26. Juni 2018 · Kommentare deaktiviert für Schleuser-Business in Libyen: Die Erpresser Europas · Kategorien: Italien, Libyen · Tags: , ,

Telepolis | 26.06.2018

Salvini hetzt gegen „Mission Lifeline“ und versucht die Auffang-Lager in Libyen in gutem Licht darzustellen – Teil eines Machtspiels, das auf keine gute Zukunft ausgerichtet ist

Thomas Pany

Das dänische Containerschiff darf in Italien anlegen, das deutsche NGO-Schiff nicht. In der Nacht auf den heutigen Dienstag durften 113 aus Seenot Gerettete an Bord der „Alexander Maersk“ im Hafen von Pozzallo italienischen Boden betreten. Der italienische Innenminister und, das ist nicht unwichtig, gleichzeitig als stellvertretender Premierminister amtierende Matteo Salvini erteilte dazu die Erlaubnis.

Damit sind die Versorgungsprobleme an Bord gelöst und ein beruhigendes Signal an besorgte kommerzielle Schifffahrer abgegeben, die Migranten auf dafür ungeeignete Schiffen aufnehmen und die nun fürchteten, dass sie künftig in eine ähnliche schwierige Lage geraten könnten wie die Rettungsschiffe der Hilfsorganisation.

Für die NGOs gibt es keine Erlaubnis mehr, italienische Häfen anzufahren. Auch das zeigt sich nun in aller Schärfe. Für Salvini ist die Konfrontation mit der deutschen NGO „Mission Lifeline“ politisch sehr wichtig. Sollte das Schiff „Lifeline“, das 230 aus Seenot Gerettete an Bord hat, trotzdem einen italienischen Hafen anfahren, so würde die Crew festgenommen und das Schiff würde beschlagnahmt. Salvinis Äußerungen in dieser Richtung sind unmissverständlich.

So wartete das Schiff, 50 Seemeilen südlich von Malta, wie der MDR am gestrigen Montagabend berichtete, darauf, dass ihm ein sicherer Hafen zum Anlaufen angeboten wird. Heute kam dann die Nachricht, dass es in Malta anlegen darf.

Es zeigt sich eine deutliche europäische Linie: Italien lehnt ab, Malta lehnte zuerst auch ab, Frankreich lehnt ab, Spanien lehnt ab und die Niederlande lehnen die Bestätigung ab, dass das NGO-Schiff unter seiner Flagge fährt. Geschieht das aus Solidarität mit der Haltung Italiens?

Ist es einfach eine Verweigerung, die, anders als die Aufnahme, keine großen politischen Kosten hat? Wer bleibt noch? Portugal? Korsika, das seine Eigenständigkeit zeigt? Oder Deutschland?

Zwei Abgeordnete der Grünen und ein Abgeordneter der Linkspartei waren für ein paar Stunden an Bord der Lifeline, um sich ein Bild zu machen. Der Linke-Abgeordnete Michel Brandt fordert die Bundesregierung auf, die Passagiere aufzunehmen. Die Situation an Bord der Lifeline sei eine „humanitäre Katastrophe“, berichtet er der Zeit.

Auch Ulla Jelpke von den Linken schließt sich der Forderung an:

„Mit etwas politischem Willen wäre es ein Leichtes, die humanitäre Krise schnell zu beenden. Ich fordere die Bundesregierung auf, die 234 Flüchtlinge an Bord der ‚Lifeline‘ aufzunehmen und ihre Asylanträge in der Bundesrepublik zu bearbeiten. Die Menschen könnten dann umgehend in Malta an Land gehen und von dort nach Deutschland gebracht werden. Es muss endlich Schluss sein mit dem zynischen europaweiten Wettbieten um die menschenfeindlichste Flüchtlingspolitik.“

Derzeit geschieht die Versorgung über andere Schiffe. Das sei notdürftig, aber, so erklärt der italienische Commandante Gregorio De Falco, der seit seinem legendären Befehl an den Kapitän des gesunkenen Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia („Gehen Sie zurück an Bord!“) von Medien als Seerechts-Repräsentant genutzt wird, mit dieser Grundversorgung sei schon mal der unmittelbaren Not und Dringlichkeit abgeholfen.

Was nahelegt, dass Italien damit aus der Pflicht, einen sicheren Hafen zu stellen, entlassen wäre. Ohnehin, so De Falco, wäre Malta verpflichtet gewesen.

Es ist ein für Europa unwürdiger Machtkampf, der hier ausgetragen wird. Dabei werden Verantwortungen hin- und hergeschoben, ohne dass dies zu einer grundsätzlichen Klärung führt, die bitter nötig wäre.

Geht es nach Salvini, so wäre mit dem Einstellen der Tätigkeit der NGO schon viel gewonnen. Er habe die Mehrheit hinter sich, ist häufig zu lesen. Emotionale Kommentare in Foren unter Medienberichten bestätigen diesen Eindruck. Das folgende Zitat, das sich unter einem MDR-Bericht fand, ist dafür beispielhaft. Die Aussage gibt es als Dutzendware: „Mal im Ernst, jedes Mitglied der Lifeline gehört vor Gericht. Wer ganz knapp an der Küste rumschippert, um Leute aufzufischen, gehört wegen Schleusertätigkeit verurteilt.“

In Le Monde veröffentlichte gestern der Afrika-Korrespondent Frédéric Bobin einen Lagebericht. Dass in einer Woche 2.000 Migranten(!) nach Angaben der IOM von der libyschen Küstenwache im Meer gerettet oder aufgegriffen wurden und nach Libyen zurückgebracht wurden, erklärt Bobin zum einen damit, dass der Ramadan vorbei ist und infolgedessen die Küstenwache wieder voll aktiv sei und zum anderen mit der Aktivität von Milizen, die im Menschenschlepper-Business sind.

Vom 1. Januar bis zum 20. Juni sind 16.228 Migranten übers Meer nach Italien gekommen, berichtet der Le Monde-Artikel, das seien 78 Prozent weniger als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Hinzugefügt wird, dass es insgesamt 26.000 Versuche der Überfahrt gegeben hat. Mitgerechnet sind hier die Rettungen oder Aufgriffe der libyschen Küstenwache wie auch die Toten (623).

Die Zahlen legen nahe, dass die Küstenwache dafür verantwortlich ist, dass beinahe zehntausend Migranten, die nach Europa wollten, zurück nach Libyen gebracht wurden. Die allermeisten davon vermutlich in Auffanglager, denen vorgeworfen wird, dass dort unmenschliche Bedingungen herrschen. Sie sind der Grund, warum die Seenotretter der Hilfsorganisationen sichere Häfen anfahren, die außerhalb Libyens liegen. Bislang hatte die Seenotleitstelle in Rom auch entsprechende Anordnungen gegeben.

Salvini hat diesen Usus nun ausgesetzt. Er will die Aktivität der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen erschweren und die Aktivisten zermürben. Es sollen weniger NGO-Schiffe vor der Küste sein. Die Aquarius ist noch nicht von Spanien zurück.

Das ist nun erstmal die Stunde der libyschen Küstenwache. PR-technisch wird sie von Salvini mit der Behauptung unterstützt, dass er bei seinem Besuch gestern in Libyen ein UNHCR-Flüchtlingslager besucht haben, dass einen sehr guten, menschenwürdigen Eindruck gemacht hat.

Die miserablen Bedingungen in den libyschen Lagern reihte er bezeichnenderweise unter „Rhetorik“ ein. Man kann darauf warten, dass den Attacken auf die Seenotrettung durch die NGOs und der Kriminalisierung derselben nun eine Aufwertung der Lager folgt, wohin aufgegriffene Migranten in Libyen kommen. Dass die Bedingungen nicht so übel sind, wie es geschildert wird, usw..

Es wird viele geben, die solche Nachrichten bereitwillig aufnehmen. Der Prüfstein wird dann sein, ob sie stimmen. Wie die Beurteilung der Arbeit der Seenotretter zeigt, liefert die Zugehörigkeit zu politischen Lager in solchen Fragen eine wesentliche Vorprägung für die Urteilsbildung (wie auch bei der Einschätzung von Muslimen).

Der schwierigere Punkt für Salvini liegt in der Erpressbarkeit Italiens durch die Milizen in Libyen, die in der Küstenwache mitbestimmen, bei der Lageraufsicht und beim „Grenzschutz“ in Libyen selbst. Sie sind die Türwächter und sie sind mit dem Schlepper- und Schleusergeschäft eng verknüpft. Sie lassen ablegen und sie lassen die Schlauchboote an der libyschen Küstenwache vorbei passieren.

Die Frage ist nun, wie sich das Geschäft verändern wird, wenn es keine NGO-Rettungsschiffe mehr außerhalb der Such- und Rettungszone (SuR) in Libyen geben wird, die über die Seenotrettungsleitstelle in Rom gerufen werden können. Werden es dann EU-oder Nato-Schiffe sein, Handelsschiffe?

Wie flexibel das Geschäft der Milizen ist, zeigt der genannte Artikel des Afrika-Korrespondenten von Le Monde. Sabratha ist längst nicht mehr der Hauptablegeort, auch der Schleuser-Betrieb in Sawija lässt nach, dafür werden jetzt in Garabulli-Khoms und Zowara (auch: Zaouïa), deutlich mehr Abfahrten verzeichnet.

Die Schlepper-Geschäftstüchtigkeit im letztgenannten Ort ist bemerkenswert, weil es dort nach einem verheerenden Unglück mit vielen Leichen am Strand vor Jahren Proteste im Ort gegen Schlepper gegeben hat und sich eine Gruppe „Maskierter“ gebildet hatte, die das Schleppergeschäft schon am Festland verhinderte.

Jetzt scheint die Katastrophe vergessen und andere Vorteile größer. Die Maskierten halten den Schlepperbetrieb nicht mehr auf. Das ist relevant, wenn man sich vor Augen hält, womit der Rückgang der Migranten, die übers Meer nach Italien kommen, vor allem zu tun hatte: Dass weniger ablegt haben, weil dies von Milizen verhindert wurde, die dafür Geld bekamen, um das, was Le Monde „obskure Abmachungen“ zwischen Italien und relevante Vertreter Libyens nennt, auf einen einfachen Nenner zu bringen. In Garabulli-Khoms versicht Italien nun das nächste Abkommen mit Milizen

Konsequenzen dieses Konzepts sehen dann so aus:

„Wie Sie wissen – sagte ein Sprecher der libyschen Miliz in den letzten Tagen – gibt es 52.031 potenzielle Asylbewerber in unseren Lagern aus Syrien, dem Sudan, Palästina und Eritrea. Wenn sie gehen, sollten Sie sie alle fangen. Besser also, dass sie nicht gehen“: Das mehr als ein Ratschlag, es ist eine Bedrohung, und nicht einmal versteckt.

Umberto De Giovannangeli

Dass das Schlepperbusiness in Sabratha, das zuvor als Hauptablegeort für Boote mit Migranten bekannt war, in der zweite Hälfte des vergangenen Jahres beinahe völlig zum Erliegen kam, hängt mit den Milizen und den Schlüsselfiguren dort zusammen. Ähnliches gilt für Sawija.

Die Hauptfiguren, Dabbashi und Mosaab Abu Grein (auch: Musaab Abu-Qarin) in Sabratha sowie Mohamed Kochlaf und Abdelrahman Milad für Sawija sind kürzlich vom UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen bestraft und gebrandmarkt worden (siehe UN-Sanktionen gegen Drahtzieher des Schleppergeschäfts).

Der Spiegel beschrieb im September 2016 Mosaab Abu Grein nach Worten von Fahndern in Tripolis als „libyschen König des Menschenhandels“. Er soll laut Anklage, die sich im UN-Sanktionsdokument wiederfindet, allein im Jahr 2015 45 000 Menschen nach Europa geschmuggelt haben.

Die Anklage beruht allerdings, wie auch im Spiegel-Bericht hervorgeht, auf Aussagen eines früheren Komplizen. Da ist es freilich gut möglich, dass Anschwärzen im Spiel ist. Es zeigt sich auch bei den UN-Dokumenten und anderen Berichten, dass die Konkurrenz zwischen den Milizen sehr ausgeprägt ist, wie auch die Verbindungen zwischen Abhalten und Durchlassen von Migranten.

Wenn sich die EU beim sogenannten „Flüchtlingspakt“ mit Erdogan auf das Gutdünken eines Diktator eingelassen hat, der für viel Geld den Schleusenwärter spielt, so lässt sich die EU zusammen mit der italienischen Regierung auf das Gutdünken einer Schleppermafia ein, die für viel Geld die Schleusen in Nordafrika regelt.

Das ist schwer zu übersehen und das sollte man im Hinterkopf parat haben, wenn von „kriminellen NGOs“ die Rede ist. An den wichtigen Schrauben drehen andere und die italienischen Behörden kennen sie über vielen Jahre sehr gut.

Der Schwierigkeitsgrad von libyschen Lösungen – tatsächlich wäre vielen Tausenden gedient, wenn die Verhältnisse in den Auffang- oder Internierungslagern, wozu letztlich auch die Verhältnisse außerhalb gehören, menschlicher würden – erhöht sich, wenn man dazu noch die Konkurrenz der politischen Interessen Frankreichs und Italiens in Libyen vor Augen hält.

In den letzten Tagen hat Italien einen formellen Vorbehalt zum EU-Haushalt eingelegt und die Kommission um Garantien gebeten, dass genügend Mittel für den Afrika-Fonds, das Finanzinstrument für EU-Projekte mit Libyen, zur Verfügung stehen. Nicht nur Geld: Sie wollen auch Waffen aus Tripolis zur Unterstützung der Küstenwache. Deshalb fordern sie die Aufhebung des Embargos. Ein Antrag, den der UN-Sicherheitsrat kürzlich abgelehnt und das Embargo für mindestens ein weiteres Jahr bestätigt hat. Und Frankreich hat bei dieser Entschlossenheit eine wichtige Rolle gespielt. Und so können europäische Hotspots in Libyen warten.

Umberto De Giovannangeli

Das in Libyen keine Hotspots errichtet werden können, hat, wie Beobachter zu bedenken geben, auch damit zu tun, dass der französischen Führung daran gelegen ist, dass der Einfluss Italiens auf Libyen nicht zu groß ist. Beide unterstützen unterschiedliche Lager.

Wie weit das geht ist an Anschuldigungen abzulesen, die etwa im Zusammenhang mit den Kämpfen um die libyschen Ölexportanlagen (siehe Kampf ums Öl) stehen. So beschuldigt ein Abgeordneter des Verteidigungsausschusses im – international anerkannten – Parlament von Tobruk, dass Italien hinter den Gruppen stünde, die gegen den Feldmarschall Hafter und seine Miliz der Nationalen Libyschen Armee vorgingen und ihm die Kontrolle über die Ölanlagen streitig achten.

Dies würde bedeuten, dass die italienische Regierung verdeckt gegen einen Mann vorgeht, der von Frankreich unterstützt wird, und dass Rom dazu auch die Hilfe von Islamisten in Anspruch nimmt. Ob das wahr ist, verzerrt oder falsch, ist nicht einfach zu klären. Zu erkennen ist aber, wie sehr die Konkurrenz der Einflusssphären in Libyen durchscheint.

Mittlerweile wurde der Sitz der staatlichen Ölgesellschaft Libyens nach Tobruk verlegt, Haftar, der starke Mann von Tobruk, hat die Kontrolle über die Ölanlagen wiedererhalten.

Für Tripolis, wo mit Serradsch der international anerkannte Regierungschef Libyens sitzt, den Italien unterstützt, ist der Verlust über die Kontrolle der National Oil Corporation (NOC) ein bitterer. Es ist offensichtlich, dass auch diese Machtkämpfe eng mit der Stabilität des Landes verbunden sind und damit zuletzt auch wesentlich mit der Frage, wie man künftig mit Migranten umgehen will, die über Libyen nach Europa kommen wollen.

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