13. April 2018 · Kommentare deaktiviert für „Vorwurf Menschenschmuggel: Salam Aldeen rettete Flüchtlinge, nun drohen zehn Jahre Haft“ · Kategorien: Griechenland · Tags: , ,

Berliner Zeitung | 11.04.2018

Weil Salam Aldeen Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten wollte, drohen dem Dänen zehn Jahre Haft. Denn der 35-Jährige wurde in Griechenland wegen Menschenschmuggels angeklagt.

Annika Leister

Am 7. Mai startet sein Prozess. Er ist das jüngste Beispiel für Verfahren gegen Flüchtlingshelfer, die Länder wie Dänemark, Italien oder Frankreich seit 2015 verstärkt führen. Das Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung hatte Aldeen am Dienstag nach Berlin eingeladen, um seinen Fall vorzustellen.

Aldeen war mit der gemeinnützigen dänischen Organisation Team Humanity ab Herbst 2015 auf der griechischen Insel Lesbos im Einsatz. In dieser Hochphase der Flüchtlingskrise hätten täglich Tausende Menschen die Insel erreicht, die nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt.

„100 bis 200 Boote pro Tag, unmöglich zu zählen“, sagt Aldeen. Lesbos sei unter dem Andrang im Chaos versunken, die Behörden seien heillos überfordert, die Küstenwache nicht präsent gewesen. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind von 2014 bis Mitte 2016 rund 10.000 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken.

„Wir wollten nur Leben retten“, das sagt Aldeen immer wieder. Ab September fuhren er und seine Kollegen regelmäßig mit Booten raus. Tausende hätten sie in drei Monaten aus gekenterten Booten und dem Wasser gezogen, auch Leichen geborgen.

Bis sie im Januar 2016, mitten in der Nacht, über eine Gruppe auf Whatsapp der Hilferuf eines Flüchtlings erreichte: Er befinde sich auf einem von zwei überfüllten Booten, die liegengeblieben seien und zu kentern drohten.

Die Helfer verständigten die griechische Küstenwache. Die habe nichts unternommen, mit Hinweis darauf, dass man nicht wisse, wo die Boote sich genau befänden. „Es war ihnen egal, dass da zwei Boote sinken“, sagt Aldeen.

Er und vier andere ehrenamtliche Helfer, ein Däne und drei spanische Feuerwehrmänner, starteten dennoch eine Suche nach den Flüchtlingen, wurden aber bald gestoppt – von der Küstenwache und dem Satz „Ihr seid verhaftet“.

Fotos zeigen, wie Aldeen und seine vier Mitstreiter in Handschellen abgeführt werden. Die Polizisten hätten nur Griechisch gesprochen und ihm ein ebenfalls in Landessprache verfasstes Papier zum Unterzeichnen vorgelegt.

Aldeen verweigerte die Unterschrift. Sein Anwalt habe ihm später erklärt, was darin stand: Er habe gestanden, Menschen aus der Türkei nach Griechenland geschmuggelt zu haben.

10.000 Euro musste Aldeen innerhalb eines Monats bezahlen, um auf freien Fuß zu kommen. Monatelang durfte er Griechenland nicht verlassen. Im nun bevorstehenden Prozess drohen ihm im schlimmsten Fall zehn Jahre Haft und eine weitere Strafzahlung von 50.000 Euro. Aldeen ist auch heute noch fassungslos: „Wofür? Leben gerettet zu haben? Wenn das ein Verbrechen ist – dann bin ich ein Verbrecher.“

Komplexe internationale Rechtslage

Flüchtlingshelfer als Menschenschmuggler zu verklagen, ermöglicht die komplexe internationale Rechtslage, erklärt Anwalt Robert Nestler von der Organisation Refugee Law Clinics Abroad.

Zwar schreibe das Palermo Protokoll der UN zur Bekämpfung des Menschenhandels vor, dass als Schmuggler nur belangt werden kann, wer Geld oder andere materielle Vorzüge für den illegalen Grenzübertritt kassiert.

Andere Direktiven des europäischen Rechts lassen diesen Aspekt aber außen vor – wegen Schmuggels angeklagt werden kann dann jeder, der Menschen über eine Grenze bringt oder auch nur die Absicht hat. Selbst wenn es aus humanitären Gründen geschieht. Auch wenn es Leben rettet.

Frances Webber, Expertin des Londoner Institutes for Race Relations, beobachtet seit 2015, dass EU-Länder wie Griechenland, Italien und Dänemark verstärkt den letzteren Weg wählen und Flüchtlingshelfer anklagen. „Es gehört zur Strategie der EU, um Flüchtlinge abzuschrecken“, sagt sie. „Jetzt nehmen sie auch die Helfer ins Visier.“

„Lebensgefährliche Lücken“

Deren Arbeit werde als „Pull-Faktor“ angesehen, der Menschen dazu anstifte, nach Europa zu kommen. Dabei füllten die meisten Nichtregierungsorganisationen (NGO) lediglich lebensgefährliche Lücken, die die Politik durch ihren Rückzug auf dem Gebiet der Nothilfe erst habe entstehen lassen. „Die EU ist bereit, alles zu tun, um Migranten fernzuhalten“, so Webber. Vor Gericht zu stehen, weil man Leben gerettet habe – das sei skandalös.

Die Verfahren sind nicht nur aufwendig und teuer für die Betroffenen, nach Salam Aldeens Erfahrung senden sie auch ein Signal der Abschreckung an andere Helfer. Nach der Verhaftung seines Teams hätten sich mehrere Kollegen gemeldet, die erzählten, sie hätten die Seenotrettung nicht mehr gewagt. „In den Wochen bevor wir verhaftet wurden, gab es keine Toten auf der Route. Danach sind acht Menschen ertrunken – in nur 48 Stunden“, so Aldeen.

Für den Prozess wird Aldeen am 7. Mai wieder nach Griechenland reisen. Wie das Urteil ausfalle, sei unklar. Für den Dänen steht aber fest: „Ich will meine humanitäre Arbeit fortsetzen.“

 

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