23. April 2018 · Kommentare deaktiviert für „Migrationspolitik: Schädliche Hilfen“ · Kategorien: Afrika, Deutschland · Tags:

Zeit Online | 22.04.2018

Eine Bilanz der europäischen Migrationspolitik zeigt: Fluchtursachen mit Geld zu bekämpfen kann nach hinten losgehen.

Von Caterina Lobenstein

Als Europas Staats- und Regierungschefs vor ein paar Jahren einen neuen Kurs in der Flüchtlingspolitik einschlugen, hörte sich das vernünftig an: Sie wollten nicht Migranten und Flüchtlinge, sondern die Ursachen für deren Flucht bekämpfen. So formulierte es die deutsche Kanzlerin, so formulierten es auch die Regierungschefs in Frankreich, Italien und Osteuropa. Sie alle geben seither für diese Politik viel Geld; in den vergangenen drei Jahren hat die EU das Budget dafür um 75 Prozent aufgestockt. Allein der Treuhandfonds für Afrika umfasst fast 3,5 Milliarden Euro, zusätzlich will die EU mehr als 40 Milliarden Euro von privaten Investoren einwerben.

Am Ende sollen beide Seiten profitieren: die Afrikaner, weil endlich jene unheilvolle Dynamik aus Armut, Korruption und Gewalt durchbrochen werden könnte, die schon so viele Menschen in die Flucht geschlagen hat. Und die Europäer, weil sie weniger Migranten und Flüchtlinge versorgen müssten. Regierungschefs wie Angela Merkel oder Emmanuel Macron könnten endlich jene Botschaft verkünden, die ihnen helfen würde, an der Macht zu bleiben: Wir haben das Migrationsproblem im Griff. Aus europäischer Sicht war die milliardenschwere Politik der Fluchtursachenbekämpfung von Anfang an auch als eine Art innenpolitische Beruhigungspille gedacht. Und es sieht so aus, als würde sie wirken: 2017 kamen deutlich weniger Menschen aus Afrika nach Europa als im Jahr zuvor.

Allerdings hat die Pille Nebenwirkungen. Welche genau, das zeigt eine neue Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die der ZEIT vorliegt. Die SWP, ein unabhängiges Forschungsinstitut für Außen- und Sicherheitspolitik in Berlin, zählt zu den wichtigsten Beratern der Bundesregierung. In der Studie warnen die Migrations- und Afrika-Experten der Stiftung die europäischen Regierungen davor, nur auf schnelle Erfolge zu setzen, also auf sinkende Flüchtlingszahlen. Die Migrationspolitik der EU sei geprägt von einer „Fixierung auf Wanderungsstatistiken“. Dass sie nebenbei Autokraten stärkt und vielerorts wirtschaftlichen Schaden anrichtet, werde bislang weitgehend ausgeblendet.

Die Forscher haben in Staaten wie Marokko und Niger, Ägypten, Sudan und Eritrea recherchiert, haben mit Politikern, mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft und aus internationalen Organisationen gesprochen.

Zwei grundsätzliche Probleme haben sie dabei beobachtet. Erstens: Mit europäischem Geld soll eine schärfere Bewachung der Mittelmeerküste und der innerafrikanischen Grenzen erkauft werden – aber nicht in allen Staaten greift diese Taktik. Zum Beispiel weil manche Staaten nicht auf das Geld verzichten wollen, das Bürger, die nach Europa fliehen, an ihre Verwandten in der Heimat zurückschicken. Die Summe dieser Rücküberweisungen liegt in vielen Ländern deutlich höher als die Entwicklungshilfe, die sie empfangen. Bemerkenswert ist dieser Punkt auch deshalb, weil im deutschen Innenministerium nach wie vor Beamte sitzen, die glauben, man könne mit europäischem Geld in Afrika fast alles regeln.

Zweitens: Dort, wo sich afrikanische Regierungen auf Deals mit der EU einlassen, schadet das Geld womöglich mehr, als dass es nützt. In Niger etwa lebten bis vor Kurzem ganze Landstriche von der Unterbringung und vom Transport durchreisender Migranten und Flüchtlinge. Nun seien dort viele Menschen arbeitslos. Vor allem junge Männer drohten von islamistischen Terroristen angeworben zu werden.

Oder im Süden Algeriens. Dort treiben die Tuareg seit Jahrhunderten grenzüberschreitenden Handel, der nun durch verschärfte Kontrollen behindert werde, was wiederum zu Protesten führe. Oder im Sudan und in Ägypten, wo das Geld Europas die Macht der Autokraten festige.

Noch vor wenigen Jahren, nach dem Arabischen Frühling 2011, hatten die EU-Staaten ihre Hilfen an eine klare Bedingung geknüpft: Wer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärkt, bekommt Geld. Heute, schreiben die SWP-Forscher, hätten sich die Prioritäten verschoben: „Die Hemmschwelle für eine Zusammenarbeit mit autoritären Regimen ist spürbar gesunken“ – solange sich die Autokraten bereit erklären, den Europäern die Flüchtlinge und Migranten vom Leib zu halten.

Die Studie sendet an Europas Politiker eine deutliche Warnung. Sie müssten „verhindern, dass das Füllhorn an europäischen Programmen und Projekten innere gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungleichgewichte verschärft oder Konflikte auslöst“. Anders gesagt: Wenn Europa nicht höllisch aufpasst, könnte die Strategie der Fluchtursachenbekämpfung nach hinten losgehen. Dann nämlich, wenn wirtschaftliche Not und Repression so unerträglich werden, dass sich am Ende noch mehr Menschen entscheiden, übers Meer nach Europa zu fliehen.

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