05. April 2016 · Kommentare deaktiviert für „Nächstes militärisches Abenteuer droht in Libyen“ · Kategorien: Deutschland, Italien, Libyen, Mittelmeerroute · Tags:

Quelle: Telepolis

Die seit kurzem in Libyen von den USA, der EU und der UN installierte „Einheitsregierung“ bereitet den Weg, aber ein Plan scheint wie in Syrien nicht zu existieren

Florian Rötzer

Nachdem über den Deal der EU mit der Türkei und der Sperrung der Balkanroute der Flüchtlingsstrom über Land nur noch tröpfelt, wenn man im Bild bleiben will, wird aller Wahrscheinlichkeit nun mit dem Frühjahr der gefährliche Weg über das Mittelmeer von Libyen aus wieder belebt werden. Seit der Intervention im erdölreichen Libyen 2011, die mit dem Sturz des Gaddafi-Regimes endete, ist das Land neben Somalia, Jemen, Afghanistan, Irak und Syrien ein weiterer failed state, in dem bis vor kurzem zwei Regierungen, eine islamistische in Tripolis (GNC) und eine international anerkannte in Tobruk (HoR), viele bewaffnete Gruppen und der „Islamische Staat“ um Macht und Einfluss kämpfen.

Da ein erneuter Flüchtlingsstrom über das Meer nach Italien droht, aber es im Land keinen Machthaber wie einst Gaddafi mehr gibt, mit dem die EU und Berlusconi Deals zur Abwehr der Flüchtlinge wie jetzt mit der Türkei machen können, wurde mit massiven Druck durch die EU und die USA eine von den Vereinten Nationen anerkannte Einheitsregierung durchgesetzt, zumindest auf dem Papier. Ende Dezember 2015 war unter Vermittlung der „5+5“-Gruppe ein Abkommen geschlossen worden, das die Bildung einer Einheitsregierung ermöglichen sollte. Am 15. März reiste dann der neue, von außen installierte Regierungschef Fajes Sarradsch von Tunesien wie nach einem Coup auf einem Schiff nach Tripolis, wo er geschützt auf einem Marinestützpunkt residiert.

Man muss wohl davon sprechen, dass nun Libyen faktisch drei Regierungen hat (EU-Außengrenzenschutz: Neuer Regierungschef in Tripolis installiert). Angeblich will Sarradsch nach Tobruk gehen, wenn seine Regierung vom HoR anerkannt wird, was bislang nicht geschehen ist. Der neue Präsident befindet sich weiter in einem „politischen Vakuum“, hat aber schon mal ein Dekret erlassen, nach dem alle Konten von staatlichen Banken mit der Ausnahme derjenigen von Staatsangestellten gesperrt werden sollen. Damit will Sarradsch das Ölgeschäft kontrollieren, das bislang über die National Oil Corporation (NOC) und die Bank CBL, beide in Tripolis, abgewickelt wurde.

Die Installation der Einheitsregierung dient wohl in erster Linie nicht zur Befriedung des zerrissenen Landes durch eine wirkliche politische Lösung des Bürgerkriegs, sondern zur Legitimation für eine erneute, schon länger geplante militärische Intervention zur Niederschlagung des „Islamischen Staats“, der dort ein weiteres Machtzentrum in dem Gebiet um die Hafenstadt Sirte zwischen den von Tripolis und Tobruk kontrollierten Territorien aufgebaut hat. Und vor allem Italien und die EU setzen darauf, mit der neuen Regierung einen Deal zur Schleuser- bzw. Flüchtlingsbekämpfung aushandeln zu können. Italien ist überdies daran interessiert, seine Ölgeschäfte weiter mit Libyen machen zu können.

Wie viele Flüchtlinge in Libyen bereits auf eine Überfahrt warten, ist höchst umstritten. UNHCR geht von etwa 36.000 Flüchtlingen aus, die an der Küste festsitzen, der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sprach von 800.000, was sicher dazu diente, die Lage zu dramatisieren. In den ersten drei Monaten des Jahres erreichten mehr als 18.000 Flüchtlingen von Libyen nach Angaben des UNHCR Italien, im selben Zeitraum 2015 waren es etwas mehr als 10.000. Im letzten Jahr kamen insgesamt mehr als 150.000 Flüchtlinge aus Libyen nach Italien. Es muss also damit gerechnet werden, dass die Zahlen dieses Jahr wieder ansteigen.

Die USA und die EU gehen davon aus, dass die neue Regierung die Weichen für geplante Interventionen setzt und eine Stabilisierungsmission sowie eine Kampfmission gegen den IS genehmigt. Das ist notwendig, um den UN-Sicherheitsrat zu umgehen, denn Russland – und wahrscheinlich China – würde sicher nicht noch einmal eine vom Sicherheitsrat unterstützte Intervention tragen, nachdem die USA und die beteiligten Nato-Partner 2011 den gesetzten Rahmen weit überschritten hatten und damit trotz der Kritik aus Moskau das Land ins Chaos stürzten.

Kopflose Intervention in Panik wegen der Flüchtlinge und der Ausbreitung des IS?

Wie die Washington Post berichtet, werden vom US Africa Command bereits Ziele für mögliche systematische Angriffe ausgewählt, vor allem in Sirte, der libyschen „Hauptstadt“ des IS, aber auch in Ajdabiya, Sabratha und Derna. Zudem sollen die amerikanischen, französischen und britischen Spezialeinheiten, die bereits im Land agieren, besser koordiniert werden. Ein Problem, Luftangriffe wie in Syrien oder im Irak zu fliegen, ist allerdings, dass es für Libyen keine Stützpunkte in der Nähe gibt. Für die USA ist die Türkei auch deswegen wichtig, weil die US-Flugzeuge und -Drohnen auf dem Stützpunkt Incirlik stationiert werden können. Die Nachbarländer Tunesien und Algerien haben bereits abgelehnt, dass ihre Länder zu Stützpunkten für eine Kampfmission benutzt werden können. Kampf- und Überwachungseinsätze müssten daher über eine größere Entfernung von Nato-Stützpunkten in Italien, Frankreich oder Spanien geflogen werden.

Ähnlich wie in Syrien scheint es aber auch in Libyen kein wirkliches Konzept zu geben, wie nach einer möglichen Niederschlagung des IS Libyen zu einem stabilen Land unter einer gewählten Regierung werden könnte. Die Frage wird schon sein, welche Folgen eine militärische Intervention haben wird. Auch wenn sie sich nur gegen den IS richtet, dürfte der erneute Eingriff zu einem Erstarken der nationalistischen Kräfte führen und den Einfluss, sofern überhaupt vorhanden, des eingesetzten Präsidenten unterminieren, zudem würde damit auch der IS sowie andere islamistische Gruppierungen ideologisch gestärkt werden. Da es nicht nur drei Regierungen gibt, sondern ähnlich wie in Syrien ein unüberschaubares Geflecht von bewaffneten Gruppen, überlegt man in Washington, Bodentruppen für den Kampf gegen den IS durch eine Vereinigung von manchen dieser Gruppen aufzubauen. Aber das hat auch in Syrien nicht funktioniert und setzt eigene Dynamiken in Gang, die kaum kontrolliert werden können.

Noch ist offen, wie stark die Amerikaner und die Europäer sich an einer internationalen Mission beteiligen werden. Italien macht sich zwar besonders stark dafür und will sich in hohem Maß auch mit Truppen beteiligen, allerdings nur dann, wenn es einen UN-Sicherheitsratsbeschluss gibt, was sehr unwahrscheinlich ist, und wenn vor Ankunft italienischer Soldaten in Tripolis die Stadt gesichert ist. Und unklar ist auch, wie viel Zeit man der noch gar nicht wirklich arbeitenden Einheitsregierung geben will, um sich zu etablieren, bevor sie mit einer Intervention wohl gleich wieder ausgehebelt wird.

Der Countdown für das nächste militärische Abenteuer läuft. Das letzte Mal hat sich Deutschland der Beteiligung an der militärischen Intervention in Libyen herausgehalten. Alle Zeichen stehen dafür, dass es dieses Mal anders sein wird, schließlich wird die deutsche Regierung von der Flüchtlingspolitik getrieben und steht auch unter Druck, sich an US-geführten Interventionen beteiligen.

Dass man in Berlin willig ist, war immer wieder zu sehen, zuletzt durch die Aufrüstung der Peschmerga, die Beteiligung am Kampf gegen den IS in Syrien oder bei der Mission in Mali. Verteidigungsministerin von der Leyen hatte bereits im Januar erklärt, dass eine deutsche Beteiligung an einer Libyen-Mission anstehen könnte. Die EU bereitet sich schon vor, sagte sie, allerdings unter der Voraussetzung, „dass uns eine mögliche libysche Einheitsregierung um Hilfe bittet“. Das könnte nun jeden Augenblick der Fall sein.

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