13. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „Transitzonen“ und die Vorstellung einer „gated nation“ · Kategorien: Lesetipps · Tags: , , ,

Quelle: Telepolis

von Florian Rötzer

Das Umgehen mit den „Flüchtlingsströmen“ offenbart die Wirkmacht von Metaphern

Wir leben in der globalen Gesellschaft, heißt es immer. Die offenen Grenzen und das Agieren der globalen Märkte verhindern angeblich zunehmend das einzelstaatliche Handeln. Da müsse man sich anpassen, wird uns gerne erzählt, wenn es sich um Daten-, Geld-, Transport- oder Warenströme handelt, wo die Freizügigkeit eher groß geschrieben wird. Während auf der einen Seite um den Erhalt von Grenzen gestritten wird, die Politik und Wirtschaft etwa durch das Freihandelsabkommen TTIP zwischen USA und EU weiter einreißen wollen, um den freien Fluss der Waren zu beschleunigen, herrscht angesichts der „Flüchtlingsströme“ vor allem die Vorstellung, dass diese durch reale und virtuelle Mauern, Grenzen, Dämme und Befestigungen sowie Abschreckungsmaßnahmen abgewehrt werden müssen.

Damit einher geht in der EU, die vor nicht allzu langer Zeit die „grenzenlose Freiheit im Binnenmarkt“ und allen Bürgern „einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem … der freie Personenverkehr gewährleistet ist“, versprochen hat, eine Stärkung der Renationalisierung, also auch des Wunsches nach einer Grenzziehung, möglicherweise auch verbunden durch separatistische Bewegungen in einigen Ländern. Nicht vergessen sollte man, dass Europa über Jahrhunderte Menschen in andere Länder exportiert und faktisch eine Europäisierung verwirklicht hat. Vielleicht sitzt deswegen die Angst hier so tief.

Der ungarische Regierungschef Orban hat mit der schnellen Errichtung des Grenzzauns zu Serbien und der entsprechenden räumlichen Metaphorik des Schützens und Abwehrens die Idee der Festung, die sich dem Ansturm der andrängenden Massen entgegenstellt, erneut eine viral um sich greifende Attraktivität verliehen, nachdem zuvor bereits eine Sperranlage zwischen Griechenland und der Türkei errichtet wurde und seit Jahren mit der Grenzschutzbehörde Frontex die Seegrenze mit Satelliten, Schiffen, Drohnen etc. immer stärker gesichert werden sollten. Allerdings ist schon bald nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall der Mauer sowie dem Aufkommen des angeblich grenzenlosen Internet schon bald die Angst aufgekommen, dass die Gefahr von außen über die Grenzen eindringt. Dabei stand nicht die Angst vor einem Angriff von Streitkräften im Vordergrund, sondern die von Armutsflüchtlingen und Terroristen, die über die offenen Grenzen einsickern. Zwar gab es weiterhin vereinzelt Grenzen, die mit Stacheldraht geschützt wurden, etwa zwischen Nord- und Südkorea, zwischen Indien und Bangladesch oder zwischen Südafrika und Mosambik.

Mit den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla – Spanien ist seit 1986 Mitglied der EU – gab es 1993 auch erstmals wieder gated cities, die möglicherweise zum Vorbild der Vorstellungen der möglichst vollständig gesicherten gated nations wurden. Israel errichtete 1994 auf seinem Gebiet, den Grenzzaum um den Gazastreifen, was mit dem Abfeuern von selbstgebauten Qassam-Raketen beantwortet wurde, und begann dann mit der Grenzanlage und einer teilweise 8 m hohen Mauer aus Stahlbeton zur Abschottung vom Westjordanland 2002 die endgültige Realisierung einer gated nation. Auch die USA begannen bereits 1994 mit dem Bau erster Grenzzäune, nach 2001 wurde auch hier der Plan ausgebrütet, die Landgrenze nach Mexiko mit einem Zaun abzudichten und alle anderen Grenzen durch Kontrollen und Techniken zu schließen.

Auch an einen Grenzzaun zu Kanada wurde gedacht, was bislang aber nicht weiter verfolgt wurde. Der gescheiterte republikanische Präsidentschaftskandidat Scott Walker hatte aber wieder die Idee verfolgt, nach einer Umfrage im September 2015 würden 41 Prozent der Amerikaner auch eine Mauer an der fast 9000 km langen kanadischen Grenze wünschen, ebenso viele sprachen sich für eine „richtige“ Mauer (brick-and-mortar) an der Grenze zu Mexiko aus (allerdings auch 49 Prozent für eine Aufnahme von syrischen Flüchtlingen). Im Übrigen scheint die Vorstellung einer Mauer allmählich auch in Kanada Anklang zu finden. So wird nur eine Mauer in einem Kommentar in der Montreal Gazette verlangt, weil man nach einer Wahl von Donald Trump als US-Präsident mit einer Flut von Amerikanern rechnen müsse. Auch in einem Editorial in Globe and Mail wurde der Idee, wenn auch ebenfalls ironisch, der Boden bereitet.

Eine „Transitzone“ ist ein „Konzentrationslager“

Jetzt also hat Europa mit den Flüchtlingsströmen die Fantasie von Einschluss und Ausgrenzung durch Mauern und Grenzen vollends erreicht, wobei in der EU im Unterschied zu anderen Ländern die Vorstellung einer gated nation schwieriger als in anderen Staatsgebilden ist, weil sich in den Mitgliedsländern viele EU-skeptische, nationalistische bzw. separatistische Bewegungen und Parteien gebildet haben, die auch mit der ausländerfeindlichen Karte spielen, wechselweise gegen Muslime, Afrikaner oder auch andere Europäer, die in Massen kommen und das jeweilige Land übernehmen bzw. die jetzt dominierende Bevölkerung unterwerfen wollen. Was die einen im Extrem ausbrüten, ist aber auch in der Gedankenwelt aller anderen offenbar alternativenlos und changiert zwischen Kanalisierung ( geordneter Zuwanderung etwa durch ein Einwanderungsgesetz mit entsprechenden Selektionskriterien) und Abwehr durch Grenzbefestigungen und Massenabschiebungen.

CSU und CDU favorisieren nun nicht nur die Hoffnung, mit finanziellen Hilfen die Flüchtlinge in den Lagern an der syrischen Grenze halten oder sie in „Hot Spots“ an den EU-Außengrenzen festsetzen zu können, sondern sie auch in „Transitzonen“, wie dies der bayerische Ministerpräsident Seehofer nannte, an der deutschen Grenze zu kasernieren. Interessant ist auch hier die Wortwahl, denn die Transitzonen, die Bewegung und Übergang suggerieren, sollen ja die Mobilität der Flüchtlingsströme unterbinden und erst einmal zum Stillstand bringen.

Letztlich entsprechen solche Transitzonen, an denen Flüchtlinge festgehalten werden sollen, um in Schnellverfahren selektiert zu werden, zumindest temporären Konzentrationslagern. Zwar gab es bereits in deutschen Kolonien Konzentrationslager, in Deutschland selbst war Bayern hier bereits 1920 ein Vorreiter, wie Wolfgang Wippermann berichtete. Die bayrische Regierung „ordnete im April 1920 die sofortige Ausweisung aller in den Freistaat eingewanderten Juden an. Bevor sie Bayern verlassen mussten, wurden die Vertriebenen noch in ein Lager – genauer ein „Konzentrationslager“ – eingewiesen, das sich in Ingolstadt befand.“

Bundesjustizminister Maas bezeichnete sie zu Recht als „Haftzonen“ oder „Massenlager im Niemandsland“, in denen vermutlich Tausende eingesperrt würden (Justizminister Maas: Transitzonen sind in Wirklichkeit Haftzonen). Das ist auch realistisch, weil täglich bislang 5000-7000 Flüchtlinge in Deutschland ankommen.

Man sich auch fragen, was solche räumlichen Sperren bewirken sollen. Im Fall der „Transitzonen“, ein Begriff, der Anspruch auf das Unwort des Jahres erheben kann, werden die Probleme nur vom Land auf die Grenzregionen abgeschoben, die den Zustrom der Flüchtlinge bewältigen sollen. Es wäre eine deutschlandinterne Dublin-Lösung, was schon zeigt, wie begrenzt die Fantasie der Krisenbewältigung ist. So beklagte der Passauer Bundestagsabgeordneten der SPD, Christian Flisek, dass man damit „unsere Region zum Flüchtlingslager für die gesamte Bundesrepublik“ machen würde.

Angst vor den Strömen und Fluten

In den neunziger Jahren war mit dem Aufkommen des grenzüberschreitenden Web und dem freien Informations- und Datenfluss die Ideologie von einem Gang in eine postnationale und grenzenlose Weltgesellschaft entstanden. Allerdings waren schon damals die Zeichen zu erkennen gewesen, dass das Einreißen der Mauern zwischen konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen zum Bau von neuen Mauern zwischen Armen und Reichen führt, wie diese Überlegungen aus dem Jahr 1996 belegen (Die neue Mauer).

Und schon Ende der 90er Jahre wurde über Grenzen und Grenzenlosigkeit gestritten (Grenzen – Schutz der Vielfalt und der sozialen Gerechtigkeit?). So hieß 1997 in der Ankündigung einer Veranstaltung des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie, dessen Präsident Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker war, zum Thema „Grenzen-los?“: „Wenn ein Damm bricht, gibt es eine Überflutung. Platzt ein Blutgefäß, kommt es zu einer inneren Blutung. Breitet sich ein Krankheitserreger aus, so nennt man das eine Epidemie. Dämme, Wände, Grenzen, Gesetze gehören zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung höherer Organisationsformen.“

Die Wortwahl, also von Flüchtlingsströmen oder von einer Flut zu sprechen, enthält die Assoziation, überschwemmt und vom Ertrinken bedroht zu werden, wogegen bekanntlich nur Deiche und Dämme, Schleusen und Kanalisierungen sowie Polder helfen. Wie schon Klaus Theweleit in den 1970er Jahren in seinen „Männerphantasien“ herausgearbeitet hat, ist die Metaphorik der Fluten und Ströme mit sexuellen Fantasien und Ängsten aufgeladen, mithin mit Ängsten, die Konturen, die Herrschaft über sich selbst und über das Objekt zu verlieren. Das hat Theweleit unter Zuhilfenahme der Psychoanalyse vor allem im Hinblick auf den Faschismus und die Haltung von Männern gegenüber Frauen und deren Stellvertretern durchgespielt, wozu neben der „roten Flut“ vor allem auch die Angst vor der Masse und dem Zerfall von Ordnung gehört. Eine gerade jetzt wieder sehr interessante Analyse.

Man lernt stets im Nachhinein. Bei Hochwasser glaubte man zunächst, durch Kanalisierung der mäandernden Flüsse die Geschwindigkeit zu erhöhen, um so den Schwall des Wassers abzuleiten. Aber jede Sperr- und Eindämmungsmaßnahme kommt an ihre Grenzen und kann überflutet werden. Die rationale Hochwasserbewältigung führte zu neuen Fluten, weswegen post festum der Gedanke aufkam, die Flüsse zu „renaturieren“. Natürlicherweise hätten sie nämlich Stauräume, in denen das Wasser abfließen und sich sammeln kann, so dass nicht alles sofort nach unten stürzen muss. Das wären in der Hochwasserprävention gewissermaßen „Transitzonen“. Aber Menschen, die vor Kriegen, Unterdrückung und Armut fliehen, sind kein Hochwasser.

Kommentare geschlossen.