10. Oktober 2013 · Kommentare deaktiviert für Warum veröffentlichen und unterstützen wir den Aufruf von Progetto Melting Pot Europa? · Kategorien: Italien, Mittelmeerroute · Tags: ,

Dieser Aufruf ist in der Tat erklärungsbedürftig. Erinnert uns nicht die Forderung nach einem humanitären Korridor an den NATO-Krieg in Jugoslawien? Erinnert uns die Forderung, die Flüchtlinge bereits in Nordafrika abzufangen, nicht an die Begrüßungslager des damaligen Innenministers Schily?

Und ist nicht allein die Tatsache, dass die italienische Regierung diese Forderung aufgreift und als Forderung an den Europäischen Ministerrat weiterleitet, ein schlechtes Omen?

https://archiv.ffm-online.org/2013/10/05/

Betreibt die Regierung Letta nicht nur ein Schwarzepeterspiel?

http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/

Wird die Regierung Letta die Flüchtlinge nicht weiter ertrinken lassen, ihr Europäisches Spiel spielen und die militärische Aufrüstung vor Nordafrika befördern?

Ja. Und trotzdem unterstützen wir diesen Aufruf. Wir halten es für richtig, den Begriff des humanitären Korridors zu besetzen und mit Leben zu füllen, trotz seiner Vorgeschichte und trotz Letta. Die italienische Initiative hat in der aktuellen Situation einen sehr hohen Stellenwert, weil sie schnell war, weil sie sich zügig ausbreitet, weil sie über in Italien hinaus Verbreitung finden muss, um etwas von dem Impuls zu retten, der auf die Toten von Lampedusa Bezug nimmt.

Der Aufruf appelliert an eine europäische Bindung an die Human Rights, und dies ist eine schwache Form des Widerstands. Aber es wird wichtig sein, die europäischen Institutionen tatkräftig an diese Bindung zu erinnern, wenn in Nordafrika und Westasien die europäischen Botschaften und Konsulate von verzweifelten Menschen gestürmt werden. Und der Aufruf erscheint uns wichtig auf der Suche nach Verbündeten, die mit dem Begriff der Menschenrechte heutzutage noch etwas anfangen können.

Deshalb erscheint hier nur in Parenthese, was unser Ziel bleibt: die Freizügigkeit rund ums Mittelmeer, Europa eingeschlossen. Unsere vordringliche Aufgabe bleibt: die Sicherheit der Passage übers Mittelmeer nach Kräften zu verbessern. Wir wissen, dass die Zukunft Europas – und nicht nur Südeuropas – davon abhängen wird, dass rund um das Mittelmeer, über das Mittelmeer und in ganz Europa ein gesicherter freier Verkehr aller Menschen nicht nur ein Recht, sondern eine faktische Möglichkeit sein wird.

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In einem Interview mit Cora Hoffmann von Radio Z hat Helmut Dietrich ausführlich dargelegt, warum die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration den Aufruf des Progetto Melting Pot Europa unterstützt. Das Interview kann hier heruntergeladen bzw. angehört werden.

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Der folgende Text ist eine Übersetzung des italienischen Aufrufs. Der Originaltext kann auf der website des Progetto Melting Pot Europa nachgelesen und unterschrieben werden: http://www.meltingpot.org/Appello

 

Appell zur Öffnung eines humanitären Korridors für ein europäisches Asylrecht

An die Minister und Parlamente in Europa, an die europäischen Institutionen, an die internationalen Organisationen

Fast täglich berichten die Nachrichten von der Tragödie, die sich inmitten der blauen Grenze – dem Mittelmeer – abspielt.

Genau in diesen Stunden erreichen uns Meldungen von Hunderten von Leichen, die im Meer aufgelesen werden, Kinder, Frauen und Babys, die ins Wasser gesprungen sind, nachdem auf einem Schiff mit Kurs auf Europa ein Brand ausgebrochen war. Es handelt sich um Asylflüchtlinge, Frauen und Männer auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, wie schon all die anderen, die das Meer im Lauf der Jahrzehnte verschlungen hat: über 20.000 Menschen.

Das Geschehen an der Südgrenze hat uns daran gewöhnt, der nicht enden wollenden Folge solcher Tragödien machtlos zuzuschauen in der Hoffnung, dass jedes gesunkene Schiff das letzte sei. Sollte man Kriegsflüchtlingen nicht anders begegnen als nur die Landung des nächsten Bootes abzuwarten – mal um ihm zu helfen, mal um es zurückzuschicken und manchmal um nur noch das Wrack zu bergen. Deswegen klingen die Tränen und Worte aus Europa, mit denen die Toten an der Grenze beweint werden, so rhetorisch.

Gerade weil Europa in der Lage ist, seine Souveränität bis ins Innere des afrikanischen Kontinents zu projizieren, um seine Grenzen auszuweiten, dort Abschiebezentren zu finanzieren, zu patrouillieren und abzuweisen, hat es die Pflicht, angesichts der anhaltenden Forderung nach Hilfe dafür zu sorgen, dass Menschen, die Europa zu erreichen versuchen, um dem Tod zu entgehen, auf dem Weg dorthin nicht zu Tode kommen.

Heute aber geht es darum, die Rechte in den Mittelpunkt zu rücken. D.h. das Gesetz Bossi-Fini aus der Welt zu schaffen und stattdessen auf europäischem Niveau einen humanitären Korridor zu öffnen, damit Kriegsflüchtlinge direkt bei den europäischen Institutionen in Libyen, Ägypten, Syrien oder wo immer es nötig ist (in den Konsulaten oder anderen EU-Büros) Asyl beantragen können, ohne sich einschiffen zu müssen und damit den Menschenhandel zu fördern und der Berichterstattung über Schiffsunglücke neue Nahrung zu geben.

Schluss mit dem Abtreten der Rechte, Schluss mit der Abwälzung der Verantwortung. Vielmehr muss Europa grundlegend seine Politik der Grenzkontrollen, der Verwaltung der humanitären Krisen, seine gängige Politik bezüglich des Asylrechts ändern:

indem es die Patrouillefahrten umwandelt in Aktivitäten, die den Schiffen zu Hilfe kommen, indem es die Asylanfragen umverteilt und so die Beschränkungen des Dublin-Abkommens überwindet, indem es humanitäre Korridore öffnet, die es erlauben, Asylanträge direkt bei den europäischen Institutionen in den Drittländern zu stellen, um eine Einreiseerlaubnis in die Union zu erhalten. In der EU müssen sie mit denselben Garantien geprüft werden, die in den geltenden europäischen Normen vorgesehen sind, ohne dass dadurch in irgendeiner Weise das Recht auf freien Zugang zum alten Kontinent und den Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten eingeschränkt werden.

Wir fordern die europäischen Institutionen, die Regierungen und Minister auf, dieser Forderung umgehend nachzukommen.

Wir fordern die europäischen Institutionen auf, sich umgehend an die Arbeit zu machen, um einen humanitären Korridor nach Europa in die Praxis umzusetzen.

Wir wenden uns an alle Vereine und Verbände, humanitäre Organisationen, Kollektive und Kommitees mit der Aufforderung, sich jetzt und in Zukunft für die Anerkennung des europäischen Asylrechts stark zu machen.

Progetto Melting Pot Europa

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