30. Januar 2018 · Kommentare deaktiviert für „Auffangländer für Flüchtlinge“ · Kategorien: Jordanien, Libanon · Tags:

German Foreign Policy | 30.01.2018

Mit Reisen nach Jordanien sowie in den Libanon bemüht sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um den Ausbau einer eigenständigen deutschen Position in Nahost. In offen erklärter Distanz zu Maßnahmen der Trump-Administration hat Steinmeier in den vergangenen Tagen Gespräche in der jordanischen Hauptstadt Amman geführt, die neben den gegenwärtigen Großkonflikten in Nah- und Mittelost, etwa dem erbitterten Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und Iran, auch die Lage in Jordanien selbst zum Gegenstand hatten. Das Land erhält von Deutschland Rüstungsgüter in Höhe einer insgesamt sechsstelligen Millionensumme, um den Zustrom von Flüchtlingen strikt zu kontrollieren. Jordanien bietet mehr Syrern und Irakern Zuflucht als die Bundesrepublik auf dem Höhepunkt der hierzulande „Krise“ genannten Phase der Aufnahme von Flüchtlingen. Berlin stellt weitere Mittel bereit, damit dies so bleibt: Dies gilt als billiger als die ökonomischen, vor allem aber auch die politischen Kosten einer Unterbringung neuer Flüchtlinge in der EU.

Nachbarländer des Krieges

Die aktuelle Nahostreise des Bundespräsidenten gilt mit Jordanien und dem Libanon zwei Staaten, die es trotz ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zum syrisch-irakischen Kriegsgebiet und trotz erheblicher innerer Spannungen geschafft haben, ihr eigenes Territorium vom Übergreifen der Kämpfe freizuhalten. Beide haben jedoch in erheblichem Umfang Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak aufgenommen – und tragen, quasi als Auffangbecken, maßgeblich dazu bei, deren Weiterreise in die Wohlstandszentren der EU zu verhindern. Dies liegt im Interesse der Bundesrepublik.

Mehr Flüchtlinge als in Deutschland

Jordanien, wo Frank-Walter Steinmeier gestern demonstrativ ein Flüchtlingslager besuchte, hat – bei einer Einwohnerzahl von ursprünglich rund 6,5 Millionen – laut Angaben des UNHCR bislang mehr als 650.000 registrierte Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die Zahl derjenigen Syrer, die ohne förmliche Registrierung in dem Land Zuflucht gesucht haben, liegt offiziellen Schätzungen zufolge annähernd ebensohoch. Hinzu kommen laut der jordanischen Statistikbehörde mindestens 300.000 Flüchtlinge aus dem Irak. Damit hat Jordanien, dessen Bruttoinlandsprodukt zur Zeit bei rund 40 Milliarden US-Dollar im Jahr liegt, mehr Flüchtlinge aufgenommen als das reiche Deutschland – Bruttoinlandsprodukt: 3,2 Billionen Euro – in den Jahren 2015 und 2016, dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise, zusammengenommen. Jordanien hat dies getan, obwohl seine Wirtschaft massiv unter dem Zusammenbruch der Beziehungen in den Irak und nach Syrien leidet. Die hohe Zahl an Flüchtlingen bringt zudem nicht nur das jordanische Gesundheitssystem, sondern zum Beispiel auch die Wasserversorgung des Landes an den Rand des Zusammenbruchs; Jordanien zählt zu den fünf wasserärmsten Ländern der Welt.[1]

Die „Ertüchtigungsinitiative“

Um einen Kollaps und die Weiterreise der Flüchtlinge zu verhindern, hat Berlin im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben rund 600 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte und für humanitäre Hilfe nach Jordanien bereitgestellt. Das Geld, das unter anderem Flüchtlingslagern und Bildungseinrichtungen zugute kommt und die Lebensbedingungen für syrische und irakische Kriegsflüchtlinge etwas erträglicher gestalten soll, gilt in Berlin als gut angelegt: Die ökonomischen und vor allem die politischen Folgekosten, die eine Unterbringung der Flüchtlinge in der Bundesrepublik verursachen würde, werden im deutschen Establishment als erheblich höher eingestuft. Berlin hat, um die Kontrolle der Flüchtlingsströme zu verbessern, Jordanien in den Jahren 2016 und 2017 zu einem Schwerpunktland seiner „Ertüchtigungsinitiative“ erklärt, in deren Rahmen Staaten – aus unterschiedlichen Gründen – militärisch punktuell aufgerüstet werden; Amman hat dabei allein 2016 gut 30 Millionen Euro erhalten, mit denen Aufklärungsgeräte und Schützenpanzer des Typs Marder finanziert wurden. Mitte Januar hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen während eines Besuchs auf dem Luftwaffenstützpunkt Al Azraq, der von der Bundeswehr genutzt wird (german-foreign-policy.com berichtete [2]), weitere Fahrzeuge aus einer Gesamtlieferung von 70 Lkw, 56 Kleinbussen und zwei Schul- und Trainingsflugzeugen übergeben. Ausdrückliches Ziel ist es,“die Beweglichkeit des jordanischen Militärs bei der Organisation der Aufnahme der Flüchtlinge im Grenzgebiet“ zu optimieren [3].

Finanzierungskonferenzen

Ähnlich liegen die Dinge im Libanon. Das Land hat ebenfalls eine überau hohe Zahl an Flüchtlingen aus Syrien aufgenommen; offiziell registriert sind – bei einer Einwohnerzahl von rund vier Millionen – mehr als eine Million syrische Flüchtlinge, wobei Beobachter ebenfalls von einer beträchtlichen Dunkelziffer ausgehen. Berlin hat Beirut laut Auskunft des Auswärtigen Amts allein im Jahr 2016 386 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die angespannte Situation kontrollierbar zu halten. Für den Zeitraum von Februar bis April dieses Jahres sind mehrere Konferenzen in Paris, Rom und Brüssel geplant, auf denen Geld bereitgestellt werden soll, um das Militär und die Infrastruktur des Landes zu stärken und die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern zu stabilisieren. Die heutigen Gespräche von Bundespräsident Steinmeier mit dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun sollen, wie es heißt, unter anderem diese Konferenzen sowie die Vergabe der davon erhofften Mittel durch die libanesische Regierung zum Gegenstand haben.

Drehscheibe in Nahost

Gleichzeitig ist Berlin bemüht, seine politische Stellung in der Region zu stärken. Dies entspricht den Plänen deutscher Strategen, die Kontrolle über den Staatenring um die EU von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis zur Region um das Schwarze Meer zu erlangen; man müsse das tun, heißt es, um die sich mehr und mehr auf die Pazifikregion konzentrierenden USA zu abzulösen (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Im prowestlich orientierten Jordanien, das – so heißt es etwa bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung – als „Drehscheibe der internationalen Politik … in der Region“ gilt, setzt sich gegenwärtig die Bundeswehr fest – auf dem dortigen Luftwaffenstützpunkt Al Azraq.[5] Schon seit geraumer Zeit bemüht sich die Bundesregierung zudem, die Anbindung der jordanischen Eliten zu intensivieren; als Instrument dazu dient nicht zuletzt die vor etwas über zehn Jahren gegründete Deutsch-Jordanische Universität in Amman.[6]

Anders als Trump

Bei seinen Versuchen, sich in der Region unabhängig von Washington zu profilieren, kann Berlin aus den jüngsten Aktivitäten der Trump-Administration Nutzen schlagen. So habe deren Beschluss „zur vollständigen Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt“ neue „Irritationen und Unruhen“ auch in Jordanien provoziert, konstatiert exemplarisch die Naumann-Stiftung; damit habe Washington „der jordanischen Führung“ ganz „erhebliche innenpolitische Probleme“ bereitet. Ohnehin werde „die enge (Militär-)Allianz mit den USA … von großen Teilen der Bevölkerung und des Establishments zunehmend kritisch gesehen“.[7] Steinmeier hat seine gestrigen Gespräche in Amman genutzt, um – gemäß der offiziellen Haltung der Bundesregierung – auf Distanz zu Trumps Jerusalem-Entscheidung zu gehen: Dass sie ein Beitrag zu einer friedlichen Entwicklung im Nahen Osten sei, könne man „mit guten Gründen bezweifeln“.[8] Ganz wie schon zuvor in Lateinamerika oder in Südostasien treibt Washingtons konfrontativer Kurs langjährige US-Verbündete zumindest tendenziell in die Arme Berlins.[9]

[1] René Klaff, Constanze Sturm: Königreich am Limit: Deutschlands Interesse an der Stabilität Jordaniens. freiheit.org 26.01.2018
[2] S. dazu Aufgaben für die Bundeswehr.
[3] Ursula von der Leyen besucht Bundeswehr in Jordanien. bmvg.de 13.01.2018.
[4] S. dazu Die Kriege der nächsten Jahre (I) und Ordnungsmacht im Krisengürtel.
[5] S. dazu Aufgaben für die Bundeswehr.
[6] S. dazu Eliten der Zukunft.
[7] René Klaff, Constanze Sturm: Königreich am Limit: Deutschlands Interesse an der Stabilität Jordaniens. freiheit.org 26.01.2018.
[8] Steinmeier dankt für Flüchtlingsaufnahme. n-tv.de 28.01.2018.
[9] S. dazu Der Anti-Trump, Der Anti-Trump (II) und Die Anti-Trump-Allianz.

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