11. Dezember 2017 · Kommentare deaktiviert für „Rückkehrprämien: Geld statt Asyl“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

FAZ | 10.12.2017

Aus der Willkommenskultur ist eine Abschiedskultur geworden. Deutschland zahlt Flüchtlingen Tausende Euro, damit sie freiwillig das Land verlassen. Wieso handelt der Staat so?

Von Christoph Schäfer

Passend zur Vorweihnachtszeit greift Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) tief in die Tasche: Flüchtlinge in Deutschland bekommen ein besonderes Geschenk, bis zu 6000 Euro kann eine dreiköpfige Familie erhalten. Für die oft sehr armen Menschen ist das viel Geld. Doch wie so oft bei Geschenken eines Fremden, hat es meist einen Haken: Das Geld erhält nur, wer Deutschland freiwillig verlässt. Das vorweihnachtliche Präsent folgt dem Motto: Nimm das Geld und geh.

m Detail bietet de Maizière die Prämie rückkehrwilligen Familien ab sofort und bis Ende Februar 2018 an. Familien können bis zu 3000 Euro erhalten, um ihre Miete im Heimatland zu zahlen, eine Immobilie zu renovieren oder sich eine Grundausstattung für Küche und Bad zu kaufen. Einzelpersonen erhalten bis zu 1000 Euro. Das Programm trägt den Namen: „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“ Menschen aus 45 Staaten können es nutzen. Der Innenminister wirbt sogar persönlich dafür: „Es gibt Perspektiven in Ihrem Heimatland. Wir unterstützen Sie mit konkreten Hilfen bei Ihrer Reintegration.“

Schließung der „rechten, offenen Flanke“

Hinzu kommt schon seit Jahren ein Fördertopf vor allem für die Reisekosten sowie das Programm „Starthilfe-Plus“, das es seit Februar gibt. Wer seinen Asylantrag vor Abschluss des Verfahrens zurücknimmt und Deutschland verlässt, erhält 1200 Euro. Wer einen negativen Asylbescheid bereits erhalten hat, bekommt immerhin noch 800 Euro. Merke: Die wegfallende Chance auf einen erfolgreichen Asylbescheid lässt sich der Bund 400 Euro extra kosten.

Die neue Offerte aus dem Innenministerium ist der vorläufige Höhepunkt einer gewaltigen Kursänderung in der Flüchtlingspolitik. Gerade einmal zwei Jahre ist es her, dass der damalige SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel mit dem Anstecker „Flüchtlinge willkommen“ auf der Regierungsbank im Bundestag Platz nahm. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machte ihr berühmtes Selfie mit einem syrischen Flüchtling und versicherte den Deutschen: „Wir schaffen das.“ Alles nicht lange her, doch es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, denn seitdem ist viel passiert.

Als die Zahl der Flüchtlinge auf die Millionenmarke zuging, Turnhallen mit Asylbewerbern zwangsbelegt wurden und die Stimmung auch angesichts der Kölner Silvesternacht zusehends kippte, erklärte Gabriel eilfertig, in der Bevölkerung dürfe nicht der Eindruck entstehen: „Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“ Die Kanzlerin brauchte etwas länger, sie sagte erst Ende vergangenen Jahres auf dem CDU-Parteitag in Essen: „Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, darf und soll sich nicht wiederholen.“ Die Wähler spülten die ausländerkritische AfD trotzdem in insgesamt 14 Landtage und machten sie zur drittstärksten Fraktion des neuen Bundestags. Angesichts des verheerenden Ergebnisses seiner Partei kündigte CSU-Chef Horst Seehofer noch am Wahlabend an, „die rechte, offene Flanke“ zu schließen.

Aus Afghanistan zurückgeholt

In Wort und Tat hat die Bundesregierung ihre Flüchtlingspolitik ohnehin revidiert, von einer Willkommenskultur kann längst keine Rede mehr sein. Auf Merkels Initiative erhält die Türkei Milliarden Euro dafür, dass sie die vielen syrischen Flüchtlinge nicht nach Europa weiterziehen lässt. Die Kanzlerin reist unermüdlich mit viel Geld im Gepäck in den Nahen Osten und nach Afrika, damit potentielle Flüchtlinge zu Hause bleiben und ihre Staatschefs abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen. Allein im nächsten Jahr will der Bund 6,6 Milliarden Euro zur Bekämpfung von Fluchtursachen ausgeben.

Auch innenpolitisch hat die Regierung die Zügel deutlich angezogen. Anfang des Jahres verhandelte Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder über eine „nationale Kraftanstrengung für Rückführungen“. Im März nahm ein Zentrum in Berlin seine Arbeit auf, in dem Beamte aus Bund und Ländern Sammelabschiebungen koordinieren. Der Bundestag verabschiedete ein „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“. Ausländerbehörden bekamen mehr Personal. Genutzt haben die Initiativen bislang wenig, die Zahl der Abschiebungen sinkt sogar. Bis Ende September brachten die Bundesländer 18.153 Personen aus dem Land, im Vorjahreszeitraum waren es noch 20.000.

Das liegt auch an den vielen Möglichkeiten, mit denen Betroffene gegen ihre ungewollte Ausreise vorgehen können. Zwei von drei abgelehnten Asylbewerbern ziehen gegen ihren Bescheid vor Gericht, nicht selten erfolgreich. Gerade erst ordnete das Verwaltungsgericht Sigmaringen sogar an, dass ein bereits Abgeschobener aus Afghanistan wieder zurückgeholt werden muss. Bundesweit sind derzeit mehr als 300.000 Asylklagen anhängig. Da die überlasteten Verwaltungsrichter aber lediglich 10.000 Fälle im Monat entscheiden, werden etliche Prozesse noch Jahre dauern. Sollte das Verfahren für den Betroffenen dann irgendwann einmal negativ ausgehen, kann sich eine Härtefallkommission einschalten. Oder ein Mediziner bescheinigt dem Ausreisepflichtigen, nicht reisefähig zu sein. Oder ein Pfarrer gewährt „Kirchenasyl“.

Auslastung für einige Jahrzehnte

Darüber hinaus verzichten insbesondere rot-grün geführte Landesregierungen bisweilen darauf, in den Wintermonaten abzuschieben, oder sie kündigen den Betroffenen den Tag der Abschiebung vorher an (mit dem Ergebnis, dass die Polizei niemanden zu Hause antrifft). All diese Gründe zusammengenommen erklären, warum das Abschiebeproblem seit Jahrzehnten nicht gelöst ist.

Allerdings sollten Abschiebungen sowieso nur das letzte Mittel sein, um Flüchtlinge außer Landes zu bringen. Zum einen stehen alle Beteiligten unter Schock, wenn Polizisten beispielsweise ausländische Schüler aus dem Klassenzimmer zerren. Außerdem sind Abschiebungen extrem teuer. Von Mitte Dezember 2016 bis Ende März dieses Jahres gab es vier Sammelabschiebungen nach Afghanistan, mit denen 92 Personen nach Hause geflogen wurden. Die vier Flüge kosteten die Steuerzahler 1,3 Millionen Euro. Das macht 14.130 Euro je Abgeschobenem. Selbst Luxusreisen sind meist billiger. Theoretisch müssen die Betroffenen ihre eigene Abschiebung bezahlen, in der Praxis ist fast nie etwas zu holen.

Und schließlich ist es ohnehin fast unmöglich, die Zahl der Abschiebeflüge so drastisch zu erhöhen, dass alle Ausreisepflichtigen tatsächlich abgeschoben werden. Angesichts der vielen tausend endgültig abgelehnten Asylbewerber allein aus Afghanistan könnte die Regierung die Flieger Richtung Kabul beim derzeitigen Tempo für einige Jahrzehnte auslasten.

Rückkehrprämie kein Anreiz zur Einreise

Jenseits von Abschiebungen bleiben den Behörden zwei Optionen für diejenigen, die eigentlich gehen müssten: Die eine ist, die Menschen einfach hierzulassen und zu integrieren. Die andere ist, sie zur freiwilligen Rückreise zu ermuntern. Beides ist nicht kostenlos zu haben, zumindest am Anfang ist die Integration eines Geflüchteten sogar ziemlich teuer. Laut Statistischem Bundesamt hat der deutsche Staat in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 15 Milliarden Euro allein für Asylbewerber ausgegeben. Die Milliardenbeträge für Unterkunft, Verpflegung und Sprachkurse der anerkannten Asylbewerber und Flüchtlinge sind darin nicht mal enthalten.

Wie die Rechnung auf lange Sicht ausfällt, ist stark umstritten. Klar ist, dass ein junger syrischer Arzt nach seinem Sprachkurs Arbeit finden und kräftig in die Sozialkassen einzahlen wird. Rein wirtschaftlich betrachtet, wäre sein Verbleib für den deutschen Staat eine lohnende Investition. Aber wie schon die frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bemerkte: „Nicht alle, die da kommen, sind hochqualifiziert. Der syrische Arzt ist nicht der Normalfall.“

Wer sich all das vor Augen führt – die gekippte Stimmung in der Bevölkerung, die Wahlerfolge der Rechtspopulisten, die extrem teuren und schwierigen Abschiebungen, die beträchtlichen Integrationskosten –, der weiß das vermeintlich großzügige Angebot des Bundesinnenministers zur freiwilligen Rückkehr viel besser einzuordnen. Die Prämien aus allen drei Fördertöpfen zusammengerechnet sind zwar bemerkenswert. Aber sie liegen deutlich unter den durchschnittlichen Kosten, um mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland zu kommen. Die Behörden wollen bewusst keinen Anreiz bieten, nur nach Deutschland zu kommen, um die Rückkehrprämien abzugreifen.

Nur 25.000 Ausreisen durch Förderprämien

Im Ergebnis sind die Summen aber zu niedrig. „Ich bin doch nicht durch acht Länder gelaufen und habe 5000 Euro bezahlt, um jetzt mit 2000 Euro nach Hause zu gehen“, sagt etwa Ramin Mohabat, der im vergangenen Jahr aus Afghanistan geflohen ist. „Aber auch für 50.000 gehe ich nicht zurück, ich bin doch heilfroh, dass ich hier in Frieden leben kann.“ Auch von seinen Freunden wolle niemand das Angebot annehmen.

Sie stehen mit dieser Meinung nicht allein. Trotz des Starthilfe-Plus-Programms verlassen derzeit deutlich weniger abgelehnte Asylbewerber die Bundesrepublik als im Vorjahr. Bis Ende September reisten erst 25.000 Personen mit Förderprämien aus. Im Jahr davor waren es fast doppelt so viele.

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