23. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für Flüchtlingslager in Brezice: „Das ist fast wie Krieg“ · Kategorien: Balkanroute, Slowenien

Quelle: Spiegel Online

Ein Interview von Heike Klovert

Slowenien ist in der Flüchtlingskrise überfordert, am heftigsten trifft es Brezice: Tausende kommen dort täglich über die Grenze. Bürgermeister Ivan Molan ist frustriert – und fordert die deutsche Regierung auf, die Menschen direkt abzuholen.

Ivan Molan, 52, wirkt nicht wie jemand, der gern die Kontrolle verliert. Der hünenhafte Bürgermeister der slowenischen Gemeinde Brezice steht an einer Dorfstraße, als sei er dort verwurzelt, die Füße hüftbreit nebeneinander, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Im Garten hinter ihm kollert ein Truthahn. Die Grenze zu Kroatien ist nur ein paar Hundert Meter entfernt.

Es ist diese Grenze, die dem Bürgermeister den größten Ausnahmezustand seiner zehnjährigen Amtszeit beschert hat – und den größten Kontrollverlust. Im Flüchtlingslager in Brezice ging es in den vergangenen Tagen chaotisch zu. Es fehlte zeitweise an Wasser und Essen. Flüchtlinge waren so wütend und verzweifelt, dass sie die Zelte anzündeten, in denen sie untergebracht waren.

SPIEGEL ONLINE: Im Lager hinter der Polizeistation in Brezice warteten auch am Donnerstag Hunderte Menschen stundenlang in der Kälte. Sie hatten Hunger und Durst. Was ist da schiefgelaufen?

Molan: (holt sein Handy aus der Tasche und zeigt ein Foto von Brot und anderen Lebensmitteln, die weggeworfen im Gras liegen) Es ist schwer vorstellbar, dass es nicht genug Essen geben soll. Wir organisieren Wasser und Nahrung. Aber manche Flüchtlinge verweigern es, um den Druck zu erhöhen, damit wir sie weiterziehen lassen. 50 bis 100 slowenische Helfer sind rund um die Uhr im Einsatz. Das System funktioniert noch nicht perfekt, aber es funktioniert. Der beste Beweis dafür ist, dass es noch keine größeren Konflikte gab.

SPIEGEL ONLINE: 27 Zelte im Camp sind niedergebrannt, mehr als die Hälfte. Was muss denn noch passieren?

Molan: Das ist die Art mancher Flüchtlinge, ihre Weiterfahrt zu erzwingen. Einige haben Selfies vor den brennenden Zelten gemacht. Ich an ihrer Stelle wäre froh, in einem sicheren Land zu sein und etwas zu trinken und zu essen zu bekommen. Aber sie sind nicht zufrieden mit dem, was sie haben.

SPIEGEL ONLINE: Wie sehr leidet Brezice unter der Flüchtlingskrise?

Molan: Wir hätten uns nie vorstellen können, dass so etwas passiert. Wir haben ein Atomkraftwerk in der Nähe, gelegentliche Überflutungen und manchmal ein Erdbeben. Aber das hier ist viel ernster. Das schränkt das Leben in der gesamten Gemeinde ein, der 24.000 Einwohner und der Behörden. Das ist fast wie Krieg. Ich habe Angst, dass Österreich die Grenzen schließt. Slowenien kann das nicht allein stemmen.

SPIEGEL ONLINE: Was muss geschehen?

Molan: Wenn die deutsche Regierung es wirklich ernst damit meint, dass alle Flüchtlinge willkommen sind, warum schickt sie dann keine Züge direkt nach Kroatien oder hierher, um die Menschen abzuholen? Dann würden die Flüchtlinge nicht mehr leiden und uns wäre auch sehr geholfen.

SPIEGEL ONLINE: Wie viele Flüchtlinge kann Slowenien aufnehmen?

Molan: 2000 Menschen, mehr nicht, wenn man unsere wirtschaftliche Lage und die Möglichkeiten der lokalen Gemeinden bedenkt, Flüchtlinge zu integrieren. Den Rest müssen Länder mit einer stärkeren Wirtschaft unterbringen.

SPIEGEL ONLINE: Das slowenische Parlament hat gerade beschlossen, dass die Armee die Grenzen kontrollieren darf. Lässt sich die Zahl der Flüchtlinge so beschränken?

Molan: Die Soldaten sollen lediglich die Polizei unterstützen, die die Flüchtlinge registriert. Tausende Menschen kann man nicht mit Gewalt davon abhalten, über die Grenze zu kommen. Wir müssen die Krise in Syrien und in den anderen Herkunftsländern der Flüchtlinge lösen. Die EU muss sich stärker um Frieden in Syrien bemühen und die Türkei und Griechenland dabei unterstützen, mit der Situation fertigzuwerden. Früher oder später sind mehr als eine Million Flüchtlinge in die EU gekommen. Daran könnte die Staatengemeinschaft zerbrechen.

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