06. Oktober 2017 · Kommentare deaktiviert für „Vorstoss Haftars im Westen Libyens“ · Kategorien: Europa, Italien, Libyen

NZZ | 06.10.2017

In Benghasi hat General Haftar den IS besiegt. Nun weichen Partner des Warlords bei Tripolis Fronten und Loyalitäten auf.

Der selbsternannte libysche Feldmarschall Khalifa Haftar richtet den Blick nach seinem Erfolg gegen die Islamisten in Benghasi gen Westen. Schon im August waren seine Einheiten in die Gegend der Mittelmeerstadt Sirte vorgestossen, in der sich bis Anfang Dezember 2016 der Islamische Staat in Libyen verschanzt gehalten hatte. Nun rücken die Haftar nahestehenden Sintan-Brigaden von Süden her langsam gegen Tripolis vor, und in Sabrata, 50 Kilometer westlich von Tripolis, machen seine Loyalisten den dortigen Clans das Leben schwer.

Kampf der Clans in Sabrata

Die derzeit wichtigste mit Haftar affiliierte Gruppe nennt sich «Kommandozentrale zur Bekämpfung des IS». Sie setzt sich zusammen aus Bürgern der Stadt und aus ehemaligen Offizieren der Nationalarmee. Unterstützt wird die Kommandozentrale von der Wadi-Brigade, in der Madkhalisten aus dem Dunstkreis Haftars den Ton angeben. Madkhalisten sind Salafisten, die sich von der Politik fernhalten, kein Kalifat anstreben, den Jihadismus grundsätzlich ablehnen und deswegen gemeinhin als obrigkeitshörig betrachtet werden. Ein Sprecher Haftars sagte am Mittwoch, die Kommandozentrale und die Wadi-Brigade verstünden sich beide als Verbündete des Generals und würden alle in Sabrata aktiven «Terrorgruppen» bis zu deren Ende bekämpfen.

In Sabrata dominieren zwei Clans, die Dabashi und die Garabli. Beide neigen zum Islamismus. Die Dabashi hatten lange gute Kontakte zum IS. Als die Kämpfer des Kalifats nach ihrer Niederlage in Sirte nach Tunis flohen, boten sie ihnen in Sabrata Durchgangslager und «sichere Häuser» an. Der Dabashi-Clan kontrolliert die wichtigsten Auffanglager für Migranten aus Schwarzafrika in Sabrata. Er betrieb lange das Schleppergeschäft mit den Migranten, bevor er es im Sommer gegen Millionenzahlungen der EU und Roms einstellte. Die Garabli wiederum standen der Kaida näher. Sie stellen heute einen guten Teil der Kämpfer jener Anti-IS-Kommandozentrale, deren Loyalität Haftar für sich in Anspruch nimmt. Im Sommer warfen sie den Dabashi-Clan aus Sabrata, heute beherrschen sie den Ostteil der Stadt, die Dabashi den Westen.

Haftar, der sich als legitimer General der libyschen Streitkräfte versteht, hat den «Krieg gegen Terroristen und Menschenschmuggler» in Sabrata als rechtens bezeichnet. Der Kampf werde weitergehen, bis diese Gruppen ihre Waffen abgäben, sagte er am Wochenende. Haftar kann den Deals der Europäer mit den Dabashis und den Bürgermeistern zahlreicher weiterer Küstenstädte zur Eindämmung des Migrantenstroms nichts abgewinnen. «Dies ist ein grosser Fehler», sagte er der Mailänder Tageszeitung «Corriere della Sera». Rom dürfe sich von diesen Gruppen nicht in die Irre führen lassen. Morgen schon würden sie um die europäischen Gelder kämpfen. «Das wird eine endlose Erpressung.» Italien hat Direktzahlungen an bewaffnete Gruppen dementiert.

Haftar ist gewiss nicht der Mann des Westens. Er opponiert bis heute gegen die Regierung Sarrajs, und die Herrscher in den Ländern, die ihm gewogen sind – Ägypten, die Emirate, Russland –, zählen nicht eben zu jenen lupenreinen Demokraten, die der Westen angeblich so schätzt. Doch Haftar ist mittlerweile eine Grösse, die man nicht mehr negieren kann, und er wird konsultiert. Als der britische Aussenminister Boris Johnson Ende August Libyen besuchte, machte er nicht nur Sarraj seine Aufwartung, sondern auch Haftar. Nur ein vereintes Libyen könne die Netzwerke der Schmuggler besiegen, sagte Johnson. Das war eine klare Offerte an Haftar, der zumindest verbal artig reagierte. Gewiss wäre eine politische Lösung «vorteilhaft», sagte der Warlord. Doch Terror werde eben nicht durch Diplomatie besiegt, sondern mit Waffen.

Wolfgang Pusztai, österreichischer Sicherheitsexperte und ein hervorragender Kenner Libyens, hält nicht eben viel von der Behauptung Haftars, die Anti-IS-Kommandozentrale und die Wadi-Brigade seien ihm völlig ergeben. Real sei der Einfluss Haftars auf diese Gruppen gering, sagt Pusztai.

Madchalisten als Türöffner

Wann Haftar zur grossen Offensive gegen Tripolis ansetzt, ist offen. Es ist durchaus möglich, dass die Einwohner Tripolis‘ der permanenten Machtkämpfe der Clans müde sind und deshalb das in Benghasi statuierte Exempel Haftars ganz attraktiv finden. Wenn der Warlord überhaupt in Tripolis Fuss fassen kann, dann vermutlich dank seinen guten Verbindungen zu den Madkhalisten, die mehr bewegen können als die Clans.

Die Europäer allerdings werden die Aktivitäten Haftars im Westen mit gemischten Gefühlen verfolgen. Der Deal mit den lokalen libyschen Machthabern, den der italienische Innenminister Marco Minniti eingefädelt hat, wird in Brüssel und in Rom als Erfolg betrachtet, ungeachtet der Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Wenn nun Haftar die Dabashi bekämpft, gefährdet dies den Migranten-Deal. Für die Milizen hat die Eindämmung der Migration hingegen keine hohe Priorität. Kommt es in Sabrata zu anhaltenden Kämpfen zwischen den Clans, werden die Schlepper rasch wieder das Kommando übernehmen und nach anderen Migrationsrouten suchen. Siegt Haftar im Westen, wird er sich nach Ansicht Pusztais sehr bald zum «Beschützer der libyschen Küsten» ernennen – und von den Europäern nicht Geld, sondern Ausrüstung verlangen.

Kommentare geschlossen.