07. Mai 2015 · Kommentare deaktiviert für Fluchthilfe über Mittelmeer: Internetzensur u. Social Media · Kategorien: Italien, Libyen, Mittelmeer, Mittelmeerroute, Tunesien, Türkei · Tags: , , ,

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Fluchthilfe über das Mittelmeer

Europol soll Internetzensur besorgen und gründet „Aufklärungszentrum“

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Die EU-Polizeiagentur Europol soll den Auftrag erhalten, Internetinhalte aufzuspüren die „Migranten und Flüchtlinge“ anziehen könnten. Dies geht aus dem Entwurf von Schlußfolgerungen hervor, die auf dem EU-Sondergipfel zur Flüchtlingssituation auf dem Mittelmeer verabschiedet werden sollen. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch hatte das Dokument gestern geleakt.

Verfolgt würden Internetauftritte von FluchthelferInnen, die in dem Dokument als „traffickers“ bezeichnet werden. Allerdings bleibt es demnach nicht beim Erkennen: Europol soll auch die Entfernung der Inhalte „beantragen“ („detect and request removal of internet content“).

Allerdings darf Europol lediglich Ermittlungen anstellen und verfügt über kein Mandat für polizeiliche Zwangsmaßnahmen wie das Löschen oder Sperren von Internetinhalten.

„Hinweisstelle“ zu „islamistischem Terrorismus“ auf „Migration“ erweitert?

Vermutlich geht es vor allem um Soziale Medien wie Google, Facebook und Youtube. Bei Europol startet Anfang Juli eine „Hinweisstelle“ zur Meldung von „illegal extremistisch-terroristischen Internetinhalten“. Eingehende „Hinweise“ leitet Europol dann an die Internetanbieter weiter. Die Entfernung fordern darf die Agentur nicht, formal handelt es sich um einen „Hinweis“.

Eigentlich sollte die „Hinweisstelle“ zunächst auf das Themenfeld „islamistischer Terrorismus“ beschränkt sein. Das Dokument für den EU-Gipfel liest sich aber so, dass eine Erweiterung auf „Migration“ diskutiert und vielleicht sogar beschlossen wird.

Eigentlich ist für die Verhinderung unerwünschter Migration die EU-Grenzagentur Frontex zuständig. Um aber auch die Mittel und Methoden von Kriminalpolizeien nutzen zu können, wird jede Fluchthilfe pauschal als „banden- und gewerbsmäßige Einschleusung“ bezeichnet, durchgesetzt hat sich die Berufsbezeichnung „Schlepper“ oder „Schleuser“.

Boote sollen mithilfe von Europol aufgespürt und zerstört werden

Folgt man der Logik von Frontex, werden die Geflüchteten von brutalen Geschäftemachern zur Reise über das Mittelmeer gezwungen. Allerdings gibt es für die Beantragung von Asyl keine andere Möglichkeit als unerkannt in die EU einzureisen. Medico International hatte hierzu gestern einen malischen Aktivisten befragt:

Das Verhältnis zu den Schleppern ist eine komplexe Angelegenheit. Im Kriegsfall sind die Schlepper die Rettung für die Menschen, die um ihre Leben laufen. Die Toten kommen nicht wegen der Schlepper oder der Boote. Die Toten werden durch Frontex verursacht.

Zukünftig könnten noch mehr Tote zu erwarten sein, denn die EU will die Anzahl der potentiell genutzten Boote verkleinern. Die EU plant ein Polizeizentrum in Libyen oder Tunesien, in dem auch Europol angesiedelt wäre. Die Agentur soll den Handel mit Booten ermitteln, aufgespürte Wasserfahrzeuge würden dann zerstört.

Kontakt zu FluchthelferInnen über das Internet

Die Fluchtwilligen stehen vor dem Problem, Kontakt zu den FluchthelferInnen finden zu müssen. Hier hilft das Internet. Medienberichten zufolge existieren beispielsweise in der Türkei Facebookgruppen, über die Fluchten organisiert werden. Dabei geht es nicht um Überfahrten mit klapprigen Schiffen oder Zodiac-Schlauchbooten. Vielmehr stechen aus der Küstenstadt Mersin ausgemusterte Frachter in See, die als seetüchtig bezeichnet und nicht überfüllt werden können. Inzwischen erhält die Türkei aber Daten von EU-Satelliten, um entsprechende Abfahrten zu verhindern.

Frontex hat das Phänomen erkannt und warnt die EU-Mitgliedstaaten seit einiger Zeit, dass außer Sozialen Medien sogar Apps kursieren würden, um Informationen über Schiffe und Abfahrtsorte abzurufen. Überfahrten könnten sogar derart „gebucht“ werden. Laut der Bundesregierung behauptet Frontex auch, über die Apps könnten „Bedingungen in verschiedenen Zielländern abgerufen werden“.

Frontex hat für diese angeblich existierenden Apps aber keine Belege präsentiert. Entsprechende Internetauftritte sind nicht von kommerziellen FluchthelferInnen, wohl aber von politischen Gruppen bekannt. Unter Umständen zielt die Warnung von Frontex also auf eine Kriminalisierung humanitärer Fluchthilfe im Internet.

Auch US-Behörden tauschen Daten zu Migration im Mittelmeer mit Europol

Zur kriminalpolizeilichen Ermittlung von Fluchthilfe haben Europol und Frontex im März das gemeinsame Operationsteam („Joint Operational Team, JOT) „MARE“ gestartet. Die Sondereinheit soll „Erkenntnisse über kriminelle Organisationen“ gewinnen, die „für die illegale Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die Europäische Union verantwortlich sind“.

Frontex darf keine Personendaten speichern und verarbeiten, Europol aber schon. Alle anfallenden Informationen werden in der Analysedatei „Checkpoint“ gesammelt. Gesammelt Gruppen der „organisierten Kriminalität“, alle Einträge werden nach Auffälligkeiten untereinander analysiert. Dabei werden Telefondaten, Mailadressen, Reisedaten oder Angaben zu Fahrzeugen und Schiffen verarbeitet. Auch die auch die US-Einwanderungsbehörden sind an die Datenbank angeschlossen, der Grund hierfür wird aber nicht erklärt.

Moderne Technologie: Das Internet

Bei Europol in Den Haag wurde ein „maritimes Aufklärungszentrum“ eingerichtet. Beteiligt sind außer den EU-Mittelmeeranrainern auch Großbritannien und Deutschland. Der EU-Innenkommissar zählt zudem Dänemark, Belgien, Schweden und die Niederlande zu den Teilnehmenden.

Auch die internationale Polizeiorganisation Interpol arbeitet im JOT MARE mit. Der neue Interpol-Chef ist der ehemalige BKA-Vize Jürgen Stock. Anläßlich der Einrichtung des Migrations-Lagezentrums bei Europol hatte Stock erklärt, weshalb FluchthelferInnen als besonders gefährlich eingestuft müssten. Stock meint, sie nutzten „moderne Technologien“ – er meint das Internet: [Video]

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