13. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Europa wird am Brenner begraben“ · Kategorien: Italien, Österreich · Tags:

Quelle: Zeit Online

Osterreich beginnt mit dem Zaunbau am Brenner. Italien ist stocksauer. Die EU fühlt sich falsch informiert. Lohnt der Aufwand wirklich für etwa 20 Flüchtlinge pro Tag?

Von Judith E. Innerhofer, Wie

Nun haben es die Österreicher wirklich getan. Der Zaunbau am Brenner, dem symbolisch wie wirtschaftlich schwer beladenen Grenzübergang zu Italien, hat begonnen. Die Flüchtlingsroute über den Balkan wurde in einer Hauruckaktion geschlossen, jetzt schottet sich Österreich auch Richtung Italien ab.

Es mag Zufall sein, dass sich der Papst ausgerechnet am Montagnachmittag zu Wort meldete, die Italiener sehen das jedenfalls nicht so. Man müsse „Mauern abbauen“, gerade auch jene Mauern, „die eine traurige Realität sind“, forderte Franziskus just wenige Stunden, nachdem publik wurde, dass die Bauarbeiten an der Barriere beginnen.

Seit Dienstagvormittag bereiten Mitarbeiter der Autobahngesellschaft Asfinag unter Anleitung der Tiroler Landespolizei die Baustelle vor. „Die Verhandlungen mit den Grundeigentümern und andere Maßnahmen sind abgeschlossen“, sagte ein Polizeisprecher. „Bis Ende Mai werden die Arbeiten an der Struktur beendet sein.“ Spätestens Anfang Juni werde kontrolliert, sagte der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in Wien.

Während der Spatenstich in Österreich zunächst nur mäßiges Aufsehen erregte, artikulierten italienische Politiker und Medien umgehend Kritik und Empörung. Vom „endgültigen Begräbnis von Schengen“ war die Rede in der römischen Abgeordnetenkammer, Europa sterbe – „und zwar für immer“.

Auch aus Brüssel folgten kritische Töne, die EU-Kommission monierte, nicht in die Pläne eingeweiht gewesen zu sein. Ob dieser Zaun überhaupt schengenkonform ist, sei zu prüfen. Die „improvisierte Mauer“ sei jedenfalls ein fataler Fehler, sagte der italienische Staatssekretär für Europafragen Sandro Gozi, der nochmals an den Nachbarn appellierte, das Vorhaben zu überdenken. Eine tatsächliche Schließung der Grenze, warnte Innenstaatssekretär Domenico Manzione in Richtung Norden, „hätte neben wirtschaftlichen auch humanitäre Konsequenzen. Sie könnte Situationen auslösen wie jene, die wir leider in Griechenland sehen“. Selbst offizielle Vertreter der italienischen Polizei warnten vor einem „regelrechten Sicherheits- und humanitären Notstand“, der nun bevorstehe.

Die Entschlossenheit Wiens unterschätzt

Obwohl ein „Grenzmanagement“, so die offizielle Bezeichnung Österreichs, nach dem Vorbild der Zaun- und Kontrollstrukturen an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld schon im Februar angekündigt worden war, fühlt sich Italien brüskiert. Es scheint, als ob man südlich der Grenze bis dahin die Hoffnung aufrecht erhalten hatte, dass Österreich seine Pläne nicht umsetzen würde.

Die römische Politik muss die Entschlossenheit Wiens unterschätzt haben – und den Faktor Innenpolitik: Österreich steht kurz vor der Wahl des Bundespräsidenten und die beiden Großparteien und Koalitionspartner ÖVP und SPÖ stecken nicht nur mit ihren schwächelnden Kandidaten in einer tiefen Krise. Dazu kommt die Angst vor der in Umfragen immer stärker werdenden rechtspopulistischen FPÖ.

Bis zuletzt habe man „insistiert, diese Zone offen zu halten“, sagte der italienische Innenstaatssekretär Manzione. Man müsse erkennen, so sein konsternierter Kommentar, „dass Österreich vor wichtigen Wahlen steht und daher das Bedürfnis spürt, in der Bewältigung des Migrationsphänomens einen bestimmten Umgang darzustellen“.

Absperrung mit Stacheldraht?

Ob die Absperrung auch mit Stacheldraht ausgerüstet wird, darüber könne man noch keine genauen Informationen geben, hieß es von der Tiroler Landespolizei. Fest steht jedenfalls: Die Autobahngesellschaft gießt derzeit auf einem Parkplatz nördlich der Grenze das Betonfundament für eine Flugdachstruktur. Damit sollen größere Menschenmengen auch bei längeren Wartezeiten vor Regen und Schlechtwetter geschützt werden, die am Alpenpass häufig sind.

Zu den weiteren Elementen der Barriere, die bis Ende Mai stehen sollen, gehört außerdem der Zaun in der knapp 250 Meter schmalen Talsohle am Alpenpass. Auf beiden Seiten der Ortschaft Brenner, die damit erneut physisch in einen österreichischen und einen italienischen Teil getrennt wird, gehen die Hänge steil nach oben und in Bergrücken über. „Ein kilometerlanger Zaun, der wie in Spielfeld an der Grenze verläuft, funktioniert am Brenner daher nicht“, sagte der Sprecher der Tiroler Polizei.

Den Verkehr beträfen die Arbeiten an der Flugdachstruktur nicht. Für ihn sind eigene Strukturen vorgesehen: Die Autobahn soll hinter einem Tunnel kurz vor der Staatsgrenze in vier Spuren geteilt, die Geschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer reduziert und eine Ausleitspur zu einem Parkplatz eingerichtet werden, auf dem die Kontrollen der Fahrzeuge stattfinden sollen. Weitere Maßnahmen sind für die parallel zur Autobahn führende, stark frequentierte Bahntrasse sowie für die Bundesstraße geplant, Details dazu wurden noch nicht erläutert.

In den vergangenen Wochen kamen nur 20 bis 25 Flüchtlinge pro Tag am Brenner an. Österreich geht jedoch davon aus, dass die Zahl bald wieder steigt. Allein am Montag wurden im Kanal von Sizilien 1.850 Flüchtlinge von Booten gerettet und auf das italienische Festland gebracht. Der Appell des Papstes wird die österreichische Regierung nicht von ihrer „Grenzen-dicht“-Politik abbringen. Das Hoffen auf und Beten für brüderliche Einsicht der nördlichen Nachbarn hat selbst dem tiefgläubigen Italien nicht geholfen.

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