08. Dezember 2015 · Kommentare deaktiviert für Lageso: „Es wird immer noch schlimmer“ · Kategorien: Deutschland

Quele: Zeit Online

Nun sprechen Lageso-Mitarbeiter: Anonym haben sie den katastrophalen Umgang mit Flüchtlingen geschildert. Berlins Bürgermeister verteidigt sich gegen Kritiker.

Kein Plan, keine Perspektive, mangelnde Ausstattung und frustrierte Angestellte: Mitarbeiter des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) haben sich bei rbb-online anonym zu Wort gemeldet und bestätigen: „Das Chaos – das man draußen vermutet – gibt es wirklich.“

Die Bilder von Flüchtlingen, die bei Kälte und Regen vor der Behörde warten, kursieren seit Wochen. Mehrfach musste sich der Berliner Senat für seinen Umgang mit Flüchtlingen verteidigen. Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst jedoch dürfen ohne Zustimmung keine Auskunft über ihre Arbeit geben. Deshalb haben sie ihr Schweigen nun über den anonymisierten Weg gebrochen und kritisieren die Arbeit und Organisation der Behörde scharf.

Ein Mitarbeiter kritisiert die fehlende Personalplanung: „Wir wissen noch nicht einmal, wer am nächsten Sonnabend und Sonntag da ist.“ Weihnachten werde ein ganz großes Problem. „Sollen hier nur Ehrenamtliche von Moabit hilft und der Wachschutz sein? Und was keiner weiß: Die rund 50 Bundeswehrsoldaten, die uns bei der Registrierung helfen, haben ihren Einsatzbefehl nur bis Dezember, dann sind sie weg.“

Andere Mitarbeiter sprechen von „Arbeitswahnsinn“. In der Behörde stapelten sich die unbearbeiteten Fälle in Postkisten. „Und die gelben Postkisten werden in mehreren Räumen gelagert. Ein Ordnungssystem gibt es nicht. Deswegen gibt es bei uns auch den Job des ‚Suchers‘ – das sind Kollegen, die nur damit beschäftigt sind, die passende Akte zu suchen.“

Ein weiteres Problem sei, dass die Mitarbeiter des Lageso häufig über mangelnde Qualifikationen verfügten. „Die meisten sind Zeitarbeiter“, schreibt ein Mitarbeiter der Behörde. „Die dürfen nur die Fälle in die Computer eingeben – aber nichts bearbeiten. Und für alle neuen Mitarbeiter gilt: Niemand hat eine Einarbeitung bekommen, alle müssen sich mitten im Alltagswahnsinn selber einfuchsen.“

Zwischen Lageso-Präsident Franz Allert und Flüchtlingskoordinator Dieter Glietsch herrsche „Funkstille“, beklagt ein weiterer Mitarbeiter. Seiner Meinung nach fehle es an Führungskräften und mangelnder Struktur.

Das Frustrierende an der Arbeit sei, „man sieht keine Tendenz, keine Richtung, dass es aufwärts geht. Es wird immer noch schlimmer“, schildert ein Angestellter der Behörde.
Flüchtlingspolitik belastet große Koalition

Der Umgang mit den Flüchtlingen belastet auch generell das Klima in der großen Koalition, die in der Hauptstadt regiert. Auch musste Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) die Arbeit der Behörde eben erst gegen Kritik der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth verteidigen. Die Grünen-Politikerin hatte in einem offenen Brief eine „unmenschliche und unwürdige Situation“ am Lageso angeprangert und den Vergleich zu Bayern gezogen, wo man besser mit den Herausforderungen fertig werde.

Müller entgegnete im rbb: „Ich glaube, dass das Thema Flüchtlingsunterbringung nicht geeignet ist für politische Spielchen.“ Der Brief lasse die bisherige Leistung Berlins und die besondere Situation vor Ort außer Acht. Berlin sei kein Flächenland wie Bayern.

Inzwischen reichten Rechtsanwälte schon Strafanzeigen gegen den zuständigen Berliner Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und den Leiter des Lageso ein. Czaja wird schon seit längerem persönlich für die Zustände dort verantwortlich gemacht, auch Müller war zuletzt klar auf Distanz zu dem Senator gegangen.

Im rbb forderte Müller den Koalitionspartner CDU zu einem Umdenken bei diesem Thema auf. „Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo ich deutlich mache: Liebe Leute, ich erwarte, dass wir hier anders Politik machen (…).“

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