01. Dezember 2017 · Kommentare deaktiviert für „Einigkeit beim EU-Afrika-Gipfel: Sklaverei ist doof“ · Kategorien: Afrika, Europa, Libyen · Tags:

taz | 30.11.2017

Einigkeit, wo sonst Dissens herrscht: Der EU-Afrika-Gipfel beschließt eine konzertierte Aktion zur Evakuierung internierter Migranten aus Libyen.

Christian Jakob

ABIDJAN taz | Den Sklavenhandel in Libyen beenden – das war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Europäische und die Afrikanische Union am Ende ihres zweitägigen Gipfels in Abidjan, der Metropole der Elfenbeinküste, am Donnerstag einigten. Auch die Lösung, die ihnen dazu vorschwebt, ist die denkbar kleinste: In einer konzertierten Aktion sollen zunächst 3.800 Flüchtlinge, die in Lagern in der libyschen Hauptstadt Tripolis festsitzen, ausgeflogen werden. Das verkündeten am Donnerstagmittag die Präsidenten der beiden Organisationen, der Pole Donald Tusk und der Guineer Alpha Condé.

Die Migranten sollen unter anderem nach Niger und Tschad gebracht werden. Auch Ruanda und Nigeria haben angekündigt, Aufnahmeplätze bereit zu stellen. Marokko, das erst voriges Jahr wieder Mitglied der Afrikanischen Union wurde, will die für die Aktion nötigen Flugzeuge stellen.

Die Lage der MigrantInnen in Libyen hatte den Gipfel schon vor Beginn überschattet. Nachdem der Fernsehsender CNN ein Video veröffentlicht hatte, das eine Sklavenauktion in Libyen zeigt, war der Druck vor allem auf die EU gewachsen. Viele AfrikanerInnen machen sie für die Situation mitverantwortlich, weil sie der libyschen Regierung Geld und Ausrüstungshilfe gibt und diese im Gegenzug Flüchtlinge festhält.

Am Mittwochabend hatte in Abidjan der libysche Ministerpräsident Fayis al-Sarraj, der im eigenen Land praktisch machtlos ist, mit den Spitzen von EU und AU sowie den wichtigsten Staatschefs zusammen gesessen. Libyen werde dabei helfen, zu identifizieren, in welchen Lagern sich die „barbarischen Szenen“ auf dem Video abgespielt hätten, sagte Frankreichs Präsident Macron danach.

Al-Sarraj habe zugestimmt, dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) „Zugang zu den Lagern in seinem Machtbereich zu gewähren“, hieß es am nächsten Morgen. Ein zweifelhaftes Zugeständnis – immerhin hatte die EU schon seit Beginn des Jahres verkündet, genau das im Gegenzug für ihre Millionenhilfen für al-Sarraj zu bekommen. Die EU und Italien stockten ihre Libyen-Hilfe am Dienstag nochmal auf 285 Millionen Euro auf.

Gegenseitige Abhängigkeit

Eine neue „Task Force“ aus EU, UN und AU soll nun das Ausreiseprogramm koordinieren, die konkrete Abwicklung wird die IOM übernehmen. Von einer möglichen Militärintervention in Libyen, die Macron zuvor ins Gespräch gebracht hatte, war am Ende des Gipfels keine Rede mehr. Der amtierende AU-Präsident Alpha Condé erinnerte bei der Abschlusspressekonferenz am Donnerstag daran, dass nicht 3.800, sondern zwischen 400.000 und 700.000 afrikanische MigrantInnen in Libyen festsitzen.

Beide Seiten beschworen gleichwohl Gemeinsamkeiten, bemüht, die Differenzen nicht offen zutage treten zu lassen. „Wir sind nicht hierher gekommen um die Afrikaner zu belehren – und die Afrikaner sind nicht gekommen, um sich von uns belehren zu lassen“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Zeiten der kolonialen Attitüden seien endgültig vorbei. „Unsere gegenseitige Abhängigkeit war noch nie so stark“, sagte auch der Präsident der Elfenbeinküste, der Gastgeber Alassane Ouattara.

Heraus kam wenig. Eigentlich war der Gipfel der „Jugend“ gewidmet, dies war das offizielle Thema. Doch konkrete Zusagen für sie, gleich welcher Art, gab es keine. Auch ein euro-afrikanisches Erasmus-Programm, dass eine Jugenddelegation der beiden Kontinente gefordert hatte, kommt erstmal nicht. Angela Merkel (CDU) widersprach derweil am Mittwochabend am Rande des Gipfels Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Der war zur Vorbereitung des Treffens als Vorhut von Merkel nach Abidjan gereist und hatte vorgeschlagen, jedes Jahr „mehrere hunderttausend“ junge Afrikaner zur Berufsausbildung nach Europa zu holen – sofern sie Vorkenntnisse haben und nach drei bis vier Jahren freiwillig zurückkehren.

„Ich bin da erstmal etwas zurückhaltender“, sagte Merkel. Wenn man ins Auge fasse, mit einzelnen Ländern Abkommen zu schließen, müsse zunächst die Nachfrage abgewartet werden. „Ich denke nicht gleich in Hunderttausenden.“ Sie wolle sich nicht auf Zahlen festlegen. „Lassen Sie uns einfach mal starten, dann wäre schon viel gewonnen.“ Von legalen Wege für Arbeitsmigranten aus Afrika nach Europa, die Merkel selbst während ihrer G20-Präsidentschaft ins Gespräch gebracht hatte, wollte sie nun nichts mehr wissen: „Wenn Länder mit uns Rücknahmeabkommen machen, kann man das anbieten“, sagte sie.

„Die Jugend“ muss nun wohl auf den nächsten Gipfel hoffen: Im Februar kommen die Staatsoberhäupter von EU und AU erneut zusammen. In Senegals Hauptstadt Dakar geht es dann um die Finanzierung der Global Partnership for Education.

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Telepolis | 30.11.2017

„Evakuierung von Migranten aus Libyen“

Ein neuer Flüchtlingsdeal? Beim Afrika-EU-Gipfel wird ein gemeinsamer Aktionsplan abgesprochen. Es geht auch um eine Neuordnung Libyens

Thomas Pany

Der französische Präsident hatte kürzlich bei seiner Rede in Ouagadougou davon gesprochen, dass in Libyen festsitzende Migranten evakuiert werden sollten und dazu einen Plan angedeutet. Nun werden erste konkrete Umrisse bekannt. Europäische und afrikanische Staat- und Regierungschefs einigten sich am Rand des Gipfeltreffens in Abidjan auf etwas, das es „nie gab“, schreibt Robin Alexander („Die Getriebenen“) in der Welt:

Europäer und Afrikaner wollen gemeinsam die Ausbeutung der in Libyen gestrandeten Migranten bekämpfen.

Robin Alexander

Das ist erstmal eine gute Absicht, die es mit einer Menge Schwierigkeiten zu tun hat. Der Plan, den Macron mit Merkel, den italienischen und spanischen Regierungschefs Paolo Gentiloni und Mariano Rajoy, mit Federica Mogherini von der EU, dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres, dem Vorsitzenden der Afrikanischen Union (AU), Moussa Faki Mahamat, den Präsidenten von Tschad und Niger, Idriss Déby Itno und Mahamadou Issoufou, dem Staatsoberhaupt des Kongo, Denis Sassou-Nguesso, und mit dem Chef der international anerkannten Regierung in Libyen, Fajiz a-Sarradsch, im Zwischengeschoss des Tagungshotels besprochen hat, bietet einige Überraschungen, heikle Punkte und die ganz große Frage, wie er tatsächlich umgesetzt werden soll.

Das Konzept beruht auf folgenden Punkten: Alle Lager in Libyen, in denen „illegale Migranten“ festgehalten werden, sollen überprüft werden, die Insassen danach befragt werden, woher sie kommen, wohin sie wollen und nach den Gründen der Migration.

Nach ihren Angaben – und getreu des Vorhabens, das die französischen Regierung zuletzt stark betonte – soll unterschieden werden zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und solchen, die Flüchtlinge im Sinne europäischer Asylgesetzgebung oder der Genfer Flüchtlingskonvention sind.

Wirtschaftsflüchtlinge sollen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Dies soll mit einer finanziellen „Rückkehrhilfe“ erleichtert werden. Robin Alexander schreibt von „bescheidenen Finanzmitteln“, die aber als entscheidender Anreiz gesehen werden, da die Migranten damit nicht mit leeren Händen zurückkehren und ihr Gesicht gegenüber ihren Familien wahren.

Nach Einschätzung von Experten soll diese Gruppe etwa 80 Prozent aller Migranten im Durchgangsland Libyen stellen. Die afrikanischen Regierungschefs hätten zugesagt, dass sie Flugzeuge chartern und nötige Papiere schneller als bisher zur Verfügung stellen.

Die Migranten, die Aussicht darauf haben, dass ihr Asylantrag bewilligt wird, sollen – und das ist ein neues Konzept – nicht umgehend nach Europa gebracht werden, sondern erst in die Nachbarländer Tschad und Niger. Danach wird entschieden, in welche “ europäische oder außereuropäische Länder“ sie gebracht werden. Das Ganze soll im Rahmen eines Ansiedlungsprogramms („relocation“) geschehen. In Europa wird dies die Diskussion über gesellschaftlich akzeptable Kontingente und die Solidarität der EU-Mitgliedstaaten untereinander neu befeuern.

Schon zu dieser Grundausrichtung gibt es Kritik, wie sie zum Beispiel der innenpolitischen Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, formuliert wird. Sie kritisiert das Verschieben der Verantwortung für das Elend der Flüchtlinge in Libyen. Es liege in der Verantwortung der EU-Abschottungspolitik, dass Migranten in den libyschen Lagern misshandelt werden. Die Politik, die der neue Plan verfolge, sei danach ausgerichtet, das Leid von Europa wegzurücken, nach dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“:

Es schlägt allerdings dem Fass den Boden aus, wenn jetzt dieses Leid noch dazu missbraucht wird, um exterritoriale Flüchtlingslager in der Sahel-Zone zu errichten – ein von konservativen Abschottungsstrategen lang gehegter Plan wird damit Wirklichkeit. Eine Verlegung in Lager im Tschad oder Niger stellt allenfalls eine geographische Änderung der Lage der Schutzsuchenden dar, eine legale Aufnahme in die EU wird hingegen nur wenigen ermöglicht werden, um das geplagte europäische Gewissen zu beruhigen. Die Menschen werden aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verdrängt, und das ist offensichtlich auch das Kalkül dieses zynischen Evakuierungsplans.

Ulla Jelpke, Die Linke

Bislang ist der Plan nur eine Absprache. Er wird erst noch in schriftliche Form gebracht. Offen sei noch, so der genannte Welt-Artikel, ob es dazu auch eine parlamentarische Zustimmung braucht. Auf deutscher Seite sei mit dem Merkel-Berater Jan Hecker jemand maßgeblich eingebunden, der beim Türkei-Flüchtlingsdeal schon eine wichtige Rolle gespielt habe.

Schaut man sich französische Publikationen zum Thema an, so wird schnell deutlich, dass ein anderer Aspekt der Abmachungen eine zentrale Rolle spielt, nämlich der Einsatz von Polizei- und Militär. Im Tagesschau-Bericht heißt es, dass man sich laut Macron auch auf eine enge Zusammenarbeit mit einer Taskforce geeinigt habe. Sie soll Polizeibehörden und Geheimdienste zusammenführen, um „Netzwerke und Finanzierung von Menschenhändlern zu zerschlagen und diese zu fassen“.

Das klingt sehr abstrakt. Die Verhältnisse in Libyen sind kompliziert, von Machtkämpfen im Kleinen wie im Großen gekennzeichnet. Es gibt zwei Parlamente, eins davon international anerkannt, dieses mit Sitz im Osten erkennt aber den international anerkannten Regierungschef Serraj nicht an.

Das tut auch das Parlament in der Haupstadt Tripolis nicht, wo Serraj im Hafenstützpunkt residiert. Der starke Mann, von dem sich viele Länder, einschließlich Frankreich, Ordnung und Stabilität versprechen, heißt General Haftar. Er ist Oberbefehlshaber über die Reste der libyschen Nationalarmee. Darüber hinaus gibt es über 1.000 Milizen.

Mit wem wird die Taskforce aus Polizei, Militär und Geheimdiensten zusammenarbeiten bzw. wer stellt sie? Und was ist das genau für ein Einsatz? Macron hatte zuletzt in seiner Rede angedeutet, dass er sich – in einem bestimmten Rahmen – eine militärische Intervention vorstellen kann.

Die Libyen-Politik gehört in das größere Framing des Kampfes gegen den Terrorismus in der Sahel-Zone, wie das in französischen Berichten zu den „dringenden Maßnahmen“, die nun ergriffen werden sollen, auch so dargestellt wird.

„Wir werden eine konkrete militärische und polizeiliche Initiative in Libyen lancieren“, erklärte Macron gegenüber dem Sender France 24. Demnach konnte man zunächst davon ausgehen, dass französische Truppen maßgeblich mit dabei sind – [Update:] bis Marcron am Donnerstag laut Reuters präzisierte, dass man zum jetzigen Zeitpunkt nicht daran denke, französische Soldaten oder Polizisten nach Libyen zu schicken. Das sei Sache der afrikanischen Union und Libyens. Frankreich werde mit technischen Mitteln und Aufklärung beratend zur Seite stehen.

Wie viele französische Soldaten sich in Libyen aufhalten, ist unbekannt. Unter Macrons Vorgänger Hollande wurde das Schweigen über verdeckte französische Militäreinsätze in Libyen Anfang 2016 durch einen Bericht von Le Monde kurzzeitig gebrochen – sehr zur Verägerung des damaligen Verteidigungsministers und jetzigen Außenministers Le Drian (siehe Libyen: Geheime Militäreinsätze von Frankreich und den USA ). Wie es der neue Präsident mit der Präsenz französischer Truppen in Libyen hält, ist unklar. Im Rahmen der Operation Barkhane sind etwa 3.000 französische Soldaten in der Sahelzone im Einsatz

Gegenüber France 24 betonte Macron, dass die militärische und polizeiliche Intiative im Rahmen des Kampfes gegen Schleusergruppen und der Hintermänner geschieht. In diesem Zusammenhang erwähnte er erneut Sanktionen. Das lässt im Zusammenhang mit der Initiative Frankreichs, den UN-Sicherheitsrat dazu einzuschalten, den Schluss zu, dass die Sache eine größere politische Dimension hat. Denn seit wann werden Schleuser mit UN-Sanktionen bedroht?

Es geht also darum, politische Hintermänner von Milizen zu treffen. Dabei dürfte es um keine kleinen Figuren gehen, sondern solche, die im Machtapparat Libyens eine Rolle spielen. Anders gesagt: Es sieht ganz danach aus, als ob der französische Präsident Libyen neu ordnen will.

Begründet wird die Intervention von Macron mit dem „Verbrechen gegen die Menschheit“, das in Libyen gegen Migranten begangen wird. Auslöser dafür ist, wie hier mehrfach berichtet, das „Sklavenhandel-Video“ von CNN. Nun ist die französische Perspektive darauf eine andere. In Frankreich leben viele Afrikaner, Frankreich hat eine Kolonialgeschichte in Afrika.

Das CNN-Video, das anhand zugespieltem Bildmaterial zeigt, wie Migranten in Libyen gegen mehrere Hundert Dollar als Arbeitssklaven verkauft werden, erregte große Empörung in afrikanischen Ländern und unter Afrikanern in Frankreich. Es trifft einen neuralgischen Punkt.

Dennoch kann man sich darüber wundern, weshalb gerade dieses Video so große Empörung und Folgen auslöst, wohingegen – was gegenwärtig von europäischen Vertretern wie Mogherini und der Internationalen Organisation für Migration betont – der Tatbestand, der Menschen- und Sklavenhandel mit Migranten längst bekannt war. Nur gab es bislang nicht so deutliche Bilder einer Sklavenauktion und nicht diese Verbreitung. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?

Der UN-Botschafter Libyens Elmahdi Elmajerbi spricht, wie gestern an dieser Stelle berichtet von einer Fake-News-Verleumdungskampagne. Man kann dies, ungeachtet der Wirklichkeitsnähe des CNN-Berichts, so deuten, dass Elmajerbi weiß, dass es hier um größere politische Konsequenzen geht (und er möglicherweise auf der „falschen Seite“ steht). Dass Migranten in Libyen zum Teil schwer misshandelt werden und in Lagern unter inhumanen Bedingungen festgehalten werden, gefoltert, mit dem Tod bedroht, ist nicht zu bezweifeln.

Es ist alles miteinander verzahnt. Schaut man sich die Zahlen der Migranten an, die sich unter miserablen bis unmenschlichen Bedingungen in Libyen aufhalten, so gibt es eine Kluft. Die Times berichtete neulich von 40.000, der Chef der Einheitsregierung Sarraj spricht von 500.000 aus 24(!) verschiedenen Ländern – die Größenordnung ist in jedem Fall derart, dass eine „Evakuierung“ mit den Mitteln des bisherigen Status quo nicht zu bewältigen ist.

Ein geplanter Übergangsstützpunkt des UNHCR, nicht mehr Hot-Spot genannt, wird nicht die entscheidende Veränderung bringen. Hinzu kommt das Problem des Zutritts in Lager, die von Milizen kontrolliert werden. Auch dafür braucht es mehr Durchsetzungsmittel als solche, die der Einheitsregierung, die viele Milizen auf der Gegenseite hat, gegenwärtig zur Verfügung stehen.

Dass sich der Chef der Einheitsregierung Serraj am morgigen Freitag mit US-Präsident Trump trifft, zeigt ebenfalls an, dass in Libyen gerade an größeren Schrauben gedreht wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird General Haftar eine Schlüsselrolle zukommen.

Die libysche Einheitsregierung ließ indessen verlauten, dass sie mit der oben genannten in Abidjan getroffenen Vereinbarung einverstanden sei, aber Fragen dazu habe, wie das umgesetzt werden soll.

 

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