12. Dezember 2017 · Kommentare deaktiviert für „Akteur_innen, Abkommen und migrantische Strategien im Grenzraum Marokko-Spanien“ · Kategorien: Hintergrund, Marokko, Spanien · Tags:

Kritische Justiz, Jahrgang 50 (2017), Heft 3

Carla Höppner

Einleitung

Auf hoher See sind meist keine Augenzeugen vorhanden, um Rechtsverletzungen von Personen zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Sind die Tragödien mit Tausenden von Toten vor den Küsten Europas Normalität und Teil moderner westlicher Demokratien?

In „Ebbing und Flowing: The EU’s Shifting Practices of (Non-)Assistance and Bordering in a Time of Crisis“ werden das Recht sowie die Entwicklung wechselnder Praktiken der Seenotrettung im Mittelmeer thematisiert. Fälle unterlassener Hilfeleistung erreichten vermehrt die Öffentlichkeit. Die Umsetzung des Grenzregimes der EU führe bis hin zur Provokation von tödlichen Unfällen durch die Akteur_innen der Rettung.

Migrationspolitik kann nicht losgelöst von internationalem Seerecht und den Menschenrechten betrachtet werden. An den Grenzen fällt der willkürliche Zugang zu Recht besonders drastisch auf. Fast 33.000 Tote wurden bereits in den Meeren um Europa do- kumentiert. Die Maßnahmen, die das Grenzregime EU verabschiedet, sind, anstelle einer Einführung sicherer Migrationswege in die EU, das Grenzüberwachungssystem Eurosur sowie eine voranschreitende Externalisierung und Militarisierung zur Sicherung der Grenzen Europas. Kapitän_innen, Fischer_innen und Freiwillige aus der Zivilgesellschaft, die Menschenleben retten, werden kriminalisiert und hohen Geld- und Gefängnisstrafen ausgesetzt. Internationale Bestimmungen schreiben als erste Pflicht auf See jedoch fest, dass jede Person, die sich in Seenot befindet, gerettet werden muss. Die Küstenwachen agieren innerhalb des Widerspruchs von Grenzregime und der internationalen Pflicht zur Seenotrettung.

Im transnationalen Kampf um globale Bewegungsfreiheit habe ich seit 2010 meinen Schwerpunkt im west-mediterranen Raum. 2014 bauten wir in basis-organisierten Netzwerken mit subsaharischen, marokkanischen, tunesischen und europäischen Aktivist_innen das Alarmphone auf, eine Hotline für Personen in Seenot. In der Zusammenarbeit hatte ich viele Begegnungen mit Reisenden, die bereits mehrere Versuche, die Grenze auf dem Seeweg zu überqueren, hinter sich hatten und die fundiertes Wissen in das gemeinsame Projekt einbrachten.

An der EU Außengrenze Spanien – Marokko werden Personen, die das Meer in Richtung Europa überqueren, durch eine über viele Jahre hinweg ausgearbeitete Kooperation der Kontrolle beider Grenzstaaten entrechtet. Die EU ist aktiv in die Ausführung der Kontrollmaßnahmen im Grenzraum Marokko involviert, entzieht sich allerdings der Verantwortung gegenüber internationalen Rechten und Menschenrechten, indem sie an- gibt, keine Hoheitsgewalt in Marokko zu haben. Mit dem Abfangen und Zurückweisen von Schiffen durch Küstenwachen, Militär und weiteren Akteur_innen in Gewässern außerhalb der EU werden den Reisenden ihre Rechte auf Asyl und Schutz verweigert. Die Abfangmaßnahmen führen auch zu tödlichen Schiffbrüchen.

Im Folgenden beschreibe ich Projekte von Migrant_innen auf dem Seeweg von Marokko nach Spanien. Ich gehe im Sinne des Konzepts der Autonomie der Migration davon aus, „Migration selbst als eine politische Praxis zu verstehen, die den sozialen und ökonomischen Status quo unmittelbar in Frage stellt“. In gemeinsamen Strategien formieren sich Migrierende zu einer Bewegung, welche die Aneignung von Mobilität erstreitet. Die Realitäten auf dem Meer werden in Verbindung mit Abkommen und ausführenden Akteur_innen betrachtet. Obgleich dieser Artikel konkret die westliche Mittelmeerregion behandelt, kann die Art und Weise der Externalisierungspolitik in Form von finanziellen Zugeständnissen, Abkommen, gemeinsamen Koordinationszentren, Grenzpatrouillen und Abfangmaßnahmen als ein europäisches Modell in der Kontrolle von Außengrenzen betrachtet werden. […]

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