31. Juli 2015 · Kommentare deaktiviert für „Österreich: Flüchtlingslager wird Fall für Amnesty International“ · Kategorien: Österreich · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Von Björn Hengst

In der österreichischen Flüchtlingsunterkunft Traiskirchen herrschen unhaltbare Zustände: Mehr als 2000 Flüchtlinge haben kein Bett, Hunderte schlafen unter freiem Himmel – jetzt schaltet sich Amnesty International ein.

In einer Flüchtlingsunterkunft in Österreich mangelt es am Grundsätzlichen, für viele Flüchtlinge gibt es nicht einmal Betten. Die Lage gilt als so chaotisch, dass sich jetzt auch Amnesty International zusammen mit einem Arzt und Dolmetschern einen Überblick über die Situation in der sogenannten Bundesbetreuungsstelle Ost in Traiskirchen (Niederösterreich) verschaffen will.

Über den Antrag der Menschenrechtsorganisation werde spätestens am Freitag entschieden, sagte Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des österreichischen Innenministeriums, SPIEGEL ONLINE. Das Ministerium bestätigte damit einen Bericht der österreichischen Zeitung „Der Standard“, die zuerst über die Amnesty-Anfrage berichtet hatte.

Das Erstaufnahmezentrum in Niederösterreich, rund 20 Kilometer südlich von Wien gelegen, ist eigentlich für 1800 Flüchtlinge ausgelegt, derzeit halten sich dort nach Angaben des Innenministeriums allerdings bereits 4500 Menschen auf.

Mehr als 2000 Flüchtlinge haben in Traiskirchen kein Bett

Lediglich 2300 Flüchtlinge würden über ein Bett verfügen, so Grundböck. Inzwischen habe man auf dem Gelände unter anderem auch Garagen geöffnet, um mehr Platz für die Menschen zu schaffen. Auch geparkte Busse kämen teilweise zum Einsatz, um für provisorische und notdürftige Bleiben in der Nacht zu sorgen. „Es reicht aber nicht aus, damit nachts alle in Räumen unterkommen“, sagte Grundböck SPIEGEL ONLINE. Die Verhältnisse in Traiskirchen seien „nicht mehr tragbar“.

Wie viele Flüchtlinge in Traiskrichen de facto obdachlos sind, ist unklar. Beobachter gehen von Hunderten Fällen aus.

Grund für die schwierige Situation ist offenbar auch eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Bundesländer: Die Regierung in Wien erwartet, dass diese weitere Plätze für Flüchtlinge schaffen, um unter anderem auch Traiskirchen – eine von insgesamt fünf Bundesbetreuungsstellen – zu entlasten. Nach österreichischem Recht liegt die Registrierung von Flüchtlingen in der Verantwortung der Bundesregierung, mit Beginn des Asylverfahrens sind jedoch die Bundesländer für die Flüchtlinge und deren Unterbringung zuständig. Diese nähmen aber seit geraumer Zeit zu wenige Flüchtlinge auf, so Ministeriumssprecher Grundböck.

Auch Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International in Österreich, sieht die Länder in der Verantwortung: „Der Bund wird hängengelassen“, sagte Patzelt SPIEGEL ONLINE. Die Wiener Regierung sei menschenrechtliche Verpflichtungen eingegangen, die von Seiten der Bundesländer offenbar nicht umgesetzt würden.

Ende Juni hatte es bereits ein Krisentreffen im Wiener Kanzleramt wegen der dramatischen Flüchtlingssituation gegeben – in den Monaten Januar bis Mai wurden mehr als 20.000 Asylanträge in Österreich gestellt, im Vorjahr waren es in dem Zeitraum lediglich rund 7200. Viele Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Frist für österreichische Bundesländer

Bei dem Krisentreffen, an dem auch die Landeshauptmänner teilnahmen, wurde unter anderem vereinbart, dass die Bundesländer bis Ende Juli zusätzliche 6500 Plätze für Flüchtlinge schaffen sollen. „Wenn diese Zusagen nicht eingehalten werden, dann wird es weitere Notmaßnahmen des Bundes geben“, sagte Innenministeriumssprecher Grundböck SPIEGEL ONLINE – der Bund würde dann also selbst in den Bundesländern aktiv werden, um Unterkünfte zu schaffen.

Aber auch die Politik der österreichischen Bundesregierung scheint stellenweise zweifelhaft. So hatte zuletzt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ihre Beamten angewiesen, keine neuen Asylverfahren mehr durchzuführen. Die Staatsdiener sollten sich stattdessen auf Abschiebungen und Rückführungen in andere EU-Länder konzentrieren. ÖVP und SPÖ sehen sich immer mehr durch die rechtspopulistische FPÖ unter Druck gesetzt, die jüngsten Umfragen zufolge derzeit stärkste Fraktion würde, wenn jetzt Wahlen wären.

Die Österreichische Liga für Menschenrechte hatte die österreichische Flüchtlingspolitik zuletzt in einem offenen Brief an die Bundesregierung kritisiert. In dem Schreiben hieß es unter anderem, „dass in endlosen Konferenzen ergebnislos Verantwortung zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben“ werde. Flüchtlinge müssten „unter menschenunwürdigen Bedingungen auch bei Regen im Freien kampieren“.

Das Schreiben ist in weiten Teilen ein dramatischer Appell an die Wiener Regierung: „Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr“, heißt es etwa mit gefetteten Buchstaben. „Wir können nicht zulassen, dass traumatisierte Menschen, die alles verloren haben, im Stich gelassen werden.“

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