SOS Mediterranee | 01.04.2018
Nach der Beschlagnahmung des spanischen NGO-Schiffs von Pro Activa Open Arms durch italienische Behörden letzte Woche war die von SOS MEDITERRANEE und Ärzte ohne Grenzen betriebene Aquarius zwischenzeitlich das einzige zivile Rettungsschiff im Mittelmeer. Die Bedingungen, unter denen die Rettungseinsätze im Mittelmeer derzeit stattfinden, werden jedoch immer komplizierter. Rettungsorganisationen sind zunehmend gezwungen, über die Evakuierung von Menschen in Seenot in einer angespannten Sicherheitslage und von Fall zu Fall zu verhandeln. Immer weniger Rettungsschiffe sind im Einsatz und gleichzeitig verzögern sich die Rettungen, wodurch Menschenleben in Gefahr gebracht werden.
90 Flüchtende von libyscher Küstenwache abgefangen
Nachdem die Aquarius am Gründonnerstag und Karfreitag in zwei Einsätzen bereits 253 Flüchtende aus Seenot gerettet und an Bord genommen hatte, durften am Ostersamstag in einem dritten Einsatz von insgesamt 129 Menschen nur 39 Personen – darunter schwangere Frauen, Kinder und Verletzte – auf die Aquarius gebracht werden. Die Rettung der restlichen 90 Menschen von dem heillos überbesetzten Schlauchboot beanspruchte die libysche Küstenwache für sich. Die Menschen wurden nach Libyen zurückgebracht, wo internationale Menschenrechtsstandards nachweislich nicht eingehalten werden.
„Gestern Mittag hat uns die italienische Seenotleitstelle MRCC, unter deren Koordination wir unseren Einsatz ausführen, zuerst zu einem Schlauchboot in Seenot gerufen und uns dann mitgeteilt, dass die libysche Küstenwache die Rettung übernehmen wird“, erklärte Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS MEDITERRANEE Deutschland e.V.
Die Aquarius erreichte vor der libyschen Küstenwache das in Seenot befindliche Schlauchboot und teilte der italienischen Rettungsleitstelle mit, dass die Menschen an Bord dringend Rettungswesten benötigten. Wenig später erhielt die Aquarius einen Anruf der libyschen Küstenwache, die mitteilte, dass sie die Koordination der Rettung übernommen habe. Die Aquarius verteilte in der Zwischenzeit Rettungswesten an alle Menschen auf dem Schlauchboot. Dabei stellte das Rettungsteam der Aquarius fest, dass sich Kinder, ein neugeborenes Baby und medizinische Notfälle auf dem Schlauchboot befanden. Unter Einwilligung der libyschen Küstenwache konnte SOS MEDITERRANEE diese schutzbedürftigen Menschen an Bord der Aquarius bringen. Der Organisation wurde jedoch untersagt, die restlichen Insassen des Schlauchboots zu evakuieren. Stattdessen wurden diese von der libyschen Küstenwache zurück nach Libyen gebracht.
SOS MEDITERRANEE ist allein dieses Jahr über 1.400 Flüchtenden im Mittelmeer zur Hilfe gekommen. Trotz des Rückgangs der Ankünfte in Europa hat die Zahl der Todesfälle seit Beginn des Jahres im Mittelmeer laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) im Vergleich zum Vorjahr um 75% zugenommen. Daher bleibt der humanitäre Notstand im Mittelmeerraum weiterhin eine dramatische Realität. 2018 sind bereits 359 Menschen bei dem Versuch, über das Mittelmeer zu fliehen, ums Leben gekommen.
„Da es kein klares, öffentliches und transparentes Protokoll für die Intervention der libyschen Küstenwache in internationalen Gewässern gibt, fordern wir die zuständigen europäischen und internationalen Institutionen nachdrücklich dazu auf, die Rahmenbedingungen für den Einsatz der verschiedenen Akteure im Mittelmeer zu klären. Wenn sich dieser Rahmen kürzlich geändert hat und wir daran gehindert werden, Menschen in Seenot zu retten, wenn wir unseren Einsatz nicht mehr sicher durchführen können, dann sollten wir und alle anderen europäischen Bürger die ersten sein, die darüber informiert werden.“ sagte Sophie Beau, Vize-Präsidentin des internationalen SOS MEDITERRANEE Netzwerks.
SOS MEDITERRANEE wird Flüchtende nicht nach Libyen zurückbringen. Dort sind sie schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Der Einsatz der libyschen Küstenwache, der durch die Europäische Union und die Bundesregierung legitimiert wird, bleibt fragwürdig.
Mit der Bitte um Veröffentlichung.
Für Fotomaterial, Interviews und Rückfragen kontaktieren Sie bitte:
Verena Papke, SOS MEDITERRANEE Deutschland e.V., v.papke@sosmediterranee.org, +49 163 311 5055