21. Februar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Ansturm in Ceuta: Handelspolitik mit Migranten“ · Kategorien: Marokko, Spanien · Tags: ,

NZZ | 20.02.2017

In den vergangenen Tagen haben Hunderte von Migranten die Grenzzäune der spanischen Enklave Ceuta gestürmt. Das war wohl kein Zufall. Offenbar will Marokko damit die EU unter Druck setzen.

Beat Stauffer

Rund 500 Migranten, die meisten aus dem subsaharischen Afrika, gelang es am frühen Morgen des vergangenen Freitags, den mehrfach gesicherten Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Ceuta zu überwinden. Am Montag schafften es erneut 356 Migranten, nach Ceuta durchzubrechen. Zusätzlich sollen 36 Personen auf einer kleinen, zu Spanien gehörenden Insel gestrandet sein. Insgesamt erreichten somit innerhalb von drei Tagen fast 900 Migranten spanischen Boden. Es ist dies die höchste Zahl seit der Errichtung der Grenzbefestigungen vor rund zehn Jahren.

Ansage des Agrarministers

Kann das ein Zufall sein? Marokkanische Beobachter äussern sich zurückhaltend zu den möglichen Hintergründen des jüngsten Ansturms auf Ceuta. Für den Aktivisten Mohamed Benaissa, Präsident des «Observatoriums für Menschenrechte im Norden Marokkos», hängt der Erfolg der Migranten in erster Linie mit einer neuen Strategie zusammen. Die jungen Männer, die in bewaldeten Gebieten in der näheren Umgebung von Ceuta in improvisierten Lagern ausharrten, bis ein günstiger Moment gekommen sei, informierten andere Migranten in den Städten Tetuan und Tanger per Handy über die aktuelle Lage. Diese führen dann innert kürzester Zeit an die vereinbarten Orte, um sich den Stosstrupps anzuschliessen.

Auch Hicham Rachidi, Präsident der landesweit bedeutendsten Flüchtlingsorganisation Gadem, hält es für unwahrscheinlich, dass die marokkanischen Grenzwächter die Weisung erhalten hatten, die Migranten ziehen zu lassen. Noch vor wenigen Tagen hätten in der Nähe von Nador in Sichtweite von Melilla, der zweiten spanischen Enklave, Razzien stattgefunden, um Migranten aus ihren Camps zu vertreiben. «Der Druck der marokkanischen Sicherheitskräfte auf die Migranten ist unvermindert hoch», sagt Rachidi in einem Telefongespräch. Der Sturm auf die Grenzzäune belege vielmehr das Scheitern einer auf Abschottung ausgerichteten europäischen Migrationspolitik.

Diese Sichtweise kontrastiert allerdings deutlich mit Äusserungen des marokkanischen Landwirtschaftsministers Aziz Akhannouch. In einem Interview mit der spanischen Nachrichtenagentur EFE hatte Akhannouch vor wenigen Tagen pointiert zum Thema Migration Stellung genommen. «Warum sollen wir weiter die Polizisten spielen? Wie sollen wir die afrikanische Migration durch Marokko blockieren, wenn Europa nicht mit uns zusammenarbeiten will?», sagte Akhannouch. Es sei an der Zeit, dass Europa den kostspieligen Beitrag Marokkos im Kampf gegen illegale Migration angemessen würdige.

Gegen Westsahara-Urteil

Während die Flüchtlingsaktivisten diesen Aussagen keine grössere Bedeutung zumessen, ist der spanische Journalist und Autor Ignacio Cembrero überzeugt, dass sie durchaus als Drohungen gemeint waren und dass die erfolgreiche Überwindung der Grenzbefestigungen in diesem Zusammenhang zu sehen ist. «Ich denke, Marokko hat in diesem Fall die Migranten gewähren lassen», sagt Cembrero im Gespräch. Das Land habe mit dieser temporären Öffnung der «Schleusen» gegenüber Europa einmal mehr seine bedeutende Rolle beim Schutz der EU-Südgrenze in Erinnerung gerufen. Diese Einschätzung teilt auch Mehdi Lahlou, Professor für Wirtschaft an der Universität Rabat. Marokko sei mit der Kontrolle der Grenzen im Norden und dem nach wie vor starken Migrationsdruck aus dem subsaharischen Afrika stark gefordert und werde für diese wichtige Rolle nicht angemessen entschädigt.

Der eigentliche Anlass für das jüngste «Drohmanöver» ist laut Cembrero allerdings der Streit zwischen Marokko und der EU um Fischereirechte und um den Export von landwirtschaftlichen Produkten aus der marokkanisch besetzten Westsahara. Laut zwei Urteilen des europäischen Gerichtshofs in Luxemburg gilt das Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko nicht für die Westsahara. Marokko wünsche sich, dass dieser Entscheid des Gerichtshofs umgestossen beziehungsweise nicht angewendet werde, sagt Cembrero. Da dies für die EU nicht infrage komme, versuche Marokko nun maximalen Druck zu erzeugen. Dabei hat das Land neben seiner Rolle bei der Kontrolle der Migrationsströme noch einen anderen Trumpf in seiner Hand, auf den Europa nur schwer verzichten kann: die Zusammenarbeit mit den marokkanischen Nachrichtendiensten in Sachen Terrorbekämpfung.

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