22. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für Europol und Interpol verstärken Bekämpfung von Fluchthelfern · Kategorien: Europa · Tags: ,

Quelle: Telepolis

von Matthias Monroy

Die Polizeiorganisationen errichten internationale Zentren gegen „Migrantenschleusung“. Die angeschlossenen Kriminalpolizeien verarbeiten auch Informationen von Geheimdiensten

Die EU-Polizeiagentur Europol erhält 30 zusätzliche Planstellen zum Aufspüren und Verfolgen von Fluchthelfern. Dies geht aus einem Nachtrag zum Haushaltsplan hervor, den die EU-Kommission Anfang des Monats veröffentlicht hat. Als Ziel wird die „Zerschlagung von Schleppernetzen“ angegeben. Einige der neuen Mitarbeiter sollen mithilfe automatisierter Verfahren das Internet beobachten. Europol soll Postings, mit denen die Fluchthelfer „Migranten und Flüchtlinge anlocken“, ausfindig machen und bei den Internetanbietern deren Entfernung aus dem Netz beantragen.

Ein Großteil der neuen Stellen dient der Zentralisierung aller Anstrengungen gegen die grenzüberschreitend tätigen Fluchthelfer. Europol errichtet hierfür ein „Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (ECMS) am Sitz der Agentur in Den Haag. Es ersetzt ein „maritimes Lagenzentrum“, das Europol ebenfalls als Sofortmaßnahme gegen zunehmende Migrationsströme eingerichtet hatte (Zivil-militärische Zusammenarbeit auf dem Mittelmeer).

Das neue Zentrum soll jedoch nicht nur auf das Mittelmeer beschränkt sein. In dem Ratsdokument heißt es, das ECMS solle einen „EU-weiten Überblick über die Schleusung von Migranten aus Sicht der Strafverfolgung“ ermöglichen. Dadurch würde die Koordinierung mit ähnlichen Einrichtungen in den Mitgliedstaaten gewährleistet.

Aus Deutschland wird vermutlich das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration angebunden, das vom Bundesinnenministerium als gemeinsame Informations-, Koordinations- und Kooperationsplattform mehrerer Behörden in Potsdam eingerichtet wurde. Außer dem Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundespolizei arbeiten dort unter anderem der Zoll, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter einem Dach zusammen.
Verarbeitung geheimdienstlicher Informationen

Auch bei Europol würden laut den derzeitigen Plänen Informationen von Geheimdiensten verarbeitet. Wie die Kommission schreibt, sollen „Vor-Ort-Maßnahmen der Polizei und des Grenzschutzes“ durch „mehr geheimdienstliche und operative Erkenntnisse“ unterstützt werden.

Das Europol-Zentrum gegen Fluchthilfe soll laut der Kommission vor allem Finanzermittlungen betreiben. Banken und andere Finanzinstitute sind verpflichtet, alle Finanztransaktionen auf Vorrat zu speichern und Verdachtsfälle zu Terrorismus oder Geldwäsche sofort zu melden. Die bei Europol zusammengeschlossenen Kriminalpolizeien nutzen die Daten, um Überweisungen zurückzuverfolgen und auf diese Weise mutmaßliche Fluchthelfer aufzuspüren. Für den gleichen Zweck werden Telefone von Geflüchteten beschlagnahmt und forensisch ausgewertet. So wollen die Ermittler erfahren, welche Rufnummern zu Beginn der Flucht gewählt wurden.

Zu den Sofortmaßnahmen der Kommission gehört auch der Aufbau von neuartigen „mobilen Ermittlungsunterstützungsteams“ (EMIST). Über solche Soforteinsatzteams verfügte bislang lediglich die EU-Grenzagentur Frontex. Die 2010 eingerichteten schnellen Eingreiftruppen waren damals nur einmal nach Griechenland abgeordnet worden, nun ist ein Großeinsatz an den griechischen Küsten der Ägäis geplant.
Befragung von Geflüchteten in „Hotspots“

Die Soforteinsatzteams von Europol und Frontex sollen laut den Plänen eng miteinander verzahnt werden. Die Kriminalbeamten werden demnach auch zu den in Italien und Griechenland geplanten „Hotspots“ entsandt. Dort sollen ankommende Geflüchtete in Auffanglagern festgehalten und dokumentiert werden, bevor sie dann möglicherweise in andere Mitgliedstaaten verteilt werden.

Zur „Koordinierung des Hotspot-Ansatzes“ ist Europol schon jetzt Teil einer „EU Regional Task Force“, die von griechischen bzw. italienischen Behörden eingerichtet wurde. Unter Beteiligung von Frontex und Staatsanwälten aus den Mitgliedstaaten arbeitet die „Task Force“ auch mit der EU-Militärmission EUNAVFOR MED auf dem Mittelmeer zusammen. Die Soldaten, Grenz- und Kriminalbeamten führen laut Berichten eine gemeinsame Datenbank zu verdächtigen Personen.

„Experten und Analysten von Europol“ führen laut der Kommission auch in den Hotspots „Ermittlungen zur Aufdeckung von Schleusernetzen“ durch. Hierzu gehören unter anderem „Befragungen“ einzelner Migranten, in denen diese über Fluchtrouten, Helfer und Preise für die Überfahrt Auskunft geben sollen. Jedoch sollen die EMIST-Teams auch „handeln, wenn Migranten von den fünf derzeit betroffenen griechischen Inseln ausschiffen“.

Hinter der sperrigen Formulierung verbirgt sich das Problem, dass einige Mitgliedstaaten vor einer Aufnahme umverteilter Migranten deren Personendaten verlangen, um diese mit Polizeidatenbanken abzugleichen. Im Asylverfahren ist dies aber aus Datenschutzgründen nicht gestattet. Hier soll nun Europol einspringen.

Entfernung von Internetinhalten

Das bei Europol entstehende „Europäische Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ erhält auch eine Abteilung zur Kontrolle des Internets. Mithilfe automatisierter Verfahren zur Internetbeobachtung sollen Inhalte gefunden werden, mit denen Fluchthelfer ihre Kunden „anlocken“ könnten. Gemeint sind vor allem Facebookgruppen, über die Fluchtwillige Kontakt zu den Fluchthelfern aufnehmen. Europol soll die Entfernung der Postings bei Facebook, Google oder Youtube beantragen.

Eigentlich war geplant, die Beobachtung der Internetauftritte von Fluchthelfern in der ebenfalls neu eingerichteten „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol anzusiedeln. Deren Zweck wird jedoch mit der Bekämpfung des „islamistischen Terrorismus“ angegeben (Wie das BKA das Internet säubern will). Trotzdem erhielt die „Meldestelle“ bereits 99.000 Euro, um mit drei neuen Stellen auch gegen unerwünschte Migration vorzugehen.

Europol sucht nun in Stellenanzeigen Analysten und türkischsprachige Übersetzer, die mit der Auswertung offener Quellen im Internet und der Verarbeitung von Massendaten vertraut sind. Bevorzugt werden Bewerber, die über Erfahrung mit Finanzermittlungen verfügen und in den Bereichen „Cyberkriminalität“ oder „Anti-Terrorismus“ tätig waren.

Europol führt außerdem ein Register, über das Polizeidienststellen aus den Mitgliedstaaten erfahren, ob gegen bestimmte Webseiten bereits Maßnahmen ergriffen wurden oder ob der fragliche Content auch auf anderen Internetplattformen festgestellt wurde. Die „Meldestelle“ benutzt dafür automatisierte Verfahren zur Bilderkennung, wie sie bislang zum Aufspüren von Kinderpornografie zum Einsatz kamen.

Enge Kooperation mit Interpol

Europol will aber nicht nur als „Meldestelle“ fungieren, sondern verlangt von den Providern auch Informationen über die betreffenden Accounts. Allerdings darf die EU-Agentur nicht ohne weiteres Personendaten mit privaten Firmen austauschen. Deshalb soll die „Meldestelle“ einen Platz in der gegenwärtig diskutierten Neuauflage der Europol-Verordnung erhalten. Ab Januar 2016 ist die volle Einsatzbereitschaft der „Meldestelle“ geplant.

Vergangene Woche hielt Europol mit der internationalen Polizeiorganisation Interpol in Lyon ein gemeinsames Forum zur Bekämpfung von Fluchthelfern ab. Die zweitägige Konferenz habe laut einer gemeinsamen Mitteilung „zahlreiche Maßnahmen gegen organisierte kriminelle Netzwerke“ erörtert. Zu den teilnehmenden gehörten auch Behörden aus Transit- und Herkunftsländern von Geflüchteten sowie Organisationen aus dem „Privatsektor“.

Auch bei Interpol soll ein „Operatives Spezialistenzentrum gegen den Schmuggel von Migranten“ entstehen, das eng mit dem EMSC bei Europol verzahnt werden soll. Ziel sei demnach die Mitarbeit von Behörden aus Transit- und Herkunftsländern. Die neue Interpol-Abteilung gegen Fluchthilfe soll auf der bereits existierenden Zusammenarbeit mit „Partnern“ in Afrika aufbauen. Genannt werden Regionalbüros in Abidschan und Nairobi, die nach einem Modellprojekt in Lateinamerika eingerichtet wurden.

30.000 Fluchthelfer?

Europol und Interpol wollen ihre Kooperation abermals verstärken. Polizeibehörden würden durch einen regelmäßig erscheinenden Lagebericht unterstützt. Dieser Bericht könnte demnach als Leitfaden für „koordinierte und effiziente“ Aktivitäten dienen. Die beiden Polizeiorganisationen kündigen den Ausbau von Echtzeit-Kapazitäten in der Informationsübermittlung an. Davon betroffen wäre eine beträchtliche Zahl mutmaßlicher Fluchthelfer.

Europol führt eine Datensammlung namens „Checkpoint“, in der bereits 30.000 Personen wegen angeblicher „Schleusungskriminalität“ gespeichert sind. Es liegt auf der Hand, dass die meisten der Verdächtigen selbst Geflüchtete sind, die für die Übernahme bestimmter Tätigkeiten auf der Flucht von den Helfern Vergünstigungen erhalten. Vor Strafverfolgung schützt das indes nicht: Auch wer bei der Überfahrt mit dem Schlauchboot mit der Familie am Außenbordmotor sitzt, wird als „Schlepper“ oder „Schleuser“ behandelt und vor Gericht gestellt.

Der Einsatz von Kriminalpolizei, Staatsanwälten und Geheimdiensten gegen unerwünschte Migration illustriert einen Paradigmenwechsel in der Behandlung globaler Migrationsströme. Geflüchtete werden auf diese Weise zunehmend als „Opfer“ von Fluchthelfern dargestellt. So heißt es auch in einem Werbevideo von Europol zur Errichtung des neuen Anti-Schmuggler-Zentrums, dass dieses der Bekämpfung einer „humanitären Krise“ dienen soll. Die „Katastrophe“ besteht jedoch darin, dass viele Fluchtwillige durch die Aufrüstung der EU-Außengrenzen zu immer risikoreicheren Routen gezwungen werden, was zu immer mehr Toten führt und schließlich die Tarife der Fluchthelfer in die Höhe treibt.

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