenen Aufnahmezentren wies Salvini zurück. „Wenn sie irgendjemand anderem Geld geben wollen, sollen sie das tun. Italien braucht keine Almosen.“ Jeder Asylbewerber koste den italienischen Steuerzahler zwischen 40.000 und 50.000 Euro. Italien wolle kein Geld, sondern die Zahl der ankommenden Migranten reduzieren.

Aufnahmezentren in der EU  – aber wo?

Die EU-Kommission hatte konkretisiert, wie sich die Europäische Union die auf dem Gipfeltreffen im Juni beschlossenen Aufnahmezentren vorstellt. So sollen alle Kosten, die durch solche Zentren entstehen, von der EU übernommen werden. Jene Staaten, die darin auf freiwilliger Basis Flüchtlinge aufnehmen, sollen laut dem Vorschlag 6000 Euro pro Migrant erhalten. Bisher hat sich aber noch kein EU-Staat dazu bereiterklärt, Aufnahmezentren einzurichten.

In diesen Zentren soll innerhalb von drei Tagen geprüft werden, ob Ankömmlinge Anspruch auf Asyl in der EU haben. Flüchtlinge für die dies nicht gilt, sollen abgeschoben werden.

Integration nicht erwünscht

Die Nachrichtenagentur AFP meldet, die italienische Regierung wolle die Leistungen für Flüchtlinge deutlich einschränken. Die derzeit rund 136.000 Asylbewerber in Italien sollten künftig nur noch ein Minimum an Geld und kaum Zugang zu Integrationsmaßnahmen erhalten, ordnete Innenminister Salvini demnach an. „Mehr Kontrollen und weniger Ausgaben. Im Bereich Zuwanderung verändern sich die Dinge endlich, wie versprochen“, zitiert die Agentur den Minister.

Laut Salvinis Anordnung sollen Integrationsmaßnahmen wie Italienischkurse und Ausbildungen sowie psychologische Betreuung denjenigen vorbehalten sein, die bereits eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben. Asylbewerber harren teilweise mehr als zwei Jahre in den Aufnahmezentren aus, bevor ein solcher Bescheid ausgestellt wird.

Italienischen Medienberichten zufolge sollen Asylbewerber künftig noch etwa 20 Euro täglich erhalten. Bislang erhalten sie zwischen 30 und 35 Euro täglich, in bestimmten Fällen bis zu 45 Euro. Den Staat kostet das jährlich fast drei Milliarden Euro.

Vor knapp zwei Wochen hatten sich die Vereinten Nationen auf den ersten globalen Migrationspakt geeinigt. Die an dem Pakt beteiligten UN-Mitgliedsstaaten, unter ihnen Italien, verpflichteten sich in den Abkommen auch dazu, Migranten Zugang zu sozialen Sicherungssystem zu gewähren. Die Vereinbarungen sind jedoch nicht bindend.

Maas: „Italien zu lange allein gelassen“

Der deutsche Außenminister Heiko Maas ist um Verständnis für die harte Haltung Italiens in der Flüchtlingspolitik bemüht. „Wir haben die Italiener in Flüchtlingsfragen zu lange allein gelassen“, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Und auch die Regeln zur Seenotrettung seien „ursprünglich nur für einige wenige Notfälle konzipiert“ gewesen. Mit Blick auf die EU-Marinemission „Sophia“ sagte Maas, es müsse geklärt werden, ob mehr Schiffe und mehr Personal im Mittelmeer gebraucht würden und wie viel in Nordafrika an Land getan werden könne. Die libysche Küstenwache brauche mehr Unterstützung.

Aufnahmezentren in Nordafrika für Maas unrealistisch

Maas äußerte zudem erhebliche Zweifel an möglichen Aufnahmezentren für Flüchtlinge außerhalb der EU in Nordafrika. „Bei diesen zentralen Aufnahmepunkten in Afrika sehe ich ein ganz praktisches Problem“, erklärte er der Funke-Mediengruppe: „Warum sollten die Leute in diese Zentren gehen, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung extrem hoch ist?“

Es sei unrealistisch, dass gerade diejenigen Menschen dort ausharren würden, „die wissen, dass ihre Chancen auf legale Aufnahme in der EU gegen null gehen“, führte der Minister aus. Diese Menschen würden nach neuen illegalen Wegen nach Europa suchen. Die Prüfung, ob Flüchtlingszentren in Nordafrika machbar sind, gehört zu den Beschlüssen des EU-Gipfels Ende Juni.
qu/wa (afp, rtr, ape, epd, kna)

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derStandard | 25.07.2018

Italien gegen EU-Vorschläge zu „Ausschiffungsplattformen“

Für Italien sei es nie eine Frage des Geldes gewesen, sagt der italienische Premierminister. Man wolle kein Geld, sondern Würde

Rom – Italien wehrt sich gegen die Vorschläge der EU-Kommission zu den sogenannten Ausschiffungsplattformen, deren Kosten aus dem EU-Budget bestritten werden sollen. „Für Italien war es nie eine Frage des Geldes. Die europäische Solidarität im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik hat keinen Preis“, sagte Premier Giuseppe Conte laut Medienberichten von Mittwoch.

Das Problem der Flüchtlingsversorgung kann seiner Meinung nach nicht mit einem finanziellen Beitrag aus Brüssel gelöst werden. Auch Innenminister Matteo Salvini lehnte den EU-Vorschlag entschieden ab.

„Italien braucht keine Almosen. Wir wollen die Flüchtlingsströme stoppen, weil wir zurzeit hunderttausende Migranten versorgen. Wir verlangen kein Geld, sondern Würde“, sagte Salvini. Jeder Asylsuchende koste Italien im Durchschnitt bis zu 50.000 Euro, so der Chef der rechten Lega.

Kleine Boote als Mittel

Derzeit kommt es in Italien verstärkt zur Landung von Migranten an Bord von Segelbooten oder anderen kleinen Booten. 56 syrische, kurdische und irakische Flüchtlinge, darunter elf Kinder, wurden am Mittwoch vor dem Strand der Gemeinde Isola Capo Rizzuto in Kalabrien gerettet.

Das Segelboot mit den Migranten war unweit von der Küste in Schwierigkeiten geraten. Touristen und Anrainer eilten den Migranten mit Schlauchbooten zu Hilfen und brachten sie zum Strand, wo sie mit Lebensmitteln und Kleidern versorgt wurden.

„Keiner der Menschen am Strand hat sich weggedreht. Die Migranten sind von vielen Menschen gerettet worden. Das bezeugt, dass wir Solidarität nicht vergessen haben“, so der sozialdemokratische Senator Ernesto Magorno.

Auf einem Strand nahe der sizilianischen Stadt Syracus trafen am Mittwoch 33 irakische Migranten an Bord eines Segelbootes ein. Drei mutmaßliche ukrainische Schlepper wurden festgenommen. Das Segelboot mit US-Fahne war vor sechs Tagen von einem türkischen Hafen abgefahren, berichteten italienische Medien.

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Telepolis | 24.07.2018

Migration: Welches EU-Land wird „kontrollierte Zentren“ auf seinem Boden errichten?

Auch die Frage nach Standorten für „Ausschiffungsplattformen“ ist noch offen. Ein EU-Konzeptpapier zeigt die Hilflosigkeit der Union angesichts der neuen italienischen Regierung

Thomas Pany

Die EU-Kommission hat heute ein Konzeptpapier zur „Steuerung der Migration“ veröffentlicht, in dem vieles, und ganz besonders die Hauptsachen, undeutlich bleibt und vor allem klar wird, in welche Hilflosigkeit die EU-Führung durch die neue italienische Regierung geworfen wurde.

Es geht um „kontrollierte Zentren“ und „Ausschiffung“ oder, um den Amtsjargon in die lebensnahen Probleme zu übersetzen, um die bekannten Fragen: Wo werden die Migranten, die mit dem Schiff in ein EU-Mitgliedsland kommen, zuerst aufgenommen, registriert und aufgeteilt in solche, die eine Chance haben, dass ihr Asylgesuch bewilligt respektive ein Bleiberecht zugestanden wird, und andere, die wieder in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden sollen?

Ziel der kontrollierten Zentren in der EU ist es vor allem, das Verfahren zur Unterscheidung zwischen Personen, die internationalen Schutz benötigen, und irregulären Migranten, die kein Recht auf Verbleib in der EU haben, zu verbessern und deren Rückkehr zu beschleunigen.

EU-Papier: Steuerung der Migration

Zum Problembereich „Ausschiffung“ wird notiert, dass die EU-Staats-und Regierungschefs die Kommission aufgefordert haben, zusätzlich zur Einrichtung der kontrollierten Zentren das Konzept „regionaler Ausschiffungsvereinbarungen“ zu prüfen. Dabei ist an eine Partnerschaft mit Drittstaaten, dem UNHCR und der IOM gedacht. Auch hier ist von Zentren für Migranten die Rede, die „Ausschiffungsplattformen“ genannt werden.

Ziel der regionalen Ausschiffungsplattformen ist die rasche und sichere Ausschiffung geretteter Menschen auf beiden Seiten des Mittelmeers im Einklang mit dem Völkerrecht einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und entsprechend einem verantwortungsvollen Verfahren nach der Ausschiffung.

EU-Papier: Steuerung der Migration

Bislang, so der Eindruck, der auch aus dem Konzeptpapier aufscheint, hat man es sich in der EU-Kommission und auch bei den „tragenden EU-Säulen“ Deutschland und Frankreich, leicht gemacht, indem man alle Verantwortung für die übers Meer kommenden Migranten auf den EU-Außengrenzenstaat Italien abwälzte.

Ein Artikel, der kürzlich in Le Monde erschien, macht diese Haltung mit dem Anspruch deutlich, dass Frankreich ganz fest damit rechnete und darauf pochte (und dies anscheinend bis vor kurzem), dass die „kontrollierten Zentren“ in Italien errichtet werden. Zugleich hieß es, dass die Errichtung solcher Zentren in Frankreich nicht infrage komme. Die Haltung in Paris ist unmissverständlich und gibt sich unbeugsam (vgl. EU-Migrationspolitik: Die diskrete Härte Frankreichs). Dass sich Deutschland hier wesentlich anders positioniert hat, ist dem Autor nicht bekannt.

Italien wollte man die Einrichtung solcher Zentren mit finanziellen Zugaben und allerhand Hilfsversprechen schmackhafter machen. Dieses Prinzip taucht auch im Konzeptpapier auf:

(…) volle finanzielle Unterstützung für freiwillig teilnehmende Mitgliedstaaten zur Deckung der Infrastruktur- und Betriebskosten sowie finanzielle Unterstützung für Mitgliedstaaten, die bereit sind, ausgeschiffte Personen aufzunehmen (6000 EUR pro Person)

EU-Papier: Steuerung der Migration

Und dazu „volle operative Unterstützung“, ebenfalls fettgedruckt, „durch Ausschiffungsteams der europäischen Grenzschutzbeamten, Asylexperten, Experten für Sicherheitsüberprüfung und Rückführungsbeamte; alle Kosten werden aus dem EU-Haushalt bestritten“.

Für die Annahme von 500 Migranten, die auf einem Boot anlanden, könnte die EU-Kommission nach eigenen Schätzungen bis zu 300(!) europäische Spezialisten mobilisieren, ergänzt ein Le Monde-Bericht die Informationen auf dem erwähnten Konzeptpapier (i.O.: „Pour un débarquement d’environ 500 migrants, la Commission estime pouvoir mobiliser jusqu’à 300 spécialistes européens“).

Man kann die Verzweiflung am Angebot ablesen: Wir schicken alles „voll viel Geld, voll viel Hilfe“. Die Verzweiflung hat damit zu tun, dass sich bisher noch niemand gefunden hat, der die frühere Rolle von Italien einnimmt. Was im Konzept zur Steuerung der Migration durch regionale Ausschiffungsvereinbarungen und die Einrichtung kontrollierter Zentren völlig fehlt, sind Zusagen von Ländern, die „kontrollierte Zentren“ oder Ausschiffungsplattformen errichten wollen. So bleibt es wieder einmal nur beim Appell:

Mehr denn je brauchen wir gemeinsame europäische Lösungen für die Herausforderungen der Migration. Wir sind bereit, die Mitgliedstaaten und Drittstaaten zu unterstützen, um eine bessere Zusammenarbeit bei der Ausschiffung von auf See geretteten Menschen zu erreichen. Damit dies aber vor Ort umgehend Wirkung zeigt, müssen wir gemeinsam handeln – nicht nur jetzt, sondern auch auf lange Sicht. Wir müssen auf nachhaltige Lösungen hinarbeiten.

Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Migration

Die „italienische Erpressung“ funktioniert für den Augenblick, kommentiert die französische Zeitung. Gemeint ist die Ansage der italienischen Regierung, dass sich die EU innerhalb von fünf Wochen überlegen muss, wie mit geretteten Migranten auf dem Mittelmeer umgegangen werden soll, danach werde man die italienischen Häfen auch für Schiffe der EU-Operation Sophia schließen, wenn sie Migranten an Bord haben.

Ob dies als Erpressung anzusehen ist, darüber wird man in Rom andere Anschauungen haben und auch darüber, ob sie „funktioniert“. Sehr weit sind die alternativ Lösungsvorschläge noch nicht geraten.

Der Zeitungsbericht weist auf einen Aspekt hin, der im EU-Papier nicht so deutlich wird: Nämlich die Schaffung von spontanen „kontrollierten Zentren“, die aufgrund der Dringlichkeit einer Situation gebildet werden, wie sie etwa im Fall der Aquarius oder der Lifeline entstanden sind (vgl. Italienische Schiffe übernehmen Passagiere der Aquarius). Wie das dann in der Praxis genau funktioniert, wird man sehen.

Im EU-Papier ist von einem Übergangsrahmen die Rede. Am 25. Juli sollen „die Botschafterinnen und Botschafter das Konzept der kontrollierten Zentren in der EU und die Möglichkeit einer raschen Einführung eines Übergangsrahmens für die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Menschen in der EU erörtern“.

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