Die Staatsanwaltschaft Catania (Sizilien) hat sich zu einer Agentur der Repression im zentralen Mittelmeer entwickelt. Doch die Sozialgeschichte der Flucht über das Mittelmeer und des informellen Handels lässt sich nicht in das staatsanwaltliche Konstrukt einer allumfassenden OK einpassen.
Mehr als die Hälfte des libyschen Diesel-Exports geht auf Schmuggelwegen ins Ausland. Das ist zunächst nicht weiter verwunderlich. Schon immer haben Preisunterschiede zwischen Ländern zu kleinem, aber massenhaftem Dieselschmuggel geführt. An den Straßen Südtunesiens verkaufen seit langer Zeit arme Leute libyschen Diesel aus Kanistern, genauso wie an den Straßen Westmarokkos algerischer Diesel verkauft wird. Im Falle Libyens kommt hinzu, dass das Land seit 2011 durch diverse lokale Milizen beherrscht wird.
Ebenfalls ist nicht verwunderlich, dass die Boat-people den Routen des Warenverkehrs folgen, hier also den Pipelines und den Dieselschiffen oder auch den Orientierungspunkten auf dem Meer, den Off-Shore-Ölplattformen mit ihren riesigen Aufbauten und fackelnden Feuern. Die kleinen Geschäftsleute auf dieser Route haben die besten transnationalen Verbindungen und können am ehesten für den migrantischen Transfer bürgen.
Die Staaten Italien und Malta und das italienische Öl-Grossunternehmen ENI haben sich in den letzten Jahren in diese Geschäfte auf widersprüchliche Art verstrickt. Einerseits bezahlt die ENI seit 2011 Lokalmilizen in Westlibyen, offensichtlich mit Zustimmung der italienischen Regierung, damit sie die „italienischen“ Raffinerien an der libyschen Küste und das libysche Ende der Meerespipeline bewacht. Andererseits sind seit Jahr und Tag eben diese Milizen im Dieselschmuggel und in der kommerziellen Fluchthilfe engagiert dabei. Einerseits übernimmt der italienische Staat alle Boat-people aus der riesigen maltesischen SaR- (Such- und Rettungs)-Zone, andererseits wird der maltesischen politischen Klasse und der sizilianischen Cosa Nostra eine wachsende internationale Brokerfunktion auf dem Dieselschmuggelmarkt zugestanden. Der Preis des Diesels der neuen offiziösen Schmuggler-Kartelle liegt bei einem Drittel des offiziell exportierten libyschen Diesels. Der Dieselschmuggel der kleinen Leute wird im zentralen Mittelmeer verdrängt.