28. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für Die »Gegenküsten« kontrollieren · Kategorien: Ägypten, Algerien, Deutschland, Tunesien · Tags: , ,

junge Welt | 28.02.2017

Die Bundesregierung arbeitet an der Abschottung Europas – am besten schon in Afrika

Von Jörg Kronauer

Die Bundesregierung lässt nicht locker. Natürlich werde Angela Merkel am Donnerstag in Kairo auch über die Sache mit den parteinahen Stiftungen diskutieren, bestätigt ein Regierungssprecher. Die Angelegenheit ist zum Dauerbrenner in den deutsch-ägyptischen Beziehungen geworden, sehr zum Missfallen Berlins, das aus geostrategischen Gründen die Kooperation mit Ägypten sucht.

Was ist geschehen? Seit Dezember 2011 gehen die ägyptischen Behörden repressiv gegen die deutschen Stiftungen vor. Zunächst erwischte es die Konrad-Adenauer-Stiftung, die der CDU nahesteht, deren Büro in Kairo im Dezember 2011 auf Veranlassung des damals regierenden Militärrats durchsucht wurde. Es folgte ein Prozess, der im Juni 2013 mit der Verurteilung des ins Ausland geflohenen Büroleiters zu fünf Jahren Haft endete. Die Stiftung habe mit ausländischem Geld Unruhe im Land geschürt, hieß es in der Urteilsbegründung. Ein Jahr später war die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) an der Reihe. Im September 2014 musste sie ihre öffentlichen Aktivitäten in Ägypten einstellen, durfte aber zunächst noch ein Verbindungsbüro unterhalten, um Kontakte zu pflegen. Im Mai 2016 hieß es dann, auch das müsse nun unterbleiben. Seitdem unterhält nur noch die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) in der ägyptischen Hauptstadt eine Außenstelle. Die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Die Linke) haben ihre nach der arabischen Revolte des Jahres 2011 gestarteten Bestrebungen, Büros in Kairo zu eröffnen, unter dem Eindruck der harten ägyptischen Repression längst eingestellt.

Auch wenn die Bundesregierung sich mit ihrem Einsatz für die parteinahen Stiftungen als Vorkämpferin gegen Repression zu profilieren sucht: Tatsächlich geht es ihr um Einflusssicherung. Die Stiftungen spielen im komplexen Gewebe der deutschen Außenpolitik eine bedeutende Rolle; nicht umsonst hat Roman Herzog sie in seiner Amtszeit als Bundespräsident einmal ganz offen als »wirksamste und bewährteste Instrumente der deutschen Außenpolitik« eingestuft. Freiwillig verzichtet Berlin auf solche Instrumente nicht. (JK)

»Vorverlagerungsstrategie«: So heißt im sterilen Bürokratendeutsch der Bundesregierung das wohl dringendste der Anliegen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Donnerstag ins Flugzeug nach Nordafrika treiben. Mit dieser Region beschäftigt die Kanzlerin sich viel in diesen Tagen. Erst am 14. Februar hat sie den tunesischen Premierminister Youssef Chahed in Berlin empfangen; am 20. Februar, unmittelbar nach der Münchner »Sicherheitskonferenz«, wollte sie nach Algerien reisen, um dort den Minister- und den Staatspräsidenten zu treffen – doch weil letzterer, wie es hieß, plötzlich an einer Bronchitis erkrankt war, musste Merkel zu Hause bleiben. Dafür fliegt sie am Donnerstag zunächst nach Kairo, um von dort nach Tunis aufzubrechen, wo sie am Freitag – ganz wie zuvor in Ägypten – mit dem Staats- und dem Ministerpräsidenten zusammentreffen wird. Den Algerientrip will die Kanzlerin bald nachholen. Es ging und geht bei den Zusammenkünften vor allem um die Abwehr von Flüchtlingen, die die Bundesregierung nicht mehr direkt an den EU-Außengrenzen am Hals haben, sondern möglichst weit wegschieben will – wenigstens auf die andere Seite des Mittelmeers. Vorverlagern eben.

Das Kernproblem liegt aus Sicht deutscher Regierungsbürokraten zur Zeit wohl in Libyen. Der NATO-Krieg hat das Land und seine Gesellschaft zerstört – so nachhaltig, dass nicht absehbar ist, wie die libysche Küste, von der gegenwärtig die allermeisten Flüchtlingsboote aus Nordafrika mit Kurs auf Europa ablegen, annähernd unter Kontrolle gebracht werden soll. Die Bundesregierung hat den deutschen Diplomaten Martin Kobler ins Amt des UN-Sonderbeauftragten für Libyen gehievt; doch Kobler hat bisher nicht wirklich viel reißen können. Merkel wollte vergangene Woche mit der Regierung des angrenzenden Algerien nach einem »Weg zur Stabilisierung und zur Stabilität« für Libyen suchen, wie ihr Sprecher es formulierte; sie wird nun am Donnerstag mit der Regierung Ägyptens darüber reden. Kairo unterstützt, anders als Berlin, das klar auf die sogenannte Einheitsregierung setzt, den libyschen General Khalifa Haftar, einen der mächtigsten Männer im Land, an dem derzeit nicht vorbeikommt, wer wenigstens eine gewisse Kontrolle herstellen will. Mit schnellen Lösungen ist allerdings auch mit ihm nicht zu rechnen.

Also heißt es: verstärkt an den Grenzen aufrüsten, gerade auch an den Landgrenzen, um die Flüchtlinge möglichst schon von der nordafrikanischen Küste fernzuhalten. Die Bundesrepublik arbeitet schon seit Jahren energisch und beinahe flächendeckend daran. Zum Beispiel in Algerien. Bereits im Dezember 2010 konnte Merkel nach einem Gespräch mit dem algerischen Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika in Berlin mitteilen, Deutschland werde bei der Grenzsicherung mit dem Land kooperieren. Zunächst ist im März 2011 in Zusammenarbeit mit dem algerischen Verteidigungsministerium das Unternehmen Rheinmetall Algérie mit Sitz in Ain Smara bei Constantine gegründet worden, das knapp tausend Radpanzer des Modells »Fuchs« für Algeriens Streitkräfte herstellen soll. Die ersten dieser Panzer sind mittlerweile im Einsatz; sie werden unter anderem genutzt, um an Algeriens Landesgrenzen zu patrouillieren. Nicht nur das: Daimler lässt in Fabriken in Rouiba bei Algier und in Tiaret im Nordwesten Geländewagen sowie Unimogs für das algerische Militär montieren. Und die Airbus-Militärsparte, Rohde & Schwarz sowie Carl Zeiss haben 2012 in Algerien ein Gemeinschaftsprojekt gegründet, das nun vor Ort Radaranlagen, Infrarotkameras und Kommunikationsgerät für den Grenzschutz produziert.

Ein wenig mit Ausrüstung nachgeholfen hat die Bundesregierung auch in Tunesien. Das Land hat zwar keine Produktionsstätten deutscher Security-Konzerne erhalten, dafür aber Nachtsichtgeräte, Radarsysteme, Pick-ups, Gefechtshelme und ähnliches von Berlin geschenkt bekommen, sozusagen als Entwicklungshilfe. Zudem bilden deutsche Bundespolizisten im großen Stil tunesische Grenzschützer aus; »spätestens 2020«, das kündigte im Herbst 2016 ein tunesischer General gegenüber der Zeit an, werde »an allen Grenzen Tunesiens nach deutschen Standards patrouilliert«. Diverse Fortbildungsprogramme für Grenzpolizisten hat die Bundesregierung auch Ägypten zugesagt; beide Seiten haben die Kooperation eigens in einem Sicherheitsabkommen festgelegt, das am 11. Juli 2016 unterzeichnet wurde. Die Zusammenarbeit mit Ägypten umfasst dabei auch die berüchtigten Geheimdienste des Landes. Schon im November 2015 hat das BKA beispielsweise einen ersten Lehrgang für 25 Beamte des ägyptischen Inlandsgeheimdienstes NSS (National Security Service) durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit der Ermittlungsabteilung der NSS-Zentrale in Kairo sei »insgesamt sehr gut und vertrauensvoll« und habe »hohe strategische Bedeutung«, erklärt die Bundesregierung. Neben der personellen Unterstützung hat Berlin auch Bereitschaft bekundet, Grenzschutztechnologie zu liefern. Und ein Konsortium aus der französischen Thales Alenia Space und Airbus Space, der Weltraumabteilung der in Ottobrunn bei München ansässigen Airbus-Rüstungssparte, wird Kairo einen Kommunikationssatelliten für’s Militär liefern.

Apropos Militär: Deutsche Unternehmen liefern auch Kriegsschiffe nach Nordafrika, etwa vier U-Boote an Ägypten, von denen Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) das erste im Dezember ausgeliefert hat, und zwei Fregatten, die TKMS schon im vergangenen Jahr an Algerien übergeben hatte. Geht’s jetzt mit U-Booten gegen Flüchtlinge? Natürlich nicht. Berlin plant längst weiter: Liefere man deutsche Fregatten an Algerien, dann begünstige das eine künftige Kooperation der Seestreitkräfte des Landes »mit europäischen Mittelmeermarinen«, erläuterte Ende 2015 das Fachblatt MarineForum. Ägypten wiederum kauft deutsche U-Boote, um seine Marine gleichfalls ein Stück weit in Richtung Europa zu orientieren. Die Kooperation mit Militärs in Nordafrika zur Flüchtlingsabwehr könnte in eine breiter angelegte Militärkooperation münden. Wozu das Ganze? Nordafrika sei »die Gegenküste Europas«, hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Anfang 2016 erklärt. Der Ausdruck entstammt nicht dem Bürokratendeutsch, sondern der Sprache der Geostrategen. Nach deren Auffassung muss ein mächtiges Reich seine »Gegenküste« kontrollieren, um das dazwischen liegende Meer zu beherrschen: Nur so könne es sich und seinen Reichtum auf Dauer vor Anstürmen welcher Art auch immer bewahren.

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