03. Juni 2018 · Kommentare deaktiviert für Frontex-Chef Leggeri über europäischen Grenzschutz · Kategorien: Balkanroute, DT, Mittelmeerroute · Tags: ,

Spiegel Online | 01.06.2018

„Wir müssen besser werden“

Die Rede ist von einer neuen „Balkan-Küstenroute“: 2018 kamen wieder viel mehr Flüchtlinge von der Türkei nach Griechenland. Frontex-Chef Fabrice Leggeri zeigt sich besorgt – und offen für Afrika-Einsätze.

Ein Interview von Giorgos Christides

SPIEGEL ONLINE: Herr Leggeri, zuletzt stand die Route von Libyen nach Italien im Fokus. Doch in den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, im Vergleich zu den drei Monaten davor um 92 Prozent gestiegen. Warum?

Fabrice Leggeri: In der Tat ist der östliche Mittelmeerraum wieder die wichtigste Flüchtlingsroute in die EU. Das sind die Folgen der Situation im Nahen Osten und in Syrien. Immer mehr Menschen suchen Schutz und fliehen in die Türkei. Ihr Ziel ist der Westen.

SPIEGEL ONLINE: Vor allem am Grenzfluss Evros ist die Lage alarmierend. Im April kamen hier erstmals mehr Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland als über die Ägäis. Was tun Sie dagegen?

Leggeri: Am Evros haben wir eine neue Situation. Viele Migranten warten in der Nähe der türkischen Stadt Edirne auf eine Möglichkeit, nach Griechenland zu gelangen. Wir haben bereits eine kleine Gruppe von Beamten in der Gegend. Und wir haben der griechischen Regierung vorgeschlagen, deren Zahl zu vergrößern.

SPIEGEL ONLINE: Was war die Antwort?

Leggeri: Wir werden die Lage weiter beobachten. Im Mai sind die Flüchtlingszahlen wieder zurückgegangen. Wenn nötig, werden wir mit den griechischen Behörden sehen, ob es sinnvoll ist, mehr Frontex-Personal zu entsenden.

SPIEGEL ONLINE: Nach unseren Informationen setzt Frontex erstmals Kräfte auch an der Grenze zu Albanien ein. Was steckt dahinter?

Leggeri: Wir werden dort voraussichtlich 45 Beamte auf griechischer Seite stationieren – tatsächlich zum ersten Mal. Wir beobachten, dass eine neue Flüchtlingsroute an der Küste entstanden ist: von Nordgriechenland durch Albanien und Montenegro über Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien. Wir nennen sie die „Balkan-Küstenroute“. Einige Länder des Westbalkans stecken wieder in Schwierigkeiten, klagen über Tausende Neuankömmlinge. Kroatien und Slowenien, beides EU-Mitglieder, berichten ebenfalls über viele Migranten. Wir müssen nun herausfinden, woher sie kommen und wie sie in diese Länder gelangen.

SPIEGEL ONLINE: In der Vergangenheit haben Sie sich beschwert, dass einige EU-Staaten sich an Frontex nur mit wenig Personal beteiligen. Gibt es das Problem immer noch?

Leggeri: Heute können wir durchschnittlich 1500 Beamte stellen. Verglichen mit 2015 hat sich der Umfang unserer Einsätze verfünffacht. Die Mitgliedstaaten unternehmen große Anstrengungen. Ich danke ihnen dafür. Alle leisten ihren Beitrag.

SPIEGEL ONLINE: Am Höhepunkt der Krise im Jahr 2015 wurde Athen scharf dafür kritisiert, die EU-Grenze nicht schützen zu können. Hat Griechenland Fortschritte gemacht?

Leggeri: Ich habe damals darauf hingewiesen, dass Griechenland als Grenzstaat Unterstützung und Solidarität benötigt. Zu dieser Zeit ging es vor allem darum, dass es keine anständige Registrierung der Flüchtlinge gab, etwa mit Fingerabdrücken. Mittlerweile haben sich die Dinge deutlich verbessert. Alle entdeckten Migranten werden auch registriert.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie da sicher? In der Gegend am Evros haben uns Beamte berichtet, die Überprüfung funktioniere nicht richtig.

Leggeri: Wir, die EU, sind heute besser ausgestattet als noch vor drei Jahren. Das heißt aber nicht, dass wir nicht noch besser werden müssen – nicht nur in Griechenland, sondern überall.

SPIEGEL ONLINE: In Griechenland aber mangelt es an Personal und Ausrüstung, mitunter fehlen sogar Polizeiautos, mit denen aufgegriffene Migranten zu den Wachen gebracht werden können.

Leggeri: Griechenland hat große Fortschritte gemacht. Aber das Land steht noch immer vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Migranten ist riesig und der Druck gewaltig. Die finanzielle Situation ist eben, wie sie ist. Frontex will Griechenland unterstützen. Wir überholen die technische Ausrüstung. Wir beschaffen gerade Patrouillenfahrzeuge für die Landgrenzen. Und wir kaufen oder mieten Schiffe und Flugzeuge. Mit diesen neuen Möglichkeiten werden wir in der Lage sein, die Länder und Regionen, in denen wir agieren, noch effektiver zu unterstützen.

SPIEGEL ONLINE: Österreich übernimmt im Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Die Begrenzung der Zuwanderung steht ganz oben auf Wiens Agenda. Kanzler Sebastian Kurz hat etwa vorgeschlagen, Frontex bereits in Nordafrika einzusetzen. Was halten Sie davon?

Leggeri: Wir haben grundsätzlich das Mandat für Einsätze in Nicht-EU-Staaten. In Nachbarländern wie Albanien ist das relativ unkompliziert. Und Afrika? Wenn es eine gemeinsame Seegrenze gibt: warum nicht? Aber das müssen Juristen und die EU-Kommission entscheiden. Es kommt allerdings darauf an, wo wir hingehen sollen. In Libyen gibt es Sicherheitsprobleme. Ich bin mir nicht sicher, ob wir viele Beamte in der EU finden würden, die bereit wären, dort zu arbeiten.

SPIEGEL ONLINE: Immer wieder wird über einen deutlichen Personalausbau bei Frontex spekuliert. Was ist Ihre Vision der Agentur?

Leggeri: Die gute Nachricht ist, dass jeder über mehr Personal und mehr Geld für Frontex spricht. Wir müssen uns überlegen, ob unser Mandat ausreicht. Das steht sicher zur Debatte. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass Frontex bis 2027 eine Truppe von 10.000 Grenzwächtern aufbaut. Ich stehe in engem Kontakt mit der Kommission und hochrangigen Sicherheitskräften in Deutschland. Mein Gefühl ist: Es gibt einen breiten Konsens zu diesem Vorschlag.

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