16. Dezember 2015 · Kommentare deaktiviert für „Grenzschutz : Mehr Macht für Frontex“ · Kategorien: Europa · Tags: ,

Quelle: Zeit Online

Einsätze gegen den Willen von Mitgliedsstaaten, Passkontrollen für EU-Bürger: Die EU-Kommission will den Schutz der Außengrenzen mit weitreichenden Mitteln durchsetzen.

Die Europäische Kommission will den Schutz der EU-Außengrenzen massiv verstärken und dafür die europäische Grenzschutzagentur Frontex ausbauen und mit mehr Befugnissen ausstatten. Der Vorschlag für einen „Europäischen Grenz- und Küstenschutz“ der Kommission beinhaltet im Notfall auch die Möglichkeit, die Grenzen von Mitgliedsstaaten gegen deren Willen durch Frontex kontrollieren zu lassen. Zudem sollen EU-Bürger an den Außengrenzen wieder systematisch kontrolliert werden.

Die Vorschläge der Kommission im Überblick:

  • Die Grenzschutzagentur Frontex soll ein Europäischer Grenz- und Küstenschutz mit einer ständigen Einsatztruppe werden.
  • Frontex soll Einsätze im Notfall auch gegen den Willen von Mitgliedsstaaten beschließen können.
  • Eine „europäische Rückführungsstelle“ soll gemeinsame Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber organisieren.
  • Stärkerer EU-Küstenschutz, indem die Kräfte mehrerer EU-Agenturen gebündelt werden.
  • Systematische Kontrollen an den Außengrenzen auch für EU-Bürger.

Durch die stärkeren Kontrollen der Außengrenzen möchte die EU-Kommission zum einen den grenzfreien Schengenraum in Europa schützen und erhalten. Zum anderen sollen Flüchtlinge an der illegalen Einreise in die EU gehindert und durch die Passkontrollen zurückkehrende Syrien-Kämpfer, wie einige Attentäter von Paris, und potenzielle Dschihadisten mit EU-Pass entdeckt werden.

Das Ziel sei, „sicherzustellen, dass ankommende Personen keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit darstellen“, teilte die EU-Kommission mit. Sollten die Pläne umgesetzt werden, würden EU-Bürger bei der Ein- und Ausreise polizeilich kontrolliert: Am Flughafen, auf der Autobahn oder im Hafen würde überprüft, ob nach den Personen gefahndet wird, sie unter Terrorverdacht stehen oder schon einmal in Europa verurteilt wurden. Dafür sollen Beamte auf die europaweite Fahndungsdatenbank Schengener Informationssystem (SIS) und Daten der Polizeibehörde Europol oder Interpol zugreifen. Zudem sollen Beamte biometrische Daten in Pässen genau überprüfen, wenn es Zweifel an der Echtheit des Passes oder an seinem Inhaber gibt.

Bisher werden laut Schengener Grenzkodex nur Nicht-EU-Bürger und ankommende Flüchtlinge bei der Ein- und Ausreise in den grenzkontrollfreien Schengenraum systematisch polizeilich überprüft. Bei EU-Bürgern wird lediglich Gültigkeit und Echtheit des Dokuments untersucht.

Das EU-Parlament und der Ministerrat, in dem die Staaten vertreten sind, müssen diesem Vorschlag zustimmen. Dies dürfte einige Monate dauern. Deutschland und Frankreich unterstützen das Vorhaben bereits, wie die beiden Innenminister in einem Brief an die EU-Kommission Anfang Dezember deutlich gemacht hatten. „Weil wir Schengen erhalten wollen, müssen wir den Schutz unserer gemeinsamen EU-Außengrenzen und das Gemeinsame Europäische Asylsystem dringend weiterentwickeln“, heißt es darin.

Gegen den Willen von EU-Mitgliedsländern

Neben der Passkontrolle für EU-Bürger befürworten Thomas de Maizière und sein französischer Kollege Bernard Cazeneuve auch einen noch strittigeren Vorschlag der EU-Kommission: In Krisensituationen soll Frontex auch gegen den Willen von Mitgliedsstaaten zum Schutz der Außengrenzen eingesetzt werden, etwa „wenn ein Staat unfähig oder unwillig ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“. Die Kommission hoffe, dass ein solches Eingreifen „niemals nötig sein wird“, sagte EU-Vizepräsident Frans Timmermans.

Einige EU-Länder haben bereits Widerstand gegen die geplante Zwangsmaßnahme angekündigt. Polen teilte mit, die Abgabe von Hoheitsrechten abzulehnen. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sagte, die Pläne stünden „im Gegensatz zu dem Prinzip, welches den Grenzschutz in die Kompetenz der nationalen Souveränität fallen lässt“.

Ob die Vorschläge der Kommission also tatsächlich umgesetzt werden, ist noch offen. Der Vorschlag kann nur dann Gesetzeskraft erhalten, wenn die EU-Staaten und das Europaparlament zustimmen. EU-Diplomaten erwarten, dass die Idee dort noch verändert wird. Andererseits könnten Teile auch mit der Mehrheit der Mitgliedsländer gegen den Willen einiger Staaten durchgesetzt werden.

Frontex wird massiv ausgebaut

Weniger umstritten zwischen den Mitgliedsstaaten dürfte das Kernstück der Kommissionsvorschläge sein, einen gemeinsamen EU-Grenzschutz aufzubauen. Das Budget dafür soll im kommenden Jahr 238 Millionen Euro betragen und 2020 auf 322 Millionen Euro steigen. Frontex soll dann rund 1.000 Mitarbeiter umfassen und in Krisensituationen innerhalb von drei Tagen auf 1.500 Grenzschützer aus den Mitgliedsländern zugreifen können. Diese Eingreiftruppe soll dann zum Beispiel zur Unterstützung in Mitgliedsländer entsandt werden können.

Allerdings hat Frontex bereits jetzt Probleme, die zugesagten Kräfte aus den Mitgliedsstaaten zu bekommen. So verlangte sie im Fall Griechenland 743 zusätzliche Beamte aus den Mitgliedstaaten, von denen bisher aber nur 447 gestellt wurden.

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siehe auch. Frankfurter Rundschau

Frontex: Europas neues Grenzregiment

Die EU will auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates die Grenzschützer von Frontex auf dessen Territorium einsetzen. Allerdings müssen die EU-Staaten und das Parlament dem Plan noch zustimmen.

Europa greift an seinen Außengrenzen durch. Daran ließ der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, keinen Zweifel. Von einem „deutlichen Versagen“, sprach Timmermans am Dienstag im Straßburger Europaparlament. Und er fügte hinzu: „In einem Raum mit geteilter Verantwortung ist eine effiziente Kontrolle der gemeinsamen Außengrenze entscheidend.“ Geht es nach der EU-Kommission, vollzieht sich an Europas Grenzen demnächst eine Revolution. Im Notfall sollen EU-Beamte die Außengrenzen in einem Schengen-Staat überwachen – auch gegen den Willen des Mitgliedslands. EU-Staaten und Parlament müssen dem Plan noch zustimmen. Wie aber könnte das neue Grenzregiment Europas aussehen?

Neue Agentur: Bislang beaufsichtigte die EU-Grenzschutzbehörde Frontex mit ihren dreihundert Beamten die Außengrenzen der 22 EU-Staaten, die zum Schengen-Raum zusammengefunden haben, einer Zone ohne Kontrollen an den Binnengrenzen. Das soll sich ändern. Aus Frontex wird die neue Europäische Agentur für Grenz- und Küstenschutz. Die neue EU-Behörde soll personell verstärkt werden. Zudem kann sie auf einen Pool von mindestens 1500 Grenzbeamten aus den EU-Staaten zugreifen, die im Notfall mobilisiert werden können.

Neue Befugnisse: Bislang konnten Frontex-Beamte in einem EU-Staat nur unter der Führung eines nationalen Beamten aus diesem Land ihren Dienst versehen. Das soll sich ändern. Die neue EU-Behörde prüft künftig die Grenzen eines Schengen-Staates auf ihre Durchlässigkeit. Im Zweifelsfall kann der Chef der Behörde verbesserte Kontrollen anmahnen. Geschieht nichts, kann die Behörde künftig durchgreifen und die Bewachung der Grenzen mit ihren Beamten selbst übernehmen. Zu ihren Aufgaben gehören auch die Erfassung von Flüchtlingen. Ein Einsatz ist auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates möglich, erforderlich ist allein ein Beschluss der EU-Staaten mit qualifizierter Mehrheit. Ärger ist also programmiert: Schon bei der Umsetzung der festen Quote zur Verteilung der Flüchtlinge sorgte das Mehrheitsvotum für Unmut. Auch hier fürchten Länder wie Griechenland, Italien oder Spanien einen Eingriff in ihre Souveränität. Polen beispielsweise laviert unter neuer Regierung herum, denn es will die zugesagten 7000 Flüchtlinge nicht aufnehmen. Angesichts der zu erwarteten Streitigkeiten versuchte Timmermans nun zu beruhigen. Er sprach von „seltenen Fällen“ und einem Instrument, „das wir hoffentlich nie einsetzen müssen“.

Neue Vorneverteidigung: Die EU verschiebt ihre Grenzen nach draußen. So sollen die Beamten der neuen EU-Agentur künftig auch in Drittstaaten wie Serbien oder Mazedonien eingesetzt werden können – mit Zustimmung dieser Länder. Die Beamten dürfen auch Flüchtlinge abschieben, oder „rückführen“, wie das im Behördenjargon heißt. Erstmals soll auf Druck des Europaparlaments und der EU-Ombudsfrau ein Flüchtling aber das Recht erhalten, sich wegen der Behandlung durch EU-Grenzer zu beschweren. Menschenrechtsorganisationen hatten aus Griechenland, Ungarn und Bulgarien von Übergriffen gegen Migranten berichtet.

Motiv der Reform: Die EU will in der Flüchtlingskrise das Schengen-System retten. Zuletzt waren mehrere Länder zu Kontrollen an der Binnengrenze zurückgekehrt. Schweden hat dies für den 4. Januar 2016 angekündigt. Dänemarks Außenminister Kristian Jensen hatte deshalb in Brüssel auch mit Kontrollen an der Grenze zu Deutschland gedroht. Am Dienstag gab es ein erstes Krisengespräch dazu in Berlin. Mit dem neuen Grenzregime will die EU also Schengen sichern. „Wir müssen gegen Ineffizienz einschreiten, bevor es zu spät ist“, sagte Timmermans.

Reaktionen: „Die EU hat eine humanitäre Verpflichtung, vor Krieg und Verfolgung flüchtenden Menschen Schutz zu bieten. Das geht aber nur, wenn wir eine echte Kontrolle über die EU-Außengrenze haben“, sagte die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler. Zustimmung für die Pläne der Kommission kam auch von der FDP. Linke, SPD und Grüne kritisierten den Vorschlag. „Die Flüchtlinge sollen schon vor der Grenze abgedrängt werden“, sagte die Grünen-Abgeordnete Ska Keller.

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