20. Juni 2018 · Kommentare deaktiviert für Libyen: Schläger und Schlepper als „lokale Sicherheitskräfte“ zur Abwehr von Migranten? · Kategorien: Italien, Libyen · Tags:

Telepolis | 20.06.2018

Der neue Innenminister Salvini will das Konzept seines Vorgängers Minniti fortführen. Wichtiges Element ist die Verhinderung von Abfahrten bereits an der Küste

Thomas Pany

Die libysche Küstenwache gilt als wenig zart besaitet; mehrmals wurde ihnen von Seenotrettern vorgeworfen, dass sie mit Waffen droht und rücksichtslose Seemanöver unternimmt, um Migranten ins richtige Boot zu holen, das sie nach Libyen zurückbringt und nicht in einen italienischen Hafen. Von NGO-Mitarbeitern war zu hören, dass es die libysche Küstenwache auf Einschüchterung anlegt.

Ein Interview mit Abd al-Rahman al-Milad bekräftigt den Eindruck, dass es sich um nicht gerade zimperliche Personen handelt, die eine sehr eigene Auffassung vom Umgang miteinander haben. Gegenüber Reuters erklärt der Chef einer Küstenwachen-Einheit im libyschen Zawiya (auch Sawija) freimütig, dass er Migranten schlage, aber nur „damit sie richtig im Boot sitzen und keine falsche Bewegungen machen, die das Boot zum Kentern bringen“.

Wie al-Milad die Lage sieht, geht es darum, mit Schlägen eine größere Not zu verhindern. Das passt zur Gesamtsituation, die, wenn es um den Umgang mit Migranten aus Libyen geht, von Härten gekennzeichnet ist, von der viele behaupten, dass sie notwendig ist.

Zur Hoffnung gehört, dass EU-Ausbilder der libyschen Küstenwache engagiert und gut genug sein könnten, um menschengerechten Umgang zu vermitteln. Zum Beispiel, dass Hilfe und Reden mit Menschen, die in Seenot aufgegriffen werden, die erste Option ist und nicht Zuschlagen.

Das Interesse von al-Milad im Reuters Interview lauft darauf hinaus, eine kleine (Alltags-?)Härte zuzugeben, um glaubhaft größere Vorwürfe zu dementieren. Gegen Al-Milad wurde, wie hier kürzlich berichtet, vom Sanktionen vom UN-Sicherheitsrat verhängt – wegen Gewalt und Verstrickung in das Schlepper-Netzwerk.

Opfer seiner Rettungsaktionen werfen ihm zudem vor, dass er Migranten in eins der libyschen Höllenlager bringen lässt. Laut Recherchen der Washington Post verfügt al-Milad über gute Kontakte zur Miliz, die das al-Nasr-Lager leitet. Seine Miliz sei dort auch gesehen worden. Für al-Milad liegt da „eine Verwechslung“ vor. Andere Gruppen würden sich der Uniform seiner Milizen bedienen, wird der von der Washington Post zitiert.

Auch gegenüber Reuters widerspricht al-Milad allen Anklagen gegen ihn. Der Sicherheitsrat habe keine Beweise. Er sei kein Schlepper oder Schleuser, sondern ein legitimer Offizier in der libyschen Marine und leite die einzige Einheit der Küstenwache, die seit 2014 arbeitet. Sein monatliches Gehalt betrage 820 libysche Dinar, die laut Reuters 600 Dollar nach der offiziellen Rate und 120 Dollar auf dem Schwarzmarkt entsprechen.

Seine Männer würden manchmal Fehler machen, sagt er. Menschenschmuggel, das sei das Geschäft seiner „Rivalen“. Tatsächlich sind die Vorwürfe in seinem Sanktionsbescheid noch nicht von einem Gericht überprüft worden, weswegen Vorsicht angebracht ist.

Anderseits sind die Beziehungen zu einem anderen Mann, dem ebenfalls eine wichtige Position im Schlepper-Schmuggel-Netzwerk vorgeworfen wird, nämlich Mohammed Kachlaf, nicht zu leugnen. Kachlaf ist ein Cousin al-Milads. Und die ominösen Beziehungen Milads, der in Sawija eine sehr bekannte Figur ist, hat die UN nicht erfunden.

Interessant ist al-Milad und sein Netzwerk auch deshalb, weil mit der libyschen Küstenwache und den Milizen, die mit Schleppern und Haftanstalten zu tun haben, auch das „italienische Konzept“ und die EU in den Blick geraten.

Das „italienische Konzept“, wie es vom Innenminister der vorhergehenden Regierung, Marco Minniti, entwickelt wurde, bestand aus drei Grundelementen: das Verhindern von Abfahrten von Migranten bereits an der Küste Libyens, der Verstärkung der Küstenwache und der Ausdehnung der Such-und Rettungszone, in der die libysche Küstenwache das Sagen hat, und wo aus sie die aus Seenot Geretteten oder aufgegriffenen Migranten wieder zurück nach Libyen bringt.

Eine von den vielen Statistiken, die in den letzten Tagen ans Licht gebracht wurde, besagt, dass zwar seit Mitte 2017 anteilig mehr als doppelt so viele Migranten wie zuvor wieder zurück nach Libyen gebracht wurden, dass aber die Zahl der Menschen, die im Mittelmeer aufgegriffen oder gerettet wurden, seit Anfang 2016 ungefähr stabil geblieben sei.

Der Migrations-Forscher Matteo Villa zieht daraus den Schluss, dass nicht die „Push-Backs“ der libyschen Küstenwache die Ursache dafür waren, dass die Zahlen der Migranten, die in Italien ankommen, ab Mitte Juli 2017 deutlich abnahmen, sondern, dass die hauptsächlichen Gründe dafür an der Küste zu finden sind, auf dem Festland in Libyen.

Nun hatten einige der vormaligen italienischen Regierung vorgeworfen, dass sie mit Milizen in Sabratha wie die von al-Dabbashi (ebenfalls auf der UN-Sanktionsliste) geschäftliche Abmachungen getroffen habe, damit diese verhindern, dass Boote mit Migranten überhaupt ablegen.

Der italienische Innenminister dementierte solche Abmachungen (Libyen: Warlords sollen Europas Grenzen schützen?). Allerdings deuteten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen, die im September folgten, darauf hin, dass es ein neues lukratives Geschäftsmodell gibt, bei dem mehr Geld mit der Verhinderung von Migration zu verdienen ist als mit dem Migrationsbusiness, wo die Milizen zuvor tätig waren.

Dass auch der anfangs erwähnte al-Milad in einer solchen Double-Use-Situation sein könnte, ist angesichts von libyschen Verhältnissen, die von Milizen-Netzwerken und Opportunitäten geprägt sind, nicht gänzlich auszuschließen. Interessant ist nun, wie der neue Innenminister Salvini an der Politik des Vorgängers, für die er zuletzt anerkennende Worte hatte, anschließen möchte.

Dass er an den EU-Außengrenzen ansetzen will, hat er schon betont, wie auch dass er dazu nach Libyen reisen wird. Wie die italienische Huffington Post gestern berichtete, will Salvini das „modello Gentiloni-Minniti“ übernehmen.

Als Hinweis dafür wird ins Spiel gebracht, dass wie zuvor schon der italienische Botschafter in Libyen, Giuseppe Perrone, mit seinen Kontakten eine Hauptrolle bei den Vorbereitungen spielt. Perrone bestätigte dem Bericht zufolge, wie wichtig der Ausbau der Unterstützung der „lokalen Sicherheitskräfte besonders im libyschen Küstengebiet“ ist.

Nach Informationen des Mediums will man sich die italienische Regierung anders als Frankreich nicht so sehr auf den Feldmarschall Haftar konzentrieren, sondern auf den Chef der libyschen Einheitsregierung Serraj.

Die Ausstattung der Küstenwache werde verstärkt, es bestehe die Möglichkeit, dass mit europäischen Mitteln bis zu zehn neue Patrouillenboote finanziert werden, auch die Ausbildung der Küstenwache werde vorangetrieben.

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