taz | 10.03.2017
Niemand weiß, wie viele Menschen auf der Flucht nach Europa im Meer sterben. Das ist politisches Kalkül.
Elisa Simantke, Ingeborg Eliassen
MYTILINI taz | Ein Korridor, dunkel, leer und unheimlich. Nur ein Zettel verrät, dass hier jemand arbeitet. Darauf steht handschriftlich: „Hochzeiten, Tode, Geburten, Taufen, Scheidungen und Namensänderungen können hier registriert werden“. Glück und Trauer sind die größten Gefühle im Leben eines Menschen, und doch holt spätestens ein herabhängendes Kabel im Büro von Aphrodite Andrikou und ihren zwei Kollegen jeden Besucher zurück in den Alltag.
Das Kabel baumelt von einem der Tische, an dem sich jeder hier vorbeiquetschen muss, weil es in diesem Büro viel zu eng ist. Zigmal am Tag bleibt ein Besucher daran hängen, und dann kracht das Telefon auf den Boden. Die Beamten in der Gemeindeverwaltung von Mytilini, stellen es jedes Mal wortlos wieder an seinen Platz.
Im vergangenen Jahr wurden in dem kleinen Büro schrecklich viele Tote registriert. Der Kühlcontainer hinter dem Krankenhaus war oft so voll, dass die Helfer die Leichen im Gebäude aufbahren mussten. Aphrodite Andrikou und ihre Kollegen füllten dann bis in die Nacht und auch am Sonntag Todesprotokolle aus. „Ich beschwere mich nicht“, sagt die Verwaltungsbeamtin, „die Pathologen mussten ja auch Überstunden machen.“