21. Dezember 2015 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlingskrise: Länder schieben deutlich mehr Asylbewerber ab“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland hat drastisch zugenommen. Manche Bundesländer haben die Zahl dieses Jahr verdreifacht – ganz vorn dabei ist Bayern.

Deutschland schickt immer mehr Asylsuchende zurück in ihre Heimat. Die Zahl der Abschiebungen ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Bis Ende November wurden bundesweit 18.363 Fälle gezählt. Das geht aus einer Aufstellung des Bundesinnenministeriums hervor. Im gesamten Vorjahr gab es 10.884 Abschiebungen.

Bayern schickte demnach von Anfang Januar bis Ende November mehr als drei Mal so viele abgelehnte Asylbewerber (3643) zurück in die Heimat wie 2014 (1007). Auch in Hessen verdreifachte sich die Zahl nahezu – auf 2306, nach 829 im vergangenen Jahr. In Baden-Württemberg verdoppelten sich die Abschiebezahlen im gleichen Zeitraum knapp: von 1080 auf 2140.

In anderen Bundesländern stiegen die Zahlen weniger stark an, einige verbuchten kaum eine Erhöhung. Thüringen ist das einzige Bundesland, in dem die Zahl nach unten ging: Dort wurden im laufenden Jahr 152 Abschiebungen gezählt, im vergangenen Jahr waren es 234 gewesen.

Einige Länder hatten ihre Bemühungen, abgelehnte Asylsuchende heimzuschicken, in den vergangenen Monaten deutlich verstärkt. Bis Ende April hatte die Zahl der Abschiebungen bundesweit noch bei 4508 gelegen, Ende Juni waren es dann bereits 8178 und Ende August 11.522. Nun folgte erneut ein kräftiger Anstieg.

Hintergrund ist der große Flüchtlingszuzug. In diesem Jahr wurden bereits mehr als eine Million Schutzsuchende in Deutschland registriert – mehr als je zuvor in einem Jahr.

Forderung nach Einzelfallprüfung

Die EU-Grenzschutzbehörde warnte jetzt davor, dass Islamisten mit gestohlenen Pässen nach Europa einreisen könnten. Deutsche Innenpolitiker von Union und SPD wollen deshalb die Einzelfallprüfung bei Flüchtlingen aus Syrien schnellstens wieder einführen. „Wir brauchen in Europa vor allem eine schnellstmögliche, lückenlose Registrierung aller Menschen, die hier ankommen“, sagte der Innenausschuss-Vorsitzende im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wo die Papiere nicht weiterhelfen, können manche Ungereimtheiten im direkten Gespräch mit dem Asylsuchenden auffallen“, sagte Heveling.

Auch aus Sicht von SPD-Innenexperte Burkhard Lischka machen die erbeuteten syrischen Pässe deutlich, wie wichtig „ab sofort eine Einzelfallprüfung auch der geflohenen Menschen aus Syrien durch deutsche Behörden“ sei. Aufgabe der europäischen Sicherheitsbehörden sei es zudem, „möglichst schnell die Seriennummern der gestohlenen Pässe zu ermitteln“, sagte Lischka den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Die „Welt am Sonntag“ hatte berichtet, die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) habe in Syrien, dem Irak und Libyen offenbar Zehntausende Passdokumente erbeutet – darunter zahllose Blanko-Pässe und Maschinen zur Produktion von Ausweisdokumenten. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex warnte deswegen vor einem Sicherheitsrisiko.

Bereits im März war berichtet worden, dass der IS im ostsyrischen Rakka an rund 3800 syrische Blanko-Reisepässe gelangt sei. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE war einer der Paris-Attentäter mit einem in Syrien gestohlenen Blanko-Pass unterwegs.

Seit gut einem Jahr gilt in Deutschland für Syrer ein vereinfachtes Verfahren, in dem sie lediglich in einem Fragebogen ihre Fluchtgründe darlegen müssen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will dies wieder ändern. Anfang Dezember erhielt er für seine Pläne zur Einzelfallprüfung bei Flüchtlingen aus Syrien Unterstützung aus den Bundesländern.

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siehe auch: DW

Drastischer Anstieg bei Abschiebungen von Flüchtlingen

Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland hat zugenommen. In manchen Bundesländern hat sich die Zahl sogar verdoppelt. Ganz vorne dabei: Das CSU-regierte Bayern.

Angesichts des starken Zuzugs von Flüchtlingen beschleunigen die deutschen Behörden massiv die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Jeden Tag kommen zwischen 2000 und 5000 Migranten nach Deutschland. Doch nicht jeder von ihnen bekommt auch Asyl. In den ersten elf Monaten des Jahres wurden fast doppelt so viele Asylsuchende in ihre Heimatländer zurückgebracht wie im gesamten Vorjahr, teilte das Bundesinnenministerium in Berlin mit. Zwischen den Bundesländern gibt es aber starke Unterschiede bei der Abschiebepraxis.

Bayern auf Platz eins

Bis Ende November wurden nach Ministeriumsangaben 18.363 Menschen abgeschoben. Im Jahr zuvor hatte die Gesamtzahl bei 10.884 gelegen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, die Abschiebungen seien „das, was das Gesetz vorsieht“. Kritik an den Rückführungen wies er zurück. Vor einer Abschiebung würden alle Belange der Betroffenen geprüft, die einem solchen Schritt entgegenstehen könnten.

Besonders stark wuchs die Zahl der Abschiebungen im CSU-regierten Bayern: Sie stieg um mehr als das Dreifache von 1007 auf 3643. Auch im schwarz-grün regierten Hessen verdreifachte sich die Zahl nahezu von 829 auf 2306 Abschiebungen. Im grün-rot regierten Baden-Württemberg verdoppelte sie sich von 1080 auf 2140. Kaum gestiegen sind die Abschiebezahlen im Verlauf des Jahres 2015 in Brandenburg, Bremen, Niedersachsen und Sachsen. Im rot-rot-grün regierten Thüringen ging sie sogar leicht zurück.

Abschiebungen aufgeschoben

Laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) leben in Deutschland derzeit rund 190.000 ausreisepflichtige Menschen. Das Gros von ihnen – rund 140.000 – hat aber einen Duldungsstatus und kann deswegen nicht abgeschoben werden. Die Bundesländer müssten deshalb abgelehnte Asylbewerber „viel konsequenter abschieben“, sagte der Vizechef der GdP, Jörg Radek. Der Personenkreis werde wohl noch weiter wachsen, weil im laufenden Jahr mehr Migranten denn je gekommen seien, sagte Radek. Wenn Bund und Länder jetzt nicht handelten, „entwickelt sich ein Rückstau“. Radek warf Ländern wie Bremen und Thüringen „einen mangelhaften politischen Willen“ vor, auch tatsächlich abzuschieben.

Die Länder sollten nach Radeks Ansicht abgelehnte Asylbewerber auch deshalb abschieben, weil die Flüchtlingsheime und Erstaufnahmelager an Kapazitätsgrenzen stießen. Die Enge führe zu mehr Spannungen und Massenschlägereien wie zuletzt in Hamburg, in der Folge auch zu mehr Polizeieinsätzen. Die Situation drohe sich zu verschärfen, wenn nicht gegengesteuert werde. „Wenn sie großzügigere Räume haben, dann haben wir auch weniger Polizeieinsätze für die Kollegen.“ Vom Bund forderte Radek mehr Personal für die Bundespolizei. Sie übernimmt einen Großteil der Rückführungen mit dem Flugzeug.

Die Bundesregierung strebt eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber an. Um die schnellere Ausweisung von Menschen ohne Bleibeperspektive rechtlich abzusichern, wurden im Oktober verschiedene Gesetze geändert. Unter anderem ist nun vorgesehen, dass der konkrete Abschiebetermin nicht mehr genannt wird, damit die Ausreisepflichtigen nicht vorher untertauchen.

Deutlich weniger Einreisen als im November

Insgesamt hat sich die Zahl der eingereisten Migranten im Dezember im Vergleich zum Vormonat mehr als halbiert. Wie aus einer Statistik der Bundespolizei hervorgeht, wurden bis Sonntag (20. Dezember) bei Kontrollen 73.500 Migranten gezählt. Im Vormonat waren es im selben Zeitraum schon rund 170.000 gewesen. Anders als noch im November führt die Bundespolizei seit Anfang Dezember Flüchtlinge, die dabei sind, in ein anderes Land auszureisen, gesondert auf. Von den 73.500 festgestellten Personen im Dezember betrifft dies rund 6000 Menschen, die sich meist auf dem Weg per Zug oder Fähre nach Skandinavien befanden. Netto beläuft sich die Zahl der Einreisen damit im Dezember bislang auf rund 68.000. Als Gründe für den Rückgang gelten die winterlichen Temperaturen und das Wetter in der Ägäis, weswegen viele Menschen die Bootsüberfahrt von der Türkei nach Griechenland scheuen. Zudem hat die Türkei die Kontrollen an den Außengrenzen verstärkt.

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siehe auch: taz

Abschiebepraxis in Deutschland: Nach 27 Jahren ab ins Kosovo

Die Abschiebungen haben sich 2015 bundesweit fast verdoppelt. Betroffen sind viele Menschen, die bisher geduldet wurden – so wie Rapper Prince-H.

von Daniel Bax

BERLIN taz | Sogar Sido zeigt sich solidarisch: Auf seiner Facebook-Seite unterstützt der Berliner Rap-Star seinen Rapper-Kollegen Hikmet Prizreni alias Prince-H, der seit Oktober in Abschiebehaft sitzt. Hikmet Prizreni ist Roma, seine Eltern flohen 1988 aus dem Kosovo, da war er sieben Jahre alt. Er wuchs in Essen auf und stieg früh in die HipHop-Szene ein.

Seine beiden Brüder wurden 2010 abgeschoben, kehrten aber zur Jahreswende 2015 wieder nach Deutschland zurück. Um den Anwalt zu bezahlen, der gegen ihre geplante Abschiebung prozessieren soll, laden ihre Unterstützer am Dienstag zum Solikonzert im Kreuzberger Szeneclub SO36. „Geht da hin. Unterstützt das. Ist eine gute Sache“, schreibt Sido dazu.

Die Zahl der Abschiebungen hat in diesem Jahr stark zugenommen. Betroffen sind nicht nur Flüchtlinge, die erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen sind – sondern vor allem Menschen wie Hikmet Prizreni, die fast ihr ganzes Leben hier verbracht haben, aber aus einem nunmehr angeblich „sicheren Herkunftsland“ stammen.

In den ersten elf Monaten des Jahres wurden fast doppelt so viele abgelehnte Asylbewerber von den Bundesländern abgeschoben wie im gesamten Vorjahr. Besonders stark stieg die Zahl in Bayern an, von 1.007 auf 3.643 auf mehr als das Dreifache. Aber auch in Hessen, wo CDU und Grüne gemeinsam regieren, haben sich die Abschiebungen beinahe verdreifacht. Und im grün-roten Baden-Württemberg immerhin verdoppelt, von 1.080 im vergangenen Jahr auf 2.140 in diesem.

Kaum zugenommen hat die Zahl der Abschiebungen in Brandenburg, Bremen, Niedersachsen und Sachsen. Einzig in Thüringen ist die Zahl der Abschiebungen unter dem ersten linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sogar zurückgegangen.

Bundesweit wurden bis Ende November über 18.300 Menschen abgeschoben, teilte das Bundesinnenministerium am Montag mit. Manche Länder setzen stärker auf „freiwillige Ausreisen“ als auf spektakuläre Abschiebungen. Mindestens 35.000 Menschen sind in diesem Jahr auf diese Weise ausgereist, hat der Mediendienst Integration jüngst recherchiert.

In Rheinland-Pfalz sind 90 Prozent der Rückkehrer auf diese Weise ausgereist, 4.300 Ausreisen stehen nur 439 Abschiebungen gegenüber. Die Bundesregierung unterstützt die Ausreise mit Rückkehrprogrammen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Menschen, die Deutschland auf eigene Faust in unbekannte Richtung verlassen.
Aus dem Bett direkt zum Flughafen

Im Oktober hat die Bundesregierung das Asylrecht verschärft. Seitdem haben einige Länder verstärkt begonnen, abgelehnte Asylsuchende heimzuschicken. Und Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat angekündigt, die Zahl der Abschiebungen aus seinem Land im nächsten Jahr deutlich erhöhen zu wollen. Die freiwillige Rückkehr abgelehnter Asylbewerber sei aber „für alle Beteiligten die bessere Lösung,“ so Jäger.

Ähnlich sieht das sein Amtskollege Boris Pistorius (SPD) in Niedersachsen. Trotzdem wurden dort kürzlich 125 vom Balkan stammende Flüchtlinge aus ihren Betten geholt und in Bussen zum Flughafen Hannover-Langenhagen gebracht, bevor sie in Charterflugzeugen ausgeflogen wurden. Darunter sollen sich auch Kinder befunden haben sowie Gebrechliche, die auf Gehhilfen angewiesen sind. Andere seien mit Handschellen gefesselt gewesen.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz (SPD) hat diese aktuellen Abschiebungen scharf kritisiert. Dabei sei „auch ein Stück Humanität abgeschoben worden,“ sagte Mahrenholz der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. „Diese Familien waren hier verwurzelt. Ihre Kinder waren hier geboren.“

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