09. August 2017 · Kommentare deaktiviert für Zurück nach Libyen heißt „zurück in die Hölle“ · Kategorien: Italien, Libyen · Tags: ,

Welt | 08.08.2017

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani dringt angesichts der Flüchtlingskrise im Mittelmeer auf einen Marshallplan für Afrika. In Rom bekommen sich die Minister der italienischen Regierung bereits in die Haare.

Von Constanze Reuscher, Rom

Der italienische Außenminister Angelino Alfano dürfte aufgeatmet haben, als er am Dienstagmorgen mit seinem Gesprächspartner, dem neuen UN-Sondergesandten für Libyen, Ghassan Salamé, im römischen Außenministerium vor die Presse trat.

Denn der UN-Sondergesandte, der am Dienstag seine erste Europatour in Rom begonnen hat, lobte die Arbeit der italienischen Regierung in Libyen. Salamé begrüßte den Beginn des italienischen Militäreinsatzes vor der libyschen Küste. Italien habe wie jedes Land das Recht, seine Grenzen zu schützen und der beste Weg „ist die Kooperation mit den Nachbarn“, sagte er. Es sei auch der richtige Weg für eine Lösung des Flüchtlingsproblems.

Dieser Meinung sind längst nicht alle in Italien: Es tobt ein erbitterter Streit über die Kooperation mit den Libyern, die dazu führen soll, möglichst viele Flüchtlinge zurück nach Libyen zu bringen. Vizeaußenminister Mario Giro sagte, das hieße, „sie in die Hölle zurückzubringen“.

Es ist ein Streit, in dem sich die ganzen Widersprüche der europäischen Flüchtlingspolitik konzentrieren. Es geht um die zentrale Frage, wie weit die Europäer gehen können, um ihre Außengrenze zu sichern. Ab wann verletzen sie internationales Recht, weil sie mit einem gescheiterten Staat kooperieren, der Menschenrechte verletzt?

Seit Monaten versucht die Regierung in Rom, praktisch im Alleingang, mit dem weiter anschwellenden Flüchtlingsandrang fertigzuwerden. Seit Anfang des Jahres sind knapp 100.000 Menschen in Italiens Häfen angekommen, wieder mehr als in den Vorjahren, und man fürchtete, dass es bis Jahresende 250.000 werden könnten. Die EU-Partner haben Italien alleingelassen.

Schlauchboote in libyschen Gewässern orten

Die italienische Regierung hat sich nun dazu entschieden – mit dem Segen der wichtigsten EU-Partner – einen härteren Kurs zu fahren. Die Rettungsschiffe der NGOs sollen sich an strenge Regeln halten, die libysche Küstenwache unterstützt werden, damit die Migranten gar nicht erst in Italien ankommen.

Seit vergangener Woche unterstützen die Italiener die Einsätze der libyschen Küstenwache mit Schiffen auch in den libyschen Hoheitsgewässern. Neben technischer Hilfe sollen sie dabei helfen, die Schlauchboote mit Flüchtlingen noch in den Gewässern zu orten, damit sie zurück nach Libyen gebracht werden, noch bevor die Boote der internationalen NGOs zum Hilfseinsatz kommen. Aufgrund der internationalen Rechtslage dürfen nur libysche Schiffe die Flüchtlinge zurückbringen. Sobald die Flüchtlinge auf einem Schiff mit europäischer Flagge sind, müssen sie an einen sicheren Ort gebracht werden – also nicht Libyen.

Die Menschenrechte der Flüchtlinge werden in Libyen nicht geachtet. Die Zustände in den Lagern gelten als katastrophal. Die Kooperation ist jedoch auch der einzige Weg, die europäische Außengrenze im Mittelmeer zu sichern.

Für die italienische Regierung ist ihr harter Kurs nun zur riskanten Gratwanderung geworden. Erst am Abend vor dem Besuch des UN-Sondergesandten hatte es in der Regierung riesigen Krach gegeben: Innenminister Marco Minniti war einer wichtigen Kabinettssitzung ferngeblieben – aus Protest an scharfer Kritik, die aus den eigenen Reihen der Ministerkollegen an ihn gegangen war.

Minniti behauptet, der Marineeinsatz zur Unterstützung der libyschen Küstenwache zeige Erfolg: Auch deswegen seien die Ankunftszahlen der Flüchtlinge im Juli erstmals zurückgegangen.

Minniti setzt nicht nur auf eine rigorose Kontrolle der Flüchtlingsaufnahme sowie assistierte Rückführung, die er auch aus sicherheitspolitischen Gründen für vorrangig hält. Er verordnete einen Verhaltenskodex für die freiwilligen Retter der Nichtregierungsorganisationen, NGOs, die mit ihren privaten Schiffen im Mittelmeer unterwegs sind und jedes Jahr einen großen Teil der Flüchtlinge von den morschen Schleuserbooten aufnehmen und nach Italien bringen.

Die NGOs stehen unter dem Verdacht, Flüchtlinge nicht nur aus Seenot zu retten, sondern direkt von den Schleusern zu übernehmen. Anfang August wurde das Schiff „Iuventa“ der deutschen NGO „Jugend rettet“ beschlagnahmt. Politisch waren die Organisationen seit Monaten vor allem von der ausländerfeindlichen Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung als „Taxis auf dem Mittelmeer“ kritisiert worden.

„Die Menschen landen in Libyen wieder in Haft“

Doch auch bei den UN-Flüchtlingsorganisationen UNHCR und IOM stößt die harte Politik der Italiener auf Kritik. Der Südeuropadelegierte des UN-Flüchtlingskommissariats, Stephane Jaquemet, sagte der WELT am Dienstag, dass das wirkliche Problem sei, „dass die Menschen wieder in Haft in Libyen landen, wo die Bedingungen in vielen Fällen nicht den humanitären Ansprüchen genügen“.

Wegen des internationalen Seerechts und humanitärer Standards riskiert Italien auch eine Auseinandersetzung mit dem Europäischen Gerichtshof. 2012 war Italien zur Entschädigung von 24 Flüchtlingen verurteilt worden. Die italienische Küstenwache hatte sie im Mittelmeer aufgegriffen und nach Libyen zurückgeschickt, wo einige von ihnen gefoltert wurden. Für die EU-Richter galt das Argument, sie seien in internationalen Gewässern gerettet worden, nicht. Ein italienisches Schiff sei auch italienisches Hoheitsgebiet.

Die Spannung in der Regierung, die im nächsten Frühjahr in den Wahlkampf muss, entlud sich am Montag. Justizminister Andrea Orlando sagte, Minnitis Regelkodex dürfe „nicht zu einer generellen Kriminalisierung dieser Organisationen führen“. Verkehrsminister Graziano Delrio kritisierte die Marinemission der Regierung. Für die Schiffe der italienischen Küstenwache und die Häfen sei zu einem Teil auch er zuständig. Niemand könne die einfach für einlaufende Schiffe sperren.

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