19. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „Balkanroute: Zäune halten Flüchtlinge nicht auf“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland, Griechenland, Kroatien, Serbien, Slowenien, Ungarn · Tags: ,

Quelle: Zeit Online

Ungarn, Bulgarien und Griechenland setzen auf Grenzzäune zur Abschreckung. Auch die deutsche Polizei denkt darüber nach. Doch Abschottung wird nicht funktionieren.

Von Thomas Roser, Belgrad

Am Wochenende war es Rainer Wendt, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, der das Allheilmittel für die Flüchtlingskrise präsentierte. Die „Notbremse“ müsse gezogen werden, sagte er in der Welt am Sonntag und plädierte für einen Grenzzaun zu Österreich, um Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland aufzuhalten. Die zu erwartende Kettenreaktion – eine europäische Selbsteinzäunung – hält er für wünschenswert. „Genau diesen Effekt brauchen wir.“

Immer mehr ratlose Amtsträger sehen im sich selbst abzäunenden Europa eine Lösung, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Dabei zeigt ein Blick in die Länder Südosteuropas, dass in den vergangenen drei Jahren Grenzzäune die ankommenden Flüchtlinge zwar umleiten, aber keineswegs stoppen können. Neue Zäune entlang der Balkanroute haben bislang keine Folgen auf den Andrang der Flüchtlinge gehabt – im Gegenteil: Die Flüchtlingszahlen klettern auf immer neue Rekordhöhen.

Die Premiere machte vor drei Jahren Griechenland, das heute gerne von den EU-Partnern wegen der angeblich nachlässig überwachten Schengen-Grenze kritisiert wird. Im Sommer 2010 hatte Athen erstmals einen enormen Anstieg illegaler Immigranten an seiner Festlandgrenze zur Türkei festgestellt. Als Schwachstelle machten die griechischen Grenzer einen 12,5 Kilometer langen Landstrich im Nordosten des Landes aus, wo der Grenzfluß Evros einen Knick in die Türkei macht: Bis zu 300 Flüchtlinge gelangten dort täglich über die grüne Grenze.

Die EU kritisierte den griechischen Zaun

Griechenland forderte bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusätzlich 190 Grenzbeamte an – doch das half nur wenig. Im Jahr 2011 stieg die Zahl der illegalen Grenzgänger von der Türkei nach Griechenland auf 57.000 Menschen. Das von der Finanzkrise gebeutelte Athen zog Konsequenzen und errichtete im Alleingang – und von der EU kritisiert – den ersten Grenzzaun.

Der scheinbare Erfolg des vier Meter hohen, im August 2012 fertiggestellten Stacheldraht-Bollwerks schien die Baukosten von mehr als fünf Millionen Euro zunächst zu rechtfertigen: Im Oktober 2011 griff der griechische Grenzschutz an der Landesgrenze zur Türkei noch 5.628 Flüchtlinge auf. Ein Jahr später, im Oktober 2012, waren es nur noch 26 – auch, weil mehr als 1.800 Grenzpolizisten zusätzlich abgestellt wurden. Im Jahr 2012 halbierte sich so die Zahl der illegalen EU-Grenzübertritte. Frontex jubelte: Der griechische Zaun zeige seine Wirkung.

Doch die Freude der EU-Grenzschützer war nur von kurzer Dauer. Der eskalierende Syrien-Krieg und der neue Grenzzaun in Griechenland lenkten im Sommer 2013 die fliehenden Menschen Richtung Bulgarien um. Statt wie üblich 1.000 Asylbewerber im Jahr zu registrieren, waren es plötzlich 100 Flüchtlinge an nur einem Tag. 90 Prozent von ihnen gelangten durch die hügelige Waldlandschaft nahe dem Grenzstädtchen Lessowo über die bulgarisch-türkische Grenze.

Und dann wieder Griechenland

Sofia reagierte. Es baute einen 30 Kilometer langen Grenzzaun, der Ende 2013 fertiggestellt wurde. Die Flüchtlingszahlen gingen sogar spürbar zurück. Doch es kam zu einem Bumerangeffekt, den vor allem Griechenland zu spüren bekam. Die Flüchtlinge aus Syrien versuchten nun, über die griechischen Ägäis-Inseln vor der türkischen Westküste in die EU zu gelangen.

Allein im Jahr 2014 zählte Frontex rund 50.000 über die Ägäis eingereiste Immigranten – fast dieselbe Anzahl wie vor dem Bau des griechischen Grenzzauns. In diesem Jahr hat die EU-Behörde allein bis September 359.171 illegale Grenzübertritte registriert. Knapp 70 Prozent der Flüchtlinge stammen aus Syrien.

Trotz dieser Erfahrungen wurden auch in Ungarn die Rufe nach neuen Grenzzäunen laut. Zuerst waren es Bürgermeister der rechtsextremen Jobbik-Partei, die zu Jahresbeginn – während eines kurzen, heftigen Ansturms von rund 50.000 Kosovo-Albanern – als Erste einen Grenzzaun forderten. Nach einer Serie verlorener Nachwahlen machte sich die nationalpopulistische Regierungspartei Fidesz von Premier Viktor Orbán die Idee zu eigen. Im Juni kündigte Budapest den Bau eines mehr als 190 Kilometer langen Zauns an der Schengen-Grenze zu Serbien an. Diese Ankündigung ließ die Flüchtlingszahlen einmal mehr ansteigen. Viele Menschen hatten Panik, es nicht mehr rechtzeitig nach Europa zu schaffen. Die von dem Andrang völlig überforderten Transitländer Griechenland, Mazedonien und Serbien stellten praktisch staatlich organisierte Flüchtlingskorridore auf die Beine.

Das Problem war nur: Trotz neuer Grenzanlage zwischen Ungarn und Serbien ließ der Ansturm nicht nach. Der Flüchtlingstreck verlagerte sich zunächst nur ein wenig nach Westen: Von Serbien aus gelangten allein in den vergangenen fünf Wochen rund 170.000 Menschen über Kroatien nach Ungarn und Österreich.

Jetzt landen die Flüchtlinge in Slowenien

Am Wochenende hat Ungarn nun die Grenze zu Kroatien geschlossen – und für die nächste Umleitung gesorgt: Jetzt ist Slowenien das neue Transitland auf der Balkanroute.

Erliegt nun auch Llubljana der Versuchung, einen Zaun zu bauen? Sein Land sei „nicht im Notzustand, wir wollen kein Europa der Mauern“, hat am Wochenende Premier Miro Cerar versichert. Am Ende ist es Deutschland, das die Entwicklung vor Ort bestimmt: Man werde die Grenzen so lange nicht schließen, wie auch Deutschland seine Grenzen nicht schließe, sagt Kroatiens Außenministerin Vesna Pusić. Einen Dominoeffekt schließt sie nicht gänzlich aus. Sollte Berlin die Grenzen für die Flüchtlinge abriegeln, werde auch Kroatien dies tun. Dazu gebe es „keine Alternative“.

Die stille Hoffnung Südosteuropas, dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgeht, weil Zäune gebaut werden und die kalte Jahreszeit beginnt, hat sich bislang nicht erfüllt. Im Gegenteil: Seit dem Beginn der russischen Bomben auf Syrien erhöht sich sogar noch ihre Zahl. Am Montag gaben Serbiens Behörden bekannt, dass innerhalb von nur 24 Stunden 10.000 Flüchtlinge aus Mazedonien eingereist seien. Ein neuer Rekord.

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