20. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „Das Geschäft mit der Not“ · Kategorien: Deutschland

Quelle: Zeit Online

Betten werden knapp, Sicherheitsfirmen boomen, Handyanbieter verschenken SIM-Karten: Wer profitiert von der aktuellen Flüchtlingskrise – und mit welchen Mitteln?

Von Lukas Koschnitzke

Es war absehbar, dass sie kommen werden. Doch die Vielzahl der Flüchtlinge, die seit Monaten in Deutschland Hilfe sucht, überfordert Politik und ehrenamtliche Helfer. Alleine seit Anfang September sind 400.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wie viele noch kommen werden, weiß niemand. Während die Politik über die Grenzen der deutschen Belastbarkeit streitet, gibt es aufseiten der Wirtschaft einige, die sich über immer mehr Flüchtlinge freuen: Sie verdienen die Milliarden, die Staat und Hilfsorganisationen für die Flüchtlinge ausgeben. Die große Anzahl ankommender Flüchtlinge wirkt für sie wie ein warmer Geldregen. ZEIT ONLINE stellt fünf Wirtschaftszweige vor, die von der aktuellen Situation profitieren.

Unterbringung

Jürgen Wowra verdient sein Geld mit den ungewöhnlichsten Flüchtlingsunterkünften Deutschlands. Sein Unternehmen Paranet hat sich eigentlich auf Sporthallen und die Überdachung von Schwimmbädern spezialisiert. Doch seit einigen Monaten rufen vor allem Bürgermeister bei Wowra an, verzweifelt auf der Suche nach einer Möglichkeit, Hunderte Flüchtlinge innerhalb weniger Tage unterzubringen.

Wowras Hallen sind dafür perfekt: Sie bestehen nicht aus Stein oder Holz, sondern aus unzähligen gigantischen Luftkissen, die sich bei Bedarf an fast jedem Ort aufblasen lassen. Im Notfall entsteht so innerhalb von drei Tagen eine Unterkunft für Dutzende Flüchtlinge, die optisch ein wenig an die Münchner Allianz Arena erinnert. Diese Kurzfristigkeit lässt sich Paranet gut bezahlen: Bis zu 120.000 Euro kostet eine große Halle pro Monat. Zehn solcher Notunterkünfte für mehrere Tausend Flüchtlinge wurden bislang aufgestellt.

Die Lufthallen stehen exemplarisch für die Not vieler Kommunen, schnell eine geeignete Herberge für die Flüchtlinge zu finden. Ihre Verhandlungsposition ist angesichts der vielen Neuankömmlinge miserabel: Gemietet wird quasi alles, was schnell verfügbar und trocken ist – zu fast jedem Preis. „Wir mussten unsere Produktion von einer Schicht auf vier Schichten umstellen“, sagt der Paranet-Chef, „sonst wären wir nicht mehr hinterhergekommen.“ Ein Ende der Anfragen erwartet er so schnell nicht. „Das wird weit bis ins nächste Jahr gehen.“

Im Vergleich zu vielen anderen Unterkünften sind die Lufthallen sogar noch günstig. Die Stadt Berlin baute sechs Containerdörfer für insgesamt 42,7 Millionen Euro. Drei Firmen erhielten dafür den Zuschlag. Bei 2.200 Flüchtlingen, die in den Dörfern leben können, verdienten die Firmen gut 19.000 Euro pro geschaffenem Heimplatz.

Und andere Kommunen ziehen nach – zur Freude der Unternehmen. Die meisten Anbieter von Wohn- und Sanitärcontainern sind auf Monate hinaus ausgebucht, kommen mit der Arbeit kaum hinterher. Nebenbei erteilen sie den Bürgermeistern eine kleine Lektion in Sachen Marktwirtschaft: Die gigantische Nachfrage hat – bei verhältnismäßig niedrigem Angebot – regelrechte Preissprünge ausgelöst. In Regensburg stiegen die Quadratmeterpreise für Wohncontainer innerhalb weniger Tage um ein Drittel von 1.800 auf 2.400 Euro; der Stadt blieb nichts anderes, als widerwillig zu akzeptieren. Noch gieriger wurden die Containeranbieter in einigen Orten in Niedersachsen: Der dortige Städte- und Gemeindebund berichtet von Preissteigerungen von bis zu 1.000 Prozent – dem Zehnfachen des Ursprungspreises.

Möbel und Haushaltsgeräte

Die Stadt Köln geht in den kommenden zwei Jahren auf große Shoppingtour. Auf der Einkaufsliste stehen unter anderem: 2.200 Elektroherde, 3.800 Waschmaschinen und 4.600 Kühlschränke. Die Geräte dienen der Ausstattung von Wohnungen für Asylbewerber und Hartz-IV-Empfänger. Kosten des Großeinkaufs: 3,4 Millionen Euro.

Die Anschaffungen illustrieren den Bedarf der deutschen Großstädte an Haushaltsgeräten und Möbeln. Viele Hersteller können vor allem Betten und Matratzen gar nicht so schnell produzieren, wie sie für die Flüchtlingsunterkünfte aufgekauft werden. In manchen Ikea-Filialen etwa kommt es zu Lieferengpässen für einige Produkte. Besonders beliebt laut einer Sprecherin: das metallene Etagenbett Svärta (159 Euro) und die Schaummatratze Moshult(49 Euro). Man bemühe sich, die Regale schnell wieder aufzufüllen.

Vor allem Matratzenhersteller profitieren laut dem Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) bisher von den Flüchtlingszahlen: Der Umsatz stieg in diesem Jahr bereits um ein Fünftel. Der große Sprung für die Möbelindustrie steht aber wohl erst noch bevor: Ab dem nächsten Jahr rechnet der VDM mit einer „Zusatzkonjunktur“ – dann nämlich, wenn Tausende Flüchtlinge die Aufnahmeeinrichtungen verlassen und in eigene Wohnungen ziehen. Die Asylbewerber müssen dann häufig einen ganzen Haushalt neu einrichten. Die Möbelindustrie freut sich schon.

Mobilfunk

Die wenigsten Deutschen kennen das britische Unternehmen Lycamobile. Kein Wunder: Lycamobile hat sich auf sogenannte Ethno-Tarife spezialisiert, mit denen Ausländer besonders günstig in ihre Heimat telefonieren können. Ein Anruf aus Deutschland auf ein syrisches Handy kostet so nur 19 Cent pro Minute – ein Bruchteil der Kosten bei anderen Anbietern.

Die Flüchtlinge, die nach Deutschland strömen, sind für Lycamobile vor allem potenzielle Kunden: Quasi jeder besitzt ein Handy; oft ist es die einzige Verbindung zu Familie und Freunden, die in der Heimat auf ein Lebenszeichen warten. Was den Flüchtlingen fehlt, wenn sie in die Aufnahmeeinrichtungen kommen: eine deutsche SIM-Karte, möglichst günstig für Anrufe ins Ausland. Hier setzt Lycamobile an.

Filmaufnahmen zeigen, wie Mitarbeiter von Lycamobile Flüchtlinge am Mailänder Bahnhof abfangen, um sie mit SIM-Karten auszustatten: Die Prepaidkarte ist umsonst, Lycamobile verdient an den Anrufen nach Hause. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten von ähnlichen Werbeaktionen auch in Deutschland. Eine Anfrage, wie und warum man in Deutschland um Flüchtlinge als Kunden wirbt, lässt Lycamobile unbeantwortet.

Der deutsche Anbieter yourfone zeigt sich auskunftsfreudiger. Ende vergangener Woche kündigte das Unternehmen an, mit der Caritas und dem Roten Kreuz 50.000 kostenlose SIM-Karten in Aufnahmeeinrichtungen zu verteilen. Für ein halbes Jahr enthalten die Tarife Freiminuten und ein Gigabyte mobiles Internet pro Monat. Gesamtwert der Geschenkaktion: 3,5 Millionen Euro.

Ein Investment in die Zukunft: Natürlich hoffe man, die Kunden auch nach dem Ablauf der sechs Monate zu behalten, sagt yourfone-Vorstand Julian Valdenaire. Die Gratis-SIM-Karten haben außerdem einen entscheidenden Haken: Die Freiminuten gelten nur innerhalb Deutschlands; Anrufe ins Ausland, um die es den meisten Flüchtlingen vor allem gehen dürfte, müssen ab dem ersten Tag selbst bezahlt werden. Hier verdient yourfone stolze 99 Cent pro Minute.

Sicherheit

Wo immer in Deutschland eine neue Flüchtlingsunterkunft eröffnet wird, muss sie von einem Sicherheitsdienst bewacht werden. Anbieter können sich daher vor lukrativen Aufträgen kaum retten: Die Bewachung einer großen Unterkunft für mehrere Hundert Flüchtlinge bringt je nach Region hohe sechsstellige Beträge. Über ihre aktuellen Gewinne schweigen sich die großen Anbieter wie Securitas aus.

Doch ein Blick in die Konzernbilanz von 2013 macht klar: Es ist ein Millionengeschäft. Schon damals stieg der Umsatz von Securitas um vier Prozent, der Gewinn schoss auf gut 17 Millionen Euro. Und die aktuellen Zahlen dürften noch deutlich besser aussehen: Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) schätzt, dass die Umsätze der Branche im ersten Halbjahr 2015 um knapp neun Prozent gestiegen sind. Den Flüchtlingen sei Dank.

Derzeit sind bis zu 10.000 Sicherheitskräfte in deutschen Flüchtlingsheimen im Einsatz. Allerdings: „Es wird immer schwieriger, geeignetes Sicherheitspersonal zu finden“, sagt Harald Olschok, Geschäftsführer des BDSW. Er rechnet daher mit einer baldigen Preiserhöhung der Security-Firmen.

Dabei lockt das schnelle Geld der Kommunen schon heute manch schwarzes Schaf auf den Markt: Im Juni etwa wurde der Sicherheitsdienst einer Kölner Unterkunft entlassen, nachdem sich der Chef bei Facebook rassistisch über Flüchtlinge ausgelassen hatte.

Das Hauptproblem der Branche: Der Marktzugang ist quasi nicht geregelt. Für eine Gewerbeanmeldung eines Sicherheitsdienstes genügt im Wesentlichen ein 40-Stunden-Kurs bei der Industrie- und Handelskammer. In Deutschland ist es schwieriger, seinen Führerschein zu machen, als eine Firma zu gründen, die Flüchtlinge bewacht. Eine Einladung an alle, die das große Geschäft wittern.

Geldtransfers

Wenn irgendwo auf der Welt Menschen ihre Heimat verlassen müssen, profitieren davon Finanzdienstleister wie Western Union: Das US-amerikanische Unternehmen bietet Bargeldtransfers rund um den Globus an. Geld, das in Hamburg eingezahlt wurde, kann Minuten später in Ankara abgeholt werden. Viele Flüchtlinge unterstützen so ihre Familien in der Heimat finanziell: Im Jahr 2015 werden Migranten laut Weltbank schätzungsweise 440 Milliarden US-Dollar zurück in ihre Herkunftsländer schicken – einen guten Teil davon über Western Union, das Unternehmen ist Weltmarktführer.

Seinen Jahresumsatz von 5,6 Milliarden erwirtschaftet das Unternehmen mit Transfergebühren und Wechselkursen. Für viele Flüchtlinge, auch in Deutschland, ist das Filialnetz von Western Union ohne Alternative: An rund 500.000 Standorten weltweit kann man Geld bei Western Union einzahlen, selbst für Städte wie Kabul und Damaskus spuckt die Website Dutzende Ergebnisse aus. Andere Geldhäuser haben sich dort längst zurückgezogen.

Konzernchef Hikmet Ersek spricht von einem „sprunghaften Anstieg“ der Transaktionen von Deutschland nach Syrien, ausgelöst durch die Flüchtlingskrise. Was das in Zahlen bedeutet, will das Unternehmen nicht sagen. Klar ist nur: An jedem Euro, den Flüchtlinge ihren Familien schicken, verdient Western Union mit.

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