05. März 2018 · Kommentare deaktiviert für „Schweden – kein einfaches Land für Zuwanderer“ · Kategorien: Skandinavien · Tags:

NZZ | 05.03.2018

Über Jahrzehnte verfolgte Schweden eine sehr liberale Migrationspolitik. Für viele Zuwanderer erwies – und erweist – es sich jedoch als gesellschaftlich fremder, als es auf den ersten Blick scheinen mochte.

Rudolf Hermann

Die sich verschlechternde Sicherheitslage in gewissen Vororten der Grossstädte Stockholm, Göteborg und Malmö ist ein Problem, für das die Politik rasch eine Lösung finden muss. Ebenso wichtig wäre es allerdings, sich mit den tiefer liegenden Ursachen auseinanderzusetzen, die zur heutigen Situation geführt haben. Das jedoch ist eine schwierige Sache. Denn die Segregation, die eine wichtige Ursache für die verbreitete Entfremdung der Immigranten vom gesellschaftlichen Mainstream ist, geht Jahrzehnte zurück in Schweden – trotz einer offiziellen Politik, die seit den 1970er Jahren auf Integration und Multikulturalität ausgerichtet ist.

«Ein Extremfall»

Warum aber hat Schweden dieses Segregationsproblem, wo das Land seinen Neuzuzügern doch zahlreiche und grosszügige Programme zur Unterstützung offeriert? Einen Teil der Antwort liefern zwei informelle Umfragen der Internet-Publikation «The Local», die sich nicht etwa mit Asylsuchenden aus völlig anderen Kulturkreisen befassen, sondern mit den Problemen von Zuwanderern, die bessere Voraussetzungen als viele andere für eine rasche Aufnahme in der Gesellschaft hätten: Einwanderer mit einem schwedischen Partner und Einwanderer, die neben einer anderen auch bereits die schwedische Staatsbürgerschaft haben – etwa Kinder aus gemischten Ehen.

Zum Beispiel Alex, der mit seinen Eltern als 16-Jähriger aus den USA in eine schwedische Kleinstadt kam. Es sei für ihn sehr schwer gewesen, den Weg in die Gesellschaft zu finden. Er habe niemanden gekannt und sei nie zu Partys eingeladen worden, und weil er nie eingeladen worden sei, habe er auch nie jemanden kennengelernt. Seine Freunde heute seien vorwiegend Zugewanderte aus Mitteleuropa; Tschechen, Bosnier, Serben, Albaner.

Eine Erklärung dafür mag sein, dass Schweden aus globaler Sicht einen gesellschaftlichen Extremfall darstellt. Das lässt sich aus der «Wertelandschaft» des Soziologennetzwerks World Values Survey herauslesen (siehe Grafik). Dort werden Länder anhand von zwei Gegensatzpaaren positioniert: ob die Bürger im täglichen Leben eher mit Fragen der Existenzsicherung oder der Selbstverwirklichung beschäftigt sind und ob sie sich primär an traditionellen und allenfalls religiösen Werten orientieren oder aber säkular-rationalen Vorstellungen nachleben. Schweden ist auf dieser Karte an der extremen Peripherie zu finden, mit beträchtlichem Abstand sogar zu manch anderer westlicher Gesellschaft, von Ländern aus dem afrikanisch-islamischen Raum ganz zu schweigen.

Olof Palmes Vermächtnis

Ein zweites Element ist in der Politik zu suchen. Im Jahre 1975, unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Olof Palme, erklärte das bis anhin gesellschaftlich relativ homogene Schweden per Parlamentsbeschluss, zu einem multikulturellen Land werden zu wollen, wobei jede Kultur in ihrer Ausformung gleichberechtigt neben jeder anderen stehen können sollte. Diese Linie ist im Grundsatz bis heute nie angezweifelt worden, sondern stellt ein wesentliches Element des schwedischen Selbstbildes dar – mindestens im Verständnis der massgeblichen politischen Kräfte aus dem urban-intellektuellen Umfeld. Für abweichende Meinungen war jeweils rasch und pauschal der Rassismusvorwurf zur Hand.

Die in den letzten Jahren stetig gestiegene Popularität der rechtsnationalen, immigrationskritischen Schwedendemokraten zeigt inzwischen allerdings eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas an. Und bereits gibt es auch Stimmen aus Mainstream-Parteien, die stärker die Respektierung «schwedischer Werte» fordern. Schweden mag allzu lange davon ausgegangen sein, das eigene gesellschaftliche Modell sei attraktiv genug, dass Zuwanderer auch aus völlig anderen Kulturkreisen sich ihm wie von selbst anpassen würden. Mit der Bildung starker Parallelgesellschaften wurde nicht gerechnet.

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