15. Dezember 2015 · Kommentare deaktiviert für „So lernen Polizisten, wie man Asylbewerber abschiebt“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Die Welt

Deutschland weist abgelehnte Asylbewerber wieder rigoroser aus. Bundespolizisten müssen die betroffenen Personen im Flugzeug in ihre Heimat begleiten – eine emotionale Grenzerfahrung.

Der Mann im dunkelblauen Anzug liegt bäuchlings auf dem Mattenboden, Handschellen umschließen seine Handgelenke, er japst: „Ich fliege nicht, ich will nicht, lasst mich.“ Über ihm kauern drei Bundespolizisten und fingern an einem Gurt herum, der um die Hüfte des Mannes geschlungen ist. Für die Männer ist der Gurt Ausweg und letzte Eskalationsstufe zugleich, ein Instrument für die schwierigsten Fälle.

Der „Body Cuff“ gleicht einem breiten Gürtel, wie ihn Gewichtheber beim Stoßen tragen, in den Gurttaschen stecken Handschellen, die an Fixierungsbänder mit roten Endschlaufen befestigt sind. Der Gurt wird in Haftanstalten genutzt – und auch bei Abschiebungen von Flüchtlingen, die sich heftig wehren oder beim letzten Versuch Widerstand geleistet haben. Es gebe nur sehr wenige Fälle, bei denen der Gurt zum Einsatz kommt, das werden die Bundespolizisten an diesem Tag immer wieder betonen.

Einer der Beamten redet beschwichtigend auf den Mann am Boden ein: „Wir haben keinen Handlungsspielraum, die Entscheidung ist getroffen.“ Und: „Kriegen Sie gut Luft?“ Sein Kollege zieht ein Band aus einer silbernen Schnalle, formt eine Schlaufe und bindet diese um die gekreuzten Beine des Mannes: „Beinteil ist gesetzt und sitzt.“ Die Hände des Mannes sind am Gürtel fixiert, zu Dritt wuchten sie ihn hoch, er ruft: „Ich will nicht zurück nach Hause.“

Sie tragen ihn schwitzend aus der Halle, zwei an Schultern und Rumpf, einer an den Beinen, durch die große Tür hinein in eine Umkleidekabine. Dort hieven sie ihn aufrecht auf eine niedrige Holzbank, je ein Bundespolizist an der Seite, die Hände abwehrbereit erhoben, um einen Kopfstoß abzufangen. Und dann weicht plötzlich alle Spannung aus dem Gesicht des Mannes. Er lächelt. Von der Tür her schallt es: Danke, gut gemacht!

Überall fehlen Beamte, die Abschiebungen begleiten

Auch der Mann am Boden ist Bundespolizist, an diesem Tag schieben er und die anderen nicht wie sonst an Bahnhöfen oder Flughäfen Dienst, sondern üben in einer weiträumigen Turnhalle in Hannover in Rollenspielen, wie sie bei Abschiebungen vorgehen sollen.

Deutschland weist wieder verstärkt Flüchtlinge aus. Allein Hamburg hat in den ersten elf Monaten dieses Jahres 1819 Abschiebungen verzeichnet, 2014 waren es noch 1304. Nächstes Jahr werden überall in Deutschland die Abschiebungen weiter zunehmen, schließlich haben hunderttausende Flüchtlinge eine geringe Bleibeperspektive, vor allem die aus den Balkanstaaten. Menschen, die den Weg nicht freiwillig antreten wollen, begleitet die Bundespolizei – doch aktuell gibt es bundesweit nur knapp 630 „Rückführer“. Es fehlt überall an Beamten für diesen Job – der so belastend ist, dass es eigene Schulungen dafür braucht.

Auf dem Stundenplan des Lehrgangs in der Bundespolizeidirektion Hannover stehen neben dem „Body Cuff“ auch rechtliche Fragen wie EU-Richtlinien und Zwangsmaßnahmen, Englisch und interkulturelle Kompetenz. Bestehen die Teilnehmer die fünftägige Fortbildung, dürfen sie Sammelabschiebungen durchführen und sich „Personenbegleiter Luft“ nennen, nur intern heißen sie „Rückführer“. Alle sind freiwillig hier, kein Bundespolizist muss an Abschiebungen teilnehmen.

Eigentlich werden heikle Situationen im „Spezialisierungszentrum Rückführung“ in Walsrode trainiert, dort gibt es sogar eine nachgebaute Innenkabine eines Flugzeugs, komplett ausgestattet mit Toiletten und Sitzreihen. Doch auf dem Gelände des Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrums Walsrode ist es schlicht zu voll, alle 422 Betten sind belegt, die zweieinhalbjährige Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten und etliche Fortbildungen laufen gerade, auch die zum richtigen Abschieben. Das heikle Thema hat nicht nur bei der Bundespolizei Hochkonjunktur.

Zahl der Abschiebungen fast verdoppelt

Deutschland verlassen müssen Menschen, denen kein Asyl und damit auch kein Aufenthaltstitel gewährt wird. Auch abgeschoben wird in „sichere Drittstaaten“, wenn Flüchtlinge dort erstmals europäischen Boden betreten haben (Dublin-Verfahren). Die Abschiebung wird nur aufgehalten, wenn Abschiebungshindernisse oder sogar Verbote bestehen, etwa wenn den Menschen in ihren Heimatländern Folter, Todesstrafe oder Gefahr durch einen bewaffneten Konflikt drohen.

Bundesweit haben sich die Zahlen 2015 mit rund 18.000 Abschiebungen im Vergleich zu 2014 fast verdoppelt, und der Mangel an Beamten für diesen sensiblen Job wird immer problematischer. Deshalb greifen die Verantwortlichen zum Hörer und rufen alte Bekannte an.

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