04. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für Deutschlands Abschottungsfantasie im Realitätscheck · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Die Welt

Von Manuel Bewarder

Die Grenzkontrollen haben die Flüchtlingszahl nicht reduzieren können. Nun taucht sogar der Vorschlag auf, Grenzzäune zu errichten. Aber ist das realistisch? Eine Übersicht über mögliche Maßnahmen.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat gesagt, er sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen. Gemeint war der große Strom von Flüchtlingen, die einreisen, seitdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Züge unkontrolliert ins Land gelassen hat. Die anschließende Einführung der Grenzkontrollen hat nur für eine kurze Verschnaufpause gereicht.

Angesichts der schlechten Situation bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen werden die Rufe nach Maßnahmen für eine deutliche Abschwächung der Flüchtlingszahl lauter. Aus dem Kanzleramt gibt es bislang aber noch kein Signal, dass man die Krise durch ein rigoroses Regiment in Deutschland lösen möchte.

Merkel setzt vor allem auf eine Lösung an den EU-Außengrenzen und in den Herkunftsregionen. Das könnte dauern. Doch viele sehen die Zeit davonlaufen. Deshalb werden derzeit verschiedene Vorschläge heiß diskutiert, wie man die Zahl der Flüchtlinge verringern könnte.

1. Schnellverfahren wie an Flughäfen

Bereits im ersten Gesetzentwurf Anfang September plante das Bundesinnenministerium einen deutlichen Einschnitt: Noch bevor Flüchtlinge einreisen dürfen, soll in Grenznähe in Transitbereichen geprüft werden, ob die Chance auf Asyl besteht. Wenn der Antrag innerhalb einer Woche abgelehnt wird, soll der Betroffene in seine Heimat zurückkehren. Vor allem Menschen vom Balkan könnten dadurch schnell abgewiesen werden.

Doch der Vorschlag überlebte die Ressortabstimmung und eine Sondierung mit Ländervertretern nicht. Das Verfahren, das bereits ähnlich an Flughäfen praktiziert wird, wurde gestrichen. Nun steht es allerdings vor einem Comeback: Zuerst machte das der innenpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), in der „Welt“ öffentlich. Das Innenministerium hat nun öffentlich erklärt, dass es ein neues Gesetz dafür vorgeschlagen hat.

Es ist durchaus fraglich, ob solche Transitzentren irgendwann tatsächlich eingerichtet werden. Der Koalitionspartner SPD macht sich über die Pläne sogar lustig. Wolle man entlang der Grenze etwa Transitzonen in der Größe von Fußballstadien einrichten?

Der innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, nennt den Vorschlag unsinnig und merkt spitz an: „Was in einem umzäunten Flughafengebäude funktionieren mag, lässt sich auf 3757 Kilometer deutscher Landesgrenze nicht übertragen.“ Insgeheim sieht das auch mancher im Innenministerium so. Einen indirekten Erfolg aus Sicht der Regierung könnte die Maßnahme dennoch haben: Jede weitere Abschreckung senkt womöglich den Anreiz, nach Deutschland zu flüchten.

2. Flüchtlinge an der Grenze abweisen

Bereits in jenen Tagen Anfang September, als im Innenministerium die Grenzkontrollen vorbereitet wurden, lag im Haus von Thomas de Maizière (CDU) eine drastischere Maßnahme auf dem Tisch: Man wollte nahezu alle Flüchtlinge an der Grenze abweisen.

Der Vorschlag, oder auch Plan B genannt, ist rechtlich umstritten: Viele lehnen ihn ab und sind der Meinung, dass Deutschland jedes an der Grenze geäußerte Asylgesuch prüfen müsse. Andere hingegen halten das Abweisen für möglich. Im Grunde geht es dabei darum, die Dublin-Verordnung wieder strikt einzuhalten. Demnach ist der EU-Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, in dem ein Flüchtling zuerst ankommt. Fast immer handelt es sich dabei um Grenzstaaten wie Griechenland, Italien oder Ungarn – aber eben nicht Deutschland.

Wer Flüchtlinge abweisen will, bedient sich nun eines kleinen Tricks: Berechnungen des Innenministeriums gehen davon aus, dass weniger als zwei Prozent der Asylbewerber überhaupt einen Aufenthaltstitel nach deutschem Recht haben. Fast alle – rund 98 Prozent – genießen keinen Schutz nach Artikel 16a Grundgesetz, sondern nach europäischem oder internationalem Recht.

Wenn Politiker heute sagen, sie wollen das Grundgesetz konsequenter anwenden, ja insbesondere konsequenter als etwa europäisches Recht, dann kann das bedeuten: Sehr viele Asylsuchende sollen bereits an den deutschen Grenzen abgewiesen werden, weil sie über Mitgliedsstaaten der EU oder sichere Drittstaaten einreisen. Dahinter steckt die Botschaft: Wenn ihr Dublin nicht einhaltet, orientieren auch wir uns lieber am Grundgesetz als an internationalen Vereinbarungen.

Die Folgen einer solchen (nur schwer vorstellbaren) Maßnahme sind kaum vorhersehbar. Sicherlich würden andere EU-Staaten wie Österreich nachziehen und Zehntausende Flüchtlinge auf dem Balkan stranden. Wahrscheinlich würde Deutschland als Zielland unattraktiver werden. Auf jeden Fall würden deutlich mehr Menschen über die grüne Grenze flüchten.

Völlig unklar ist aber, welche Szenen sich an den Grenzübergängen abspielen würden, an denen kontrolliert und abgewiesen wird. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen deutschen Beamten und Flüchtlingen wären nicht ausgeschlossen. Österreichs Innenministerin Johanna Miki-Leitner hat mit Blick auf einen solchen Fall bereits gewarnt: Auch ihr Land müsse dann drastische Maßnahmen ergreifen. Selbst den Einsatz von Gewalt brachte sie ins Spiel.

3. Deutschland macht die Grenze dicht

Dieser Vorschlag geht selbst dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zu weit: Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) wollte angesichts der konstant hohen Flüchtlingszahlen auch Zäune an den deutschen Grenzen nicht ausschließen. Er sah dies als eine Möglichkeit, die Grenzkontrollen effektiver zu gestalten.

Deutschland schottet sich ab? Seehofer kassierte die Idee umgehend. So etwas werde es in der Bundesrepublik und in Europa nicht geben. Ähnlich äußern sich Vertreter anderer Parteien. Hier scheint es tatsächlich eine rote Linie zu geben, die Deutschland nicht überschreiten will. Allerdings: Zäune an den EU-Außengrenzen lehnt kaum einer ab.

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