08. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „Fast Routine auf der Balkanroute“ · Kategorien: Balkanroute, Deutschland, Kroatien, Mazedonien, Österreich, Serbien, Ungarn

Quelle: FAZ

Der Flüchtlingsstrom zwischen Griechenland und Österreich ist nicht abgeebbt, aber alles läuft ziemlich glatt. Doch schon droht neues Chaos: Ungarn will die Grenze zu Kroatien schließen – die Regierung denkt laut über „Reaktionen“ nach.

von Stephan Löwenstein und Karl-Peter Schwarz, Wien

Es ist in letzter Zeit ein bisschen ruhiger geworden um die sogenannte Balkanroute. Der Flüchtlingsstrom durch die Länder zwischen Griechenland und Österreich ist nicht mehr tagtäglich in den Schlagzeilen. Die Ursache dafür ist aber keineswegs, dass der Strom schmaler geworden wäre als in den hitzigen Sommermonaten. Die Zahlen, die gemeldet werden, zeugen vom Gegenteil. Der Unterschied ist: Im Moment läuft alles ziemlich glatt. Es gibt keine Störungen, keine sonderlichen Hindernisse, keine dauerhaften Lager – bis die Migranten in Deutschland ankommen.

Nach Serbien kamen allein am vergangenen Wochenende rund 10.000 Flüchtlinge; die meisten über Mazedonien, ein kleiner Teil, nach serbischen Angaben täglich ungefähr 500 Leute, auch aus Bulgarien, einem Land, das in diesem Zusammenhang selten erwähnt wird. Von Serbien nach Kroatien reisten gleichzeitig 11.000 Personen. Ungarn meldete am Samstag und Sonntag zusammengenommen 12.000 illegale Einreisen. In Österreich kamen an diesen beiden Tagen 12.800 Personen an. Gegenüber früheren Spitzen von mehr als 10.000 Personen am Tag ist das für die österreichischen Behörden schon eine Erleichterung. Der regionale Polizeichef sagte im ORF-Fernsehen, wenn es so bleiben würde, dann bedeute das „Regeldienst“. Vorrangig sei jetzt, die Notquartiere für die Durchreisenden winterfest zu machen.

Auf der Balkanroute hat also eine Art von Routine eingesetzt. Migranten können durch Mazedonien mit der Bahn nach Serbien fahren, reisen von Serbien nach Kroatien, werden von den kroatischen Behörden gleich weiter an die ungarische Grenze geschafft, von den Ungarn bis Österreich, von den Österreichern dann zu den Grenzorten zu Deutschland. Nur den Grenzübertritt müssen die Flüchtlinge in der Regel zu Fuß machen.

Angst vor der nächsten Wahl in Wien

Allerdings bauen die Ungarn weiter an ihrem Zaun zur kroatischen Grenze. Würde er geschlossen, wie es schon an der Grenze zu Serbien gehandhabt wird, dann gäbe es eine neue Lage. Im Moment verläuft der Korridor durch Ungarn, das seiner Rolle als Buhmann vorerst überdrüssig geworden ist. Als Ministerpräsident Viktor Orbán kürzlich in Wien zu Besuch war, mochte er die Frage nach diesem faktischen Korridor gar nicht verstehen und redete wortreich darum herum. Offiziell gibt die Regierung auf Anfrage keine Auskunft, wie weit der Zaun zu Kroatien bereits gediehen sei und wann er geschlossen werden solle. Es liegt nahe, worauf Budapest wartet: auf eine Entscheidung Deutschlands. Würde die Bundesregierung mit welchen Maßnahmen auch immer den Zustrom nach Deutschland reglementieren, dann ergäbe sich sofort ein gewaltiger Rückstau, der die kleineren Länder weiter vorne auf der Route bald an ihre Kapazitätsgrenzen brächte. Dann wären die Schlagzeilen schnell wieder da, mit dazugehörigem innenpolitischen Streit und Friktionen zwischen den EU-Partnern.

In Wien hofft der sozialdemokratische Teil der Regierung, dass nichts von alledem vor dem kommenden Wochenende passiert. Denn dann muss sich in einer wichtigen Wahl in der Hauptstadt Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) gegen den einwanderungskritischen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache behaupten. Danach mag kommen, was wolle. Ungarn bereitet sich auf seine Weise vor. Gemeinsam mit den gleichgesinnten Regierungen in Prag und Bratislava will Budapest eine Art gemeinsamer Schengen-Außengrenztruppe aufstellen. Die ersten 25 tschechischen Soldaten sollen schon in Marsch gesetzt worden sein. Das dürfte für die physische Grenzsicherung weniger relevant sein, ist aber ein deutliches Signal dieser drei Staaten der Visegrád-Gruppe, die sich in der Ablehnung der europäischen Flüchtlingsquote nach wie vor einig sind. Zur Besserung des ungarisch-kroatischen Verhältnisses dürfte die kleine Bündnistruppe allerdings wenig beitragen.

Streit zwischen Orbàn und Milanović

Mit dem erklärten Ziel, die Spannungen zwischen diesen Nachbarn diesseits und jenseits der Schengen-Grenze zu verringern, ist die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović am Dienstag zu einem mehrtägigen Besuch nach Budapest gereist. Sie traf den ungarischen Staatspräsidenten János Áder, an diesem Mittwoch ist auch ein Gespräch mit Orbán geplant. Während die kroatische Präsidentin für die ungarische Haltung in der Flüchtlingskrise Verständnis äußert, stehen die Zeichen zwischen dem kroatischen Ministerpräsident Zoran Milanović und Orbán auf Sturm. In Kroatien wird am 8. November ein neues Parlament gewählt, und der sozialdemokratische Ministerpräsident appelliert gern an nationale Ressentiments.

Orbán wiederum scheint die EU-Binnengrenze zu Kroatien für einen ideologischen Schützengraben zu halten. Am Wochenende nannte er Milanović einen „Emissär der Sozialistischen Internationale“, dessen Auftrag es sei, Ungarn zu attackieren. Persönlich habe er gar nichts gegen Orbán, konterte Milanović, aber der habe sich „aus einem radikalen Kommunisten in einen radikalen Liberalen, dann in einen radikalen Konservativen verwandelt, um schließlich als radikaler Anti-Liberaler zu enden“. Was dieser Mann sage, möge „vielleicht in Ungarn durchgehen, aber nicht in Europa“. Er hingegen sei „glaubwürdiger“, denn er habe sich immer schon „links der Mitte“ positioniert.

Der konservativen kroatischen Präsidentin, die den Einsatz der Armee zum Schutz der Grenzen vor illegalen Migranten angeregt hatte, wirft Milanović vor, Orbáns Methoden anwenden zu wollen, „aber das wird nicht geschehen“. Die Kroaten seien nicht „mit Stacheldraht aufgewachsen“, auch andere Länder würden bald begreifen, dass das keine Lösung sei. Falls Ungarn die Grenze zu Kroatien tatsächlich schließen sollte, würde seine Regierung die Flüchtlinge einfach über Slowenien nach Österreich und Deutschland weiterleiten. In Zagreb erwartet man, dass Ungarn den Stacheldrahtverhau an der 350 Kilometer langen Grenze zu Kroatien Mitte Oktober fertigstellen könnte. Der Schlüssel zu dem Problem sei Deutschland, sagte der kroatische Innenminister Ranko Ostojić. Alles Weitere hänge davon ab, ob und wie lange Deutschland weiterhin Flüchtlinge aufnehmen werde.

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