11. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge in Idomeni: Wir müssen das Aushalten ausschalten“ · Kategorien: Griechenland, Mazedonien · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Mit Tränengas gegen hilfesuchende Männer, Frauen, Kinder: Schlimm, diese Bilder, aber das müssen wir aushalten – so reden längst nicht mehr nur rechte Hetzer. Wir dürfen uns unsere Empathie nicht abtrainieren lassen.

Ein Kommentar von Oliver Trenkamp

Verzweifelte Eltern, weinende Kinder, Tränengaspatronen abgefeuert von Soldaten, mitten in Europa, am Grenzzaun von Idomeni: Gegen den Impuls, bei solchen Bildern vor Wut zu schreien und zu heulen, haben Politiker wie Thomas de Maizière und Alexander Gauland uns abzuhärten versucht. „Wir müssen harte Bilder aushalten“, sagt der Innenminister. „Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen“, sagt der AfD-Vize.

A woman tries to save her children after Macedonian police throw gas inside the camp during clashes with Macedonian soldiers near their makeshift camp in the northern Greek border village of Idomeni, on April 10, 2016. Dozens of people were hurt when police fired tear gas on a group of migrants as they tried to break through a fence on the Greece-Macedonia border, the medical charity Doctors without Borders (MSF) said. A plan to send back migrants from Greece to Turkey sparked demonstrations by local residents in both countries days before the deal brokered by the European Union is set to be implemented. / AFP PHOTO / BULENT KILIC

A woman tries to save her children after Macedonian police throw gas inside the camp during clashes with Macedonian soldiers near their makeshift camp in the northern Greek border village of Idomeni, on April 10, 2016. Dozens of people were hurt when police fired tear gas on a group of migrants as they tried to break through a fence on the Greece-Macedonia border, the medical charity Doctors without Borders (MSF) said. A plan to send back migrants from Greece to Turkey sparked demonstrations by local residents in both countries days before the deal brokered by the European Union is set to be implemented. / AFP PHOTO / BULENT KILIC

Sie wollen unser Mitgefühl abschalten oder wenigstens dimmen. Bernd Ulrich von der „Zeit“ nennt es eine „politische Verrohungskampagne„, was Kinderaugen-Gauland und Schießbefehl-Petry seit Monaten betreiben. Und nach einem Dreivierteljahr Flüchtlingsdebatte, nach Schließung der Balkanroute und nach Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals, muss man feststellen: Es ist ihnen zumindest gelungen, den Ton in der Flüchtlingsdebatte zu verschärfen, den Diskurs nach rechts zu rücken.

Selbst kluge und zu Mitgefühl fähige Freunde, Verwandte, Kollegen benutzen plötzlich Kampfbegriffe wie „illegale Migranten“ und sagen Null-Sätze wie: „Solche Massen sind nicht zu verkraften.“

Kaum jemand fragt dann noch nach den Kriterien, auf deren Grundlage solche Feststellungen getroffen werden: Finanzielle können es nicht sein – der Wohlstand in Deutschland reicht für weit mehr als die Grundversorgung von ein paar hunderttausend Hilfesuchenden. Die sind ja bereits da, ohne dass jemand in Zahlungsschwierigkeiten geraten wäre. Im Nahen Osten lachen sie über uns, wenn wir von einer Flüchtlingskrise sprechen – Jordanien hat mehr Schutzsuchende aufgenommen als alle EU-Staaten zusammen, wie der Migrationsforscher Kamel Dorai vorrechnet.

Hetzer wie Schwätzer tun in der Flüchtlingsdebatte so, als würden sich Vernunft und Empathie ausschließen, als wäre Egoismus per se vernünftig. Sie tarnen ihre Ängste, ihre Vorurteile, ihren Rassismus als gesunden Menschenverstand. Sie diffamieren Mitgefühl als emotionalen Affekt, als Gutmenschentum, als unverantwortlich.

Höchste Zeit, ihnen etwas entgegenzusetzen, immer und immer wieder. Denn das Gegenteil ist richtig: Empathie hilft dabei, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Wer nicht nur die Interessen seines Gegenübers kennt, sondern auch dessen Gefühlslage einschätzen kann, um die Nöte und Bedürfnisse des anderen weiß, wird klüger, umsichtiger und, ja, blödes Wort, nachhaltiger handeln als der ängstliche Egoist.

Die Verrohung der öffentlichen Debatte hat zum Glück weite Teile der Gesellschaft noch nicht infiziert. Ärzte und Pfleger arbeiten nach wie vor ehrenamtlich in den Auffanglagern; Lehrer, Erzieher, Schüler sammeln Spenden; Anwälte helfen bei Asylanträgen; Kirchengemeinden, WGs, Familien nehmen Syrer auf; Studenten holen Flüchtlinge im Kofferraum ins Land; Aktivisten heiraten Fremde, um ihnen einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen. Viele Deutsche sind im Kopf und im Herzen weiter als ihre gewählten Vertreter und die Befüller der Kommentarspalten.

Lasst uns von ihnen Empathie lernen, lasst uns die Bilder von Idomeni, die Toten in der Ägäis nicht hinnehmen. Wir müssen, wir dürfen diese Bilder nicht aushalten. Wir sollten die Flüchtlinge von Idomeni in Deutschland aufnehmen.

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