27. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Rettungseinsätze vor Libyen müssen auf den Prüfstand“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland, Europa, Libyen, Mittelmeerroute · Tags: , ,

Welt | 27.02.2017

Frontex-Direktor Leggeri kritisiert die Aktionen von Hilfsorganisationen vor Afrika. Das Geschäft der Schleuser dürfe nicht befeuert werden – zumal wieder mehr Flüchtlinge als 2016 erwartet werden.

Von Manuel Bewarder, Lisa Walter

Seit vor einem Jahr entlang der Balkanroute die Grenzen strenger kontrolliert werden, kommen sehr viel weniger Migranten über diesen Weg nach Mitteleuropa. Das europäische Versprechen einer sicheren Außengrenze ist dennoch mitnichten erfüllt. Im vergangenen Jahr kamen rund 180.000 Migranten aus Nordafrika nach Italien. Etwa 5000 starben dabei. Im Interview erklärt der Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex, dass Europa seine Grenze sichern und gleichzeitig mehr legale Möglichkeiten zur Einreise schaffen soll. Der 48-jährige Franzose Fabrice Leggeri ist seit 2015 Chef der Agentur mit Sitz in Warschau.

Die Welt: Der Frühling steht kurz bevor, bald werden wieder viele die Fahrt übers Mittelmeer wagen. Mit wie vielen Migranten aus Libyen rechnen Sie in diesem Jahr?

Frabrice Leggeri: Prognosen sind immer schwer. Seit Beginn des Jahres haben trotz des schlechten Wetters bereits mehr als 4500 Migranten die Überfahrt nach Italien gewagt. 2016 ist die Zahl der irregulären Migranten aus Libyen um 20 Prozent gestiegen. Hunderttausende Migranten leben derzeit in Libyen. Aus Westafrika reisen zudem weiterhin viele in die libyschen Küstenorte. Wir müssen in diesem Jahr bereit sein, unter hohem Druck zu stehen. Man sollte damit rechnen, dass 2017 mehr kommen als 2016.

Die Welt: In der Vergangenheit hat Frontex die Rettungseinsätze von Hilfsorganisationen vor der Küste Libyens kritisiert. Diese würden Migranten zusätzlich motivieren, die Flucht zu wagen. Sollten die Rettungsaktionen gestoppt werden?

Leggeri: Jeder auf See hat die Pflicht, Menschen in Not zu retten. Dafür steht auch Frontex. Aber: Wir müssen verhindern, dass wir die Geschäfte der kriminellen Netzwerke und Schlepper in Libyen nicht noch dadurch unterstützen, dass die Migranten immer näher an der libyschen Küste von europäischen Schiffen aufgenommen werden. Das führt dazu, dass die Schleuser noch mehr Migranten als in den Jahren zuvor auf die seeuntüchtigen Boote zwingen, ohne genug Wasser und Treibstoff. Wir sollten deshalb das aktuelle Konzept der Rettungsmaßnahmen vor Libyen auf den Prüfstand stellen.

Die Welt: Die Helfer wiederum sind der Meinung, ohne ihre Hilfe würden Tausende Menschen mehr ums Leben kommen. Welche Probleme gibt es denn konkret?

Leggeri: Zuletzt wurden 40 Prozent aller Aktionen durch Nichtregierungsorganisationen durchgeführt. Das führt auch dazu, dass es für die europäischen Sicherheitsbehörden schwerer wird, über Interviews der Migranten mehr über die Schleusernetzwerke herauszufinden und polizeiliche Ermittlungen zu starten. Das funktioniert aber schlecht, wenn Hilfsorganisationen nicht gut mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten.

Die Welt: Was genau heißt „nicht gut“?

Leggeri: Ich sage mal so: Ich würde mich freuen, gäbe es mehr polizeiliche Ermittlungen.

Die Welt: Fast alle Migranten aus Libyen kommen in Italien an. Das Land macht erheblichen Druck und möchte die zentrale Mittelmeerroute am besten noch bis Sommer so gut wie möglich schließen. Wie kann eine kurzfristige Lösung aussehen?

Leggeri: Aus der Sicht von Frontex blicken wir mit Sorge auf Libyen: Dort gibt es keinen stabilen Staat. Wir haben auf der operativen Ebene derzeit praktisch keinen Ansprechpartner, um eine effektive Grenzsicherung voranzutreiben. Wir helfen jetzt bei der Ausbildung von 60 Offizieren einer möglicherweise künftigen libyschen Küstenwache. Das ist aber allenfalls ein Anfang. Wir können darauf hinarbeiten, dass wir mittelfristig eine Lösung mit Libyen erzielen.

Die Welt: Die EU-Außengrenze nach Nordafrika ist löchrig: Auf dem Meer kann man keine Mauer bauen. Und auch die meterhohen Zäune wie zum Beispiel in der spanischen Enklave Ceuta in Marokko werden immer wieder gestürmt. Sollte Europa vielleicht mehr auf den Ausbau von legalen Wegen nach Europa setzen, um den Migrationsdruck zu verringern?

Leggeri: Wir brauchen eine Kombination aus Grenzschutz und legalen Möglichkeiten der Einreise. In Afrika setzen wir zudem auf eine enge Kooperation mit den Herkunftsländern oder Transitstaaten wie Niger. Dabei müssen wir den Migranten auch deutlich machen, wie gefährlich es tatsächlich ist, die Reise nach Libyen anzutreten.

Die Welt: Deutsche Diplomaten kritisierten gerade erst „KZ-ähnliche“ Verhältnisse in Libyens Flüchtlingsknästen. Und sogar bereits auf dem Weg durch die Wüste würden Schlepper Migranten immer wieder rücksichtslos zurücklassen.

Leggeri: Wer erst in Libyen ist, steckt oftmals in der Falle. Eine Rückreise durch die Wüste zurück in die Heimat ist wahrscheinlich genauso gefährlich wie die Fahrt übers Mittelmeer.

Die Welt: Wie könnte aber denn eine kurzfristige Lösung für die Mittelmeerroute aussehen?

Leggeri: Schauen Sie sich Spanien an. Vor etwa zehn Jahren kamen im Jahr Zehntausende Afrikaner über den Atlantik auf die Kanaren. Tausende starben. Spanien startete daraufhin eine enge Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten, aus denen die Boote losfuhren. Die Migranten wurden schnell zurück an die afrikanische Küste und oftmals auch in ihre Heimatländer zurückgebracht. Die Route wurde praktisch geschlossen, weil gar nicht mehr die Chance bestand, die Kanaren und damit Europa zu erreichen.

Die Welt: Eine ähnliche Idee verfolgt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) jetzt mit Nordafrika. Wer in Libyen losfährt, soll nicht mehr nach Italien, sondern in ein anderes nordafrikanisches Land gebracht werden. Etwa nach Tunesien oder Ägypten.

Leggeri: Wir müssen die Migranten langfristig davon überzeugen, dass ein illegaler Grenzübertritt nach Europa die Chance auf einen erfolgreichen Asylantrag zunichtemacht.

Die Welt: In den vergangenen Monaten ist die neue Frontex-Verordnung in Kraft getreten. Sie können nun 1500 Polizisten als Schnelle Eingreiftruppe einsetzen. Passiert das bereits?

Leggeri: Unsere Haupteinsatzgebiete sind derzeit Griechenland, Italien und in der Balkanregion, zum Beispiel in Bulgarien, Ungarn oder Kroatien. Die neue Reserve wurde dafür aber noch nicht aktiviert. Sie soll dann eingesetzt werden, wenn es zum akuten Krisenfall kommt.

Die Welt: Die Zahl der Migranten auf der Westbalkanroute ist von 5000 am Tag auf etwa 200 eingebrochen. Sind Sie mit dieser Zahl zufrieden?

Leggeri: Es gibt immer Migranten, die sich einen Weg bahnen. In Griechenland warten ja auch noch immer Zehntausende, die eigentlich weiter nach Mitteleuropa wollen. Die Lage hat sich insgesamt aber stark verbessert. Von 2015 zu 2016 ist die Zahl der Migranten auf dieser Route um 97 Prozent gefallen.

Die Welt: Würden denn noch viel mehr Migranten nach Griechenland kommen, falls das EU-Türkei-Abkommen nicht hält?

Leggeri: Ich gehe davon aus, dass die Zusammenarbeit mit der Türkei weiterhin gut läuft. Die Rückführung von Griechenland in die Türkei funktioniert. Auf operativer Ebene klappt die Zusammenarbeit.

Die Welt: Künftig sollen auch Stresstests für Europas Grenzen durchgeführt werden. Wie sehen diese aus?

Leggeri: Wir haben damit angefangen, aus allen Mitgliedstaaten Informationen zu sammeln. Wie viele Grenzbeamte stehen zur Verfügung? Wie viele Flugzeuge? Gibt es ausreichend Eurodac-Geräte, um Fingerabdrücke zu nehmen? Im Sommer können wir dann mit Simulationen starten und schauen, ob die Behörden darauf vorbereitet sind, wenn zum Beispiel an einem Grenzübergang oder Flughafen jeden Tag Hunderte Migranten ankommen.

Das Ergebnis können wir dann als Grundlage nehmen und notfalls verbindliche Vorschläge für einen besseren Grenzschutz machen. Wir haben aber nicht die Absicht, eine solche Schwachstellenanalyse mit richtigen Polizisten an einer richtigen Grenze zu testen.

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