17. August 2017 · Kommentare deaktiviert für Kampf gegen Migration: Berlin und Paris wollen Militär in Sahelzone aufrüsten · Kategorien: Afrika, Europa · Tags:

Spiegel Online | 17.08.2017

Die EU will Migranten aus Afrika am besten noch auf dem Kontinent stoppen. Deutschland und Frankreich wollen dafür das Militär vor Ort unterstützen – mit Waffen, Munition und Fahrzeugen.

Von Markus Becker, Brüssel

Die Hilfe Deutschlands und Frankreichs für eine Polizei- und Militärtruppe westafrikanischer Staaten geht offenbar weiter als bisher bekannt. Wie aus einem internen Dokument des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hervorgeht, wollen die Regierungen Berlin und Paris nicht nur bei Ausbildung und Infrastruktur der 5000-köpfigen „G5 Sahel Joint Force“ helfen, sondern auch Waffen, Munition und militärische Fahrzeuge liefern.

Mali, Niger, Tschad, Mauretanien und Burkina Faso haben den Aufbau des Verbands Anfang des Jahres beschlossen, der Uno-Sicherheitsrat stimmte im Juni zu. Die EU will 50 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Die Truppe soll bis September einsatzfähig sein und afrikanische Länder „in die Lage versetzen, ihre Sicherheit und ihre Stabilität zu verteidigen und sich gegen den Terror und die organisierte Kriminalität zu wehren“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Ende Juli bei einem Besuch mit ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly in Nigers Hauptstadt Niamey.

Doch laut dem EAD-Dokument soll der Verband auch gegen Schlepper kämpfen und zur Rückführung von Flüchtlingen in ihre Heimatländer beitragen.

Mit militärischen Mitteln gegen die Migration

Die Migrations- und Flüchtlingskrise dürfte ein Hauptgrund für das deutsch-französische Engagement sein. Allein bis zu 90 Prozent der Migranten, die in Libyen ankommen, wählen nach Schätzungen von Experten die Route über die nigrische Region Agadez. Viele von ihnen kommen anschließend übers Mittelmeer nach Europa – oder ertrinken bei dem Versuch.

Die EU versucht deshalb, die Menschen schon in Afrika aufzuhalten. Die Hoffnung: Spricht sich herum, dass ein Durchkommen nach Europa unwahrscheinlich wird, würden sich auch weniger Migranten auf den Weg machen. Auf der Westbalkanroute ist das bereits geschehen, und auch auf dem Mittelmeer gibt es bereits erste Anzeichen für eine solche Entwicklung.

Als von der Leyen und Parly in Niamey um weitere Unterstützer für das Sahel-Projekt warben, war vor allem von Materiallieferungen und logistischer Unterstützung die Rede. So brachte von der Leyen 100 Pritschenwagen, 115 Motorräder und 55 Satellitentelefone nach Niger mit, demnächst sollen Lastwagen, Gabelstapler und Feuerwehrautos folgen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums will man künftig auch in den Flughafen in Niamey investieren, um die Mobilität der nigrischen G5-Streitkräfte zu verbessern. Außerdem soll die Start- und Landebahn am Flugplatz Gao in Mali mit deutschen Mitteln saniert werden.

„Taktische Politik ohne strategische Weitsicht“

Doch das ist offenbar nicht alles. Frankreich und Deutschland hätten angekündigt, die G5-Truppe auch mit Waffen und Munition sowie Fahrzeugen für bewaffnete Einheiten zu beliefern, schrieb der EU-Außendienst Ende Juli an das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) in Brüssel, das mit Botschaftern der EU-Mitgliedsländer besetzt ist. Das Bundesverteidigungsministerium teilt dagegen auf Anfrage mit, Deutschland würde weder Waffen noch Munition stellen. Eine Ausstattung von G5-Einheiten erfolge „mit nichtletaler Ausrüstung“, sagte ein Sprecher.

Sollten Waffen und Munition ausschließlich aus Frankreich kommen, würde das die Sache nach Ansicht von Kritikern kaum besser machen. „Man liefert Waffen, ohne zu wissen, was dabei herauskommt“, sagt der Linken-Verteidigungspolitiker Alexander Neu. „Das ist taktische Politik ohne strategische Weitsicht.“ Problematisch sei auch, dass Menschen, die womöglich ein Recht auf Asyl hätten, künftig gar keine Chance mehr bekämen, Europa zu erreichen. „Das Asylrecht für Menschen, die um ihr Leben kämpfen müssen, wird damit untergraben“, so Neu.

Für den Grünen-Sicherheitsexperten Omid Nouripour ist „offenkundig, dass man der Migration mit Militarisierung begegnen will“. „Einheimische Truppen sollen die Drecksarbeit erledigen, die Menschen zur Rückkehr zu zwingen“, so Nouripour. Es sei zudem fragwürdig, einer „lupenreinen Diktatur“ wie dem Tschad Waffen zu liefern: „Es gibt keine Sicherheit, dass die dortige Regierung sie nicht eines Tages gegen die eigene Bevölkerung einsetzt.“

Berlin und Paris sehen das freilich anders. „Die Eingreiftruppe wird die Lösung für die Probleme der Region finden“, sagte Verteidigungsministerin Parly in Niamey. Darin sei sie sich mit von der Leyen einig. Mitte September soll in Berlin eine Geberkonferenz stattfinden, Frankreich und Deutschland werben derweil um weitere Partner. Italien und Spanien haben laut von der Leyen bereits Interesse angemeldet. Das Engagement Deutschlands und Frankreichs in den Sahelstaaten, sagte die Ministerin in Niamey, sei erst der Anfang.

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