05. August 2017 · Kommentare deaktiviert für Beweise gegen „Iuventa“ gefälscht? · Kategorien: Italien, Libyen · Tags:

der Freitag | 05.08.2017

Wenige Tage nach der Beschlagnahme des Schiffes Iuventa der Teltower Organisation Jugend Rettet werden Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft Trapani laut.

Marian Schraube

Sie beziehen sich auf die in den meisten Medien verbreiteten Fotos und Videos der italienischen Staatspolizei.

Der Fotograf und Reporter Eric Marquardt, der selbst an Bord von Rettungsschiffen war und Missionen dokumentiert hat, ist sich sicher: Beweise einer Kollusion zwischen Schleppern und der Crew der Iuventa liefern sie nicht. Beispiel:

In einem längeren Beitrag bei Facebook widerlegt Marquardt die von der italienischen Staatspolizei und der Küstenwache vorgenommene Beschriftung „TRAFFICANTI“. Das Bild zeige keine „Schmuggler“, sondern gewaltbereite Diebe, die die Gelegenheit nutzen, um den Außenbordmotor des Flüchtlingsbootes abzuziehen.

„Solche Situationen sind leider alltäglich“, schreibt Marquardt: „Oft können die NGOs, die nicht bewaffnet sind, nicht gegen diese Engine-Fisher vorgehen und sind ihnen selbst schutzlos ausgeliefert.“

Tatsächlich habe er bei seiner Fahrt auf der Seefuchs der Regensburger Organisation Sea-Eyefestgestellt: Es gebe „zahlreiche Nachweise für die Zusammenarbeit von libyscher Küstenwache mit Schleppern oder Engine-Fishern“. Das Vorgehen der Motoren-Diebe hat Marquardt bei der Gelegenheit in einem Video ebenso festgehalten

wie fotografisch das freundschaftliche Zusammentreffen der libyschen Küstenwache mit den Piraten:

Das Bild zeigt das Boot der libyschen Küstenwache im Gespräch mit den Engine-Fischern. Die Engine-Fischer klauten später einen Bootsmotor, die libysche Küstenwache ermittelte nicht gegen sie.Marquardts Fazit: Die Zusammenarbeit zwischen libyscher Küstenwache und Schleppern wird von Italien und der EU „offenbar in Kauf genommen, weil die Milizen die ‚Drecksarbeit‘ vor der libyschen Küsten machen“.

Private italienische Sicherheitsfirma hat die Ermittlungen in Trapani in Gang gesetzt

Von seltsamen Zufällen ist aber auch bei Famiglia Cristiana die Rede. Das italienische Magazin hat in einem am Freitag online veröffentlichten Dossier auf eine interessante Verbindung aufmerksam gemacht: Zwischen den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Trapani gegen Jugend Rettet und Defend Europe, einer von der rechtsradikalen sogenannten Identitären Bewegung ins Leben gerufenen Organisation.

Bindeglied sei, so das Blatt, das private italienische Sicherheitsunternehmen IMI Security Servicemit Sitz in Villafranca Lunigiana (Toskana). Von einer von ihr betriebenen, der Öffentlichkeit nicht frei zugänglichen Social-Media-Seite seien vergangenen Oktober erste Hinweise zunächst an den italienischen Auslandsgeheimdienst AISE und an die Polizei über „verdächtige Bewegungen“ der am 2. August beschlagnahmten Iuventa gegangen.

Konkreter werden die Angaben gegenüber den Justizbehörden bei einer Aussage vom vergangenen 14 Oktober. Famiglia Cristiana zitiert aus den Akten des Ermittlungsrichters: „Insbesondere die Angaben von M.L. und G.P., als Angestellte von ‚IMI Security Service‘ vorübergehend an Bord der ‚VOS HESTIA‘ (zugehörig zur NGO ‚Save the Children‘) beschäftigt, die Ausgangspunkt des vorliegenden Strafverfahrens sind …“. Sie zeigten „gewisse Anomalien in den Search-and-Rescue-Operationen der ‚Iuventa‘ insbesondere in den entscheidenden Phasen der Seerettung [an], die oft in der Nähe der libyschen Küste erfolgte“.

Aus der Anzeige bei Geheimdienst und Polizei zitiert das Magazin weiter: „Während einer Hilfemaßnahme am 10. September 2016 haben wir außerdem bemerkt, dass […] sich ein Schlauchboot mit nur zwei Mann an Bord entfernte und Richtung libysche Küste fuhr […] Von diesem Umstand haben wir einen Bericht gefertigt, den wir an AISE gesandt haben“.

Die Verbindungen zur „Identitären Bewegung“

Ob die beiden Personen die „verdeckten Ermittler“ sind, von denen die Tageszeitung Repubblica vergangenen Mittwoch schrieb, ist dem Dossier von Famiglia Cristiana nicht zu entnehmen. Dafür aber das Näheverhältnis von IMI Security Service zum italienischen Ableger der sogenannten Identitären. Mitglied der geschlossenen Facebook-Gruppe von IMI ist Gian Marco Concas, einem Sprecher von Generazione Identitaria.

Der in Navigation bewanderte Skipper gelte als „technischer Direktor“ der Fahrt mit der gecharterten C-Star, mit denen die „Identitären“ die Rettungsmaßnahmen der NGOs stören wollen. Und er erscheint bestens informiert. Auf ihrer Facebook-Präsenz schreiben die italienischen „Identitären“ am 3. August: „Die Nachforschungen von Gian Marco Concas, Kapitän von DefendEurope, zur Tätigkeit der ONG beginnen Früchte zu tragen. Noch muss die C-Star erst am Ziel ankommen, aber schon haben wir Open Arms und die Golfo Azzurro ertappt, während sie in libyschen Gewässern operieren, wie die Karten zeigen“.

Karten vom 23. Juli, die so ähnlich schon am 25. Juli über den Twitter-Account von Defend Europe verbreitet worden waren. Und möglicherweise gefälscht sind. Famiglia Cristiana zitiert dazu technische Mitarbeiter von Marine Traffic, dem Hub für das AIS-Ortungssystem, wonach der Transponder von Open Arms manipuliert gewesen sei. Die Praxis selbst sei bekannt, vor allem zum Zweck des Versicherungsbetrugs. Darüber hinaus aber sei es möglich, auch per Fernwartung di Positionsangaben eines Schiffes zu beeinflussen, etwa durch die Simulation eines Radiokontakts mit maritimen Behörden.

Offene Fragen

Inzwischen hat Concas auf den Artikel per Facebook-Eintrag reagiert. Darin schreibt er von „angeblichen Verbindungen zwischen mir und privaten geheimdienstlichen Organisationen“. Die Zugehörigkeit zur Facebook-Gruppe der Sicherheitsfirma IMI stellt er nicht in Abrede.

Die seltsame Übereinstimmung der Aktionen der Staatsanwaltschaft Trapani mit der Ankunft der C-Star in den Gewässern vor Libyen und die besondere Informiertheit der „Identitären“ sind nicht die einzigen Fragen, die sich stellen. Von besonderem Interesse wird sein, wer die verdeckten behördlichen Ermittler waren, eventuell noch sind und von welchem Standort aus die gegen die Iuventa vorgelegten Aufnahmen gemacht wurden.

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