04. Oktober 2015 · Kommentare deaktiviert für „100.000 setzen in Wien Zeichen für Solidarität mit Flüchtlingen“ · Kategorien: Österreich

Quelle: der Standard

Wien – Über 100.000 Menschen sind am Samstag zum Solidaritätskonzert „Voices for Refugees – Konzert für ein menschliches Europa“ auf den Wiener Heldenplatz gekommen. Bundespräsident Heinz Fischer hielt eine eindringliche Ansprache. „Menschen in Not brauchen Zuwendung, wir dürfen uns nicht abwenden“, sagte das Staatsoberhaupt. Danach kamen alle Mitwirkenden für eine Schweigeminute auf die Bühne.

„Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Ich wende mich nicht von denen ab, die Sorgen und Ängste haben“, betonte Fischer. „Aber ich wende mich von denen ab, die aus der Not der Flüchtlinge ein Geschäft machen, sei es ein wirtschaftliches oder politisches.“ Der Bundespräsident betonte, dass „alle Staaten der europäischen Gemeinschaft etwas beitragen“ müssten.

Nach der Ansprache des Präsidenten kamen alle mitwirkenden Künstler, auch die Toten Hosen, die den Abend beschließen sollten, zu ihm auf die Bühne, um bei Raoul Haspels „Schweigeminute (Traiskirchen)“ mitzumachen. Plötzlich herrschte am Heldenplatz Schweigen – das vielleicht schönste Zeichen, in Zeiten des medialen und politischen Getöses, wie viele meinten.

Polizei: Bis zu 120.000 Menschen am Heldenplatz

Polizeisprecher Christoph Pölzl sprach am späten Abend von 100.000 bis 120.000 Menschen auf dem Heldenplatz, auch die Veranstalter berichteten von 100.000 Teilnehmern. Zuvor hatte die Polizei von 30.000 Menschen vor der Bühne und einem ständigen Zu- und Abstrom berichtet. Nach einer ersten Bilanz lief die Kundgebung ohne große Zwischenfälle ab.

Kritische Worte fand naturgemäß Konstantin Wecker, der seinen Auftritt mit „Sage Nein!“ begann: „Wenn sie dann in lauten Tönen, saufend ihrer Dummheit frönen, denn am Deutschen hinterm Tresen, muss nun mal die Welt genesen, dann steh auf und misch dich ein: Sage nein!“, sang der 69-Jährige. Der deutsche Liedermacher richtete „Grüße aus München“ aus, „wo sich zwar nicht so viele wie hier, aber Tausende gegen die Orbanisierung Münchens wehren“. Und zum Abschluss forderte er das Publikum auf: „Träumen wir weiter, seien wir subversiv, heißen wir alle Flüchtlinge willkommen.“

Conchita Wurst brachte stilvoll „Heroes“ und „Put That Fire Out“. „Wir versuchen unsere Stimme für jene zu erheben, denen nicht oder zu wenig zugehört wird“, erklärte sie. „Wenn man Bescheid weiß, kann man keine Vorurteile haben, sondern den Leuten nur mit Liebe und Respekt begegnen.“ Eine beeindruckende Performance legte Anja Plaschg alias Soap & Skin. Die 25-Jährige sang u.a. ein Lied in syrischem und kurdischen Dialekt. Die Jungstars Tagträumer appellierten an das Publikum: „Glaubt an das Gute.“

Zwischen den Musikbeiträgen gab es immer wieder kurze Ansprachen. „Wenn Sie heute hier weggehen“, sagte etwa Caritas-Präsident Michael Landau, „nehmen Sie drei Dinge mit: Sie sind richtig viele, Sie alle zeigen Haltung, Sie können etwas verändern.“ Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger warnte: „Wenn das Asylrecht fällt, fällt das Menschenrecht.“ Fenninger kritisierte, dass „50 Prozent der Gemeinden noch keinen Flüchtling aufgenommen“ hätten: „Das ist beschämend.“

Die ergreifendsten Statements kamen von Flüchtlingen. Ein Mädchen auf der Bühne berichtete etwa mit Tränen in den Augen: „Wir haben in Syrien kein Wasser und keinen Strom. Aber das ist nicht das Problem. Sondern viele Menschen sind tot.“

In den Abendstunden rockte Zucchero gewohnt souverän. Der italienische Blues- und Rockmusiker interpretierte auch Verdis „Va pensiero“ zusammen mit dem Kinderchor der Chorschule an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Gerockt war auch am Nachmittag bei Kreisky geworden.

Zehntausende bei Demonstration

Gestartet wurde die Kundgebung der „Plattform für eine menschliche Asylpolitik“ mit leichter Verspätung um 13.15 Uhr beim Christian-Broda-Platz gegenüber dem Westbahnhof. Mehrere tausend Personen hatten sich eingefunden, der Platz füllte sich rasch.

Zu Beginn performten Flüchtlinge aus Traiskirchen Auszüge aus Elfriede Jelineks Stück „Die Schutzbefohlenen“. Vertreter der Veranstalter hießen alle Flüchtlinge willkommen – „egal ob sie durch Krieg, Verfolgung oder aus anderen Gründen zur Flucht gezwungen wurden“. Gefordert wurde eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen, Qualitätsstandards in der Betreuung und die Öffnung der Grenzen. Zu Wort kamen außerdem Flüchtlinge, die über ihre Situation berichteten.

„Solidarität“

Gegen 14.20 Uhr setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Die Route führt über die Mariahilfer Straße, Babenbergerstraße und Ring bis zum Parlament, wo kurz vor 16 Uhr die Abschlusskundgebung startete. Unter den Teilnehmern der Demonstration waren neben zahlreichen Familien auch eine Blasmusikkapelle; Transparente mit Aufschriften wie „Flüchtlinge rein! FPÖ raus“, „Menschenrechte für alle“ oder auch „Solidarität“ wurden hochgehalten.

Die hohe Zahl der Teilnehmer zeigte sich auch daran, dass das Ende des Demonstrationszuges noch am Ausgangspunkt am oberen Ende der Mariahilfer Straße stand, als die Spitze bereits beim Parlament angelangt war. Die Polizei war mit 400 Beamten im Einsatz, die gesamte Kundgebung verlief ohne Zwischenfälle. Ein Werbestand der FPÖ auf der Demoroute wurde mittels Tretgitter abgesperrt, die Kundgebungsteilnehmer bedachten die Freiheitlichen mit lauten Buhrufen.

2.000 Porträts

Während des Marsches skandierten die Protestierenden Slogans wie „Refugees are welcome here“. Auf der Mariahilfer Straße überschritten sie 2.000 Porträts von Flüchtlingen und Helfern, die bereits in der Nacht auf Samstag von der Initiative „Inside Out Austria“ auf den Straßenboden geklebt worden waren. Die Fotos – als „Walk of Fame der Menschlichkeit“ bezeichnet – zogen sich über eine Länge von rund 300 Metern.

Auf der Schlusskundgebung ergriff ein prominenten Gast das Wort: Campino, Sänger der Punkrock-Band Toten Hosen, verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Event „Strahlkraft auch in andere Länder“ haben könnte. „Das ist einfach groß“, sagte er angesichts der Menschenmenge. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bedachte er mit einem lauten „Fuck!“. Zuvor hatte unter anderem Sonja Ablinger, frühere SPÖ-Abgeordnete und jetzt Vorsitzende des Frauenrings, gemeint, sie sehe „eine riesige Welle der Solidarität“. (APA, red, 3.10.2015)

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