08. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Nachtschicht im Kühlschrank“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland · Tags:

Quelle: Potsdamer Neueste Nachrichten

Ausstellung „Die Balkanroute – Grenzen überwinden“ in Potsdam

Der Fotojournalist Erik Marquardt begleitete Flüchtlinge auf der Balkanroute, seine Fotos sind nun im Potsdamer Bildungsforum zu sehen. Sie zeigen schreckliche und auch schöne Momente.

Unterstützer haben die Nachricht "Ihr seid nicht alleine" an der Mauer zum Asyllager in Kara Tepe hinterlassen.

Unterstützer haben die Nachricht „Ihr seid nicht alleine“ an der Mauer zum Asyllager in Kara Tepe hinterlassen.

Potsdam – Wasser tropft aus den Haaren, die Hose klebt an den dünnen Beinen und mit noch nassen Fingern wird der Schuh wieder auf den Fuß gezogen. Das Foto eines kleinen Jungen, der sich auf der Flucht am Strand wieder anzieht, machte auf Twitter die Runde. Ganze 243 Mal wurde das Bild retweetet, also von anderen Twitternutzern geteilt und 340 Mal mit „gefällt mir“ betitelt. Geschossen hat das Bild der Berliner Fotojournalist Erik Marquardt, der Flüchtlinge von August 2015 bis Januar 2016 auf ihrer strapaziösen Reise über die Balkanroute begleitet hat. Seit dieser Woche ist es mit 23 anderen Bildern aus dieser Zeit im Potsdamer Bildungsforum in der Ausstellung „Die Balkanroute – Grenzen überwinden“ zu sehen. Die offizielle Vernissage mit anschließender Podiumsdiskussion findet am heutigen Donnerstagabend ab 17.30 Uhr statt. Anwesend sind neben Marquardt auch Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen – die Partei organisiert die Ausstellung – sowie ein junger Mann, der selbst über die Balkanroute geflohen ist.

Die Menschlichkeit darstellen

Für Marquardt war es nicht die erste Reise auf der Balkanroute. Insgesamt zehn Mal war er schon dort, begleitete die Menschen und hält ganz verschiedene Momente in Bildern fest. Schreckliche Momente, in denen sich etwa viel zu viele Menschen mitten in der Nacht in ein kleines Boot drängen und von den Schleppern mit Stöcken so eng wie möglich zusammengetrieben werden. Oder Menschen, die die Nacht abwechselnd in alten abgestellten Kühlschränken verbringen, weil es in denen wärmer ist als draußen. Aber auch schöne Momente, die zeigen, wie Menschen ausgelassen feiern, miteinander lachen und fröhlich sind. „Mir ist es wichtig die Menschen, also tatsächlich die Menschlichkeit der Leute darzustellen“, so Marquardt, der selbst seit Jahren bei den Grünen aktiv ist. Dazu gehöre auch, zu zeigen, dass sie ihre Situation in manchen Augenblicken einfach versuchen zu vergessen.

„Nur weil sie auf der Flucht sind, heißt das ja nicht, dass sie die ganze Zeit traurig gucken müssen.“ Wie er sagt, rege es ihn furchtbar auf, dass die Flüchtenden oft auch in der Sprache mit Worten wie „Flut“ oder „Welle“, die „auf uns zurollen“ entmenschlicht werden. Durch seine Reisen möchte Marquardt dazu beitragen, dass sie als Personen gesehen werden. „Das sind echte Menschen, die ihr Zuhause und teilweise Angehörige verloren haben“, so der Fotojournalist, der vor wenigen Tagen erst von einer Reise aus dem griechischen Idomeni wiedergekommen ist. „Letztendlich kann jedem von uns das Gleiche passieren. Wir sind alle nicht so unterschiedlich, wie wir immer denken.“
„Viele haben tatsächlich das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen“

Kontakt zu den Flüchtenden aufzunehmen sei oft sehr leicht, da viele gerne ihre Geschichte erzählen – auch um zu verdeutlichen, dass sie nicht freiwillig ihr Land verlassen. „Viele haben tatsächlich das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen“, erzählt Marquardt. Menschen, die wegen politischer Verfolgung auf der Flucht sind, hielten sich eher von der Kamera fern. Dafür seien gerade die Kinder absolut fasziniert von dem Fotografieren und dürfen es dann auch selbst ausprobieren. „Dabei entstehen manchmal lustige Schnappschüsse, aber die verwende ich natürlich nicht“, sagt Marquardt und zeigt ein Foto von einem zwölfjährigen Jungen, der die Kamera mit großem Objektiv hält. „Das ist auf meiner Reise nach Idomeni entstanden, es zeigt Sofian aus Syrien, er möchte Fotograf werden“, erklärt er. Auch wenn er dabei ein bisschen gerührt klingt, schaffe es Marquardt ganz gut, sich von der Emotionalität der Reisebilderflut zu distanzieren. „Meine Funktion ist es, über die Menschen zu berichten und wenn man sich dessen bewusst ist, geht das eigentlich ganz gut“, sagt er.

Letztendlich sei er auch immer ein Außenstehender, der jederzeit nach Hause fliegen könne. Das nehme ihm auch die Einbildung, sich in die Menschen auf der Flucht hineinfühlen zu können. „Das ist teilweise wirklich absurd, wenn ich für 20 Euro mit einer Fähre zwischen der Türkei und Griechenland hin- und herfahren kann, während ein Flüchtling 1000 Euro pro Person für eine gefährliche Schlepperfahrt bezahlt“, so Marquardt. Die Schlepper zu fotografieren war nicht ganz ungefährlich, wie er erzählt, da die illegal arbeiten und nicht erkannt werden wollen. Deswegen finden die Überfahrten auch immer bei Nacht statt. „Einmal rückte tatsächlich die Polizei in voller Montur an, das war nicht mehr so lustig“, so Marquardt. Bei einem Schichtwechsel gelang es ihm dann aber trotzdem Bilder zu machen. „Ich habe einfach keine Diskussion aufkommen lassen und klar gesagt, was ich machen will“, erklärt er. „Wer nicht auf das Bild wollte, sollte sich halt bedecken.“

„Die Balkanroute – Grenzen überwinden“ ist noch bis 17. April im Bildungsforum, Am Kanal 47, zu sehen. Vernissage heute um 17.30 Uhr, Eintritt ist frei

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