18. April 2018 · Kommentare deaktiviert für Euphemismus: „AnKER-Zentren“. Eine kritische Reflexion · Kategorien: Deutschland · Tags: , ,

Migazin | 18.04.2018

Die GroKo will geflüchtete Menschen in „AnKER-Zentren“ unterbringen und von dort aus abschieben. ‚Zentren‘ erscheint als Euphemismus. Die Erläuterungen im Koalitionsvertrag erinnern vielmehr an ‚Lager‘.

Von Caroline Schmitt und Jan Wienforth

Die neue Bundesregierung plant „AnKER-Zentren“ zur Unterbringung und Abschiebung geflüchteter Menschen. Die ersten Zentren sollen bereits im Herbst 2018 in Betrieb gehen. Dieses Vorhaben wurde in politischen Kommentaren und Stellungnahmen bereits scharf kritisiert. Diese Kritik möchten wir um eine wissenschaftliche Reflexion der „AnKER-Zentren“ ergänzen, weil das Thema im öffentlichen Diskurs häufig mit populistischen Aussagen, verkürzten Darstellungen und Behauptungen verhandelt wird.

Eine wissenschaftliche Positionierung hat zum Anliegen, bisherige Forschungsergebnisse in die Debatte einzubinden. Im Folgenden geben wir erste Anregungen zu einer solchen wissenschaftlichen Ergänzung und fragen, was sich hinter dem Begriff der „AnKER-Zentren“ verbirgt.

„AnKER-Zentren“ im Koalitionsvertrag

Die „AnKER-Zentren“ sind als zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren für geflüchtete Menschen geplant. Asylverfahren sollen dort „schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und weiter: „BAMF, BA, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und andere [sollen] Hand in Hand arbeiten. In den AnKER-Einrichtungen sollen Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (An-K-E-R) stattfinden“.

Das Ziel dieser Zentren soll sein, die Entscheidungen in Asylverfahren deutlich zu beschleunigen und Menschen, denen kein Aufenthalt gewährt wird, schneller und unkomplizierter als bisher abzuschieben. In der Folge sollen auf die Städte und Kommunen nur noch diejenigen Schutzsuchenden „verteilt“ werden, denen nach Prüfung im „AnKER-Zentrum“ eine „positive Bleibeperspektive“ zugeschrieben wird.

„AnKER-Zentren“ als Abschottungs- und Kontrollpolitik

Die geplanten Zentren sind Ausdruck einer Abschottungs- und Kontrollpolitik, die Menschen auf der Flucht an ihrer Mobilität und ihrem Zugang zu gesellschaftlichen Gütern behindert. Neu ist diese Steuerungspolitik keineswegs, vielmehr wurden die bayrischen „Transitzentren“, aber auch das System der Erstaufnahmeeinrichtungen „weiterentwickelt“.

In bayrischen Aufnahmeeinrichtungen werde unabhängigen Berater*innen und Anwält*innen der Zugang verwehrt, er hänge von der expliziten Zustimmung der Einrichtungsleitung ab, so Pro Asyl. Die Menschen werden also von der ‚Außenwelt‘ abgeschottet und isoliert. Die räumliche Bewegung wird eingeschränkt, verwaltet und überwacht. Geflüchtete Menschen werden zur „Manövriermasse“1. Zwischen ‚geflüchteten Menschen‘ und als ‚einheimisch‘ kategorisierten Menschen wird getrennt, die Ungleichbehandlung wiederum mit dem Aufenthaltsstatus und einem vermeintlich ‚notwendigen Schutz der einheimischen Bevölkerung‘ zu legitimieren versucht.

Gemeinhin steht der Anker als Symbol für ‚Sicherheit in der Seefahrt‘ – Sicherheit in schwierigen Zeiten scheinen diese Zentren jedoch nicht zu versprechen. Statt Schutzkonzepte für geflüchtete Menschen zu diskutieren, erörtert der Koalitionsvertrag, wie sie in „AnKER-Zentren“ ‚verwaltet‘ werden können. In den letzten Jahren sind tausende Menschen auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Die Begrifflichkeit ‚Anker‘ erweckt den Eindruck, den Menschen Sicherheit zu geben; tatsächlich scheinen die Zentren jedoch blind für die tatsächlichen Bedürfnisse der Geflüchteten zu sein.

Der Euphemismus „Zentrum“ und das Akronym „AnKER“ verschleiern, dass diese Zentren – so liest es sich im Koalitionsvertrag – einer Kasernierung entsprechen werden. Wenn Menschen gegen ihren Willen systematisch in ihren Freiheitsrechten, ihrer Selbstbestimmung und Mobilität beschränkt, von der Außenwelt abgeschottet und in ihrem Tagesablauf durch die Logik einer Institution bestimmt werden, kann von einem ‚Zentrum‘ nicht die Rede sein. Es handelt sich um ein ‚Lager‘.

Tobias Pieper bezeichnet die bisher errichteten Strukturen als halboffenes Lagersystem, das mit den „AnKER-Zentren“ weiter ausgebaut und bundesweit eingeführt würde. Die Menschen im Lager seien nicht mit Stacheldraht eingesperrt, könnten prinzipiell verschwinden und z.B. in die aufenthaltsrechtliche Illegalität ‚abtauchen‘; die Grenzen seien symbolischer und institutioneller Art. Besonders belastend für die Geflüchteten sind die häufig schlechten, menschenunwürdigen und unzumutbaren Lebensbedingungen, die „Erosion von Privatsphäre und ein Leben in Zwangsgemeinschaften“, Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Besuchskontrollen bzw. -verbote und die Versorgung über Sachleistungen. Sie zementieren eine Diskrepanz zwischen geflüchteten und nicht-geflüchteten Menschen im Lebensalltag.

 

  1. Scherr, Albert (2018): Flüchtlinge, nationaler Wohlfahrtsstaat und die Aufgaben Sozialer Arbeit. In: Bröse, Johanna/Faas, Stefan/Stauber, Barbara (Hrsg.): Flucht. Herausforderungen für Soziale Arbeit. VS: Wiesbaden, 37-59.)

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