01. November 2015 · Kommentare deaktiviert für Grenzübergang Kollerschlag: „Sie sehen ja, was hier los ist“ · Kategorien: Deutschland, Österreich · Tags:

Quelle: der Standard

von Alexandra Föderl-Schmid aus Kollerschlag

Seit Freitag gilt die Vereinbarung zwischen Deutschland und Österreich, dass jede Stunde 50 Flüchtlinge an einem der fünf fixierten Grenzübergänge passieren dürfen. Vor Ort wird diese Quote aber flexibel gehandhabt

In Viererreihen stehen die Flüchtlinge an, ihre Habseligkeiten an sich gedrückt. Geduldig und ruhig harren sie aus. „Was wird wohl in den Menschen vorgehen, so knapp vor ihrem Ziel“, fragt eine Frau aus der Gegend, die die Szenerie beobachtet. Immer wieder kommen Mühlviertler vorbei und deponieren Schlafsäcke, Decken oder Winterkleidung.

Als nach fast einer Stunde auf der bayerischen Seite des Grenzübergangs zwischen Kollerschlag und Wegscheid ein Bus vorfährt, kommt Bewegung in die Menge. Mansour Rastegar ruft einige Anweisungen in ein Megafon. Der 48-Jährige Pädagoge spricht Farsi und Dari und ist vor 33 Jahren nach Österreich und vor 23 Jahren in den Bezirk Rohrbach gekommen.

Nur Zählung, keine Personalienaufnahme

Die Menschen in der ersten Reihe marschieren los, Richtung Bus, vorbei an dem Schild Deutschland – ihr Zielland. „Abgezählt wird, aber Personalien werden erst später aufgenommen“, sagt Thomas Schweikl, Sprecher der deutschen Bundespolizei. Diejenigen, die jetzt in den Bus einsteigen, kommen nur einige Kilometer weit. In Wegscheid wurde eine Halle neu hergerichtet, von dort geht es weiter.

Flüchtlinge, die den Grenzübergang zwischen Niederbayern und Oberösterreich an diesem Tag passiert haben, wurden bereits mit Sonderbussen und –zügen nach Hannover und Saalfeld gebracht, andere müssen noch in der Dreiländerhalle in Passau übernachten. Am Freitag hat man sich zwischen Berlin, Wien und München auf fünf Grenzübergänge geeinigt, wo Flüchtlinge die Landesgrenze passieren dürfen. Kollerschlag/Wegscheid ist einer davon. Mehr als 1500 Flüchtlinge haben am Samstag bereits diese Grenze überschritten, rund 500 werden es noch werden. „Also rund 2000 werden an diesem Tag insgesamt sein“, schätzt Schweikl.

„Das kann hinkommen, denn sehr viele Busse werden nicht mehr erwartet“, meint Bezirkskommandant Herbert Kirschner. 38 wurden an diesem Tag gezählt, für Sonntag sind bis 14 Uhr neun Busse angekündigt. Weil die Straße Richtung Grenze sehr schmal ist, wird der restliche Verkehr mitten im Ort Kollerschlag umgeleitet, der rund zwei Kilometer entfernt liegt. An die Masse von Bussen mit steirischen Kennzeichen hat man sich in den vergangenen Wochen gewöhnt.

50 Flüchtlinge pro Stunde pro Übergang

Und wie ist es mit der Beschränkung auf 50 Flüchtlinge pro Stunde und Übergang, auf die sich die Wiener und Berliner Regierung unter Einbindung Bayerns am Freitag verständigt habe, wie genau werde das eingehalten? „Naja, Sie sehen ja, was hier los ist“, meint der Sprecher der Bundespolizei.

Es hängt wohl eher von den Bussen ab, die an- und abfahren, als vor den Vorgaben der Regierenden weit weg. Und vor Ort habe die Kommunikation auch immer gut funktioniert, versichern sowohl die bayerischen als auch die österreichischen Einsatzkräfte. Weiter oben, da habe es in der vergangenen Woche ordentlich gekracht, aber hier komme man schon zusammen.

Lageeinschätzung am Morgen

Nebenan schimpft allerdings ein bayerischer Polizist laut über die Österreicher, die wieder mehr Flüchtlinge schickten als angekündigt. Am Morgen erfahre er immer, wie viele Busse aus dem Süden Österreichs zu erwarten seien, erklärt der Bezirkskommandant. Auch die ungefähren Ankunftszeiten wisse man. Diese Angaben würden umgehend an die deutschen Kollegen weitergegeben, damit man sich auf das Kommende vorbereiten könne.

Zehn Beamte sind zumeist auf österreichischer Seite im Einsatz, ebenso viele auf der deutschen. Die Polizeiautos dienen als Barriere. Um die Versorgung kümmert sich das Rote Kreuz mit vielen Dutzend freiwilligen Helfern aus der Region. Es werden Kleidung und Essen verteilt.

Schutz im Zelt statt Lagerfeuer

Seit Freitag gibt es ein riesiges Zelt, das insbesondere bei Einbruch der Dunkelheit Schutz vor der Kälte bietet. Bilder, dass Flüchtlinge mit Holz aus dem nahe gelegenen Wäldchen ein Lagerfeuer anzünden, um sich wärmen zu können, sollen damit der Vergangenheit angehören. Das Zelt ist beheizbar und hat einen Holzboden.

Wie lange das noch so weitergehen wird? „Ich weiß es nicht, wir sind auf jeden Fall gut vorbereitet“, meint Bezirkskommandant Kirschner. Und ein bisschen stolz sei er schon. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien hier Flüchtlinge wie Sudetendeutsche aus dem nahen Böhmen angekommen, 1989 sei der Eiserne Vorhang in diesem Grenzbezirk gefallen und nun jetzt werde hier wieder „Weltgeschichte geschrieben“.

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